In den Himmel

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Wart's nur ab, Menschenkind.

Chihiro schob das Kinn vor, blieb aber gelassen. Worauf wartete er? Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Novizen den Gott zur Haustür hereinließen, der das Ende des Dämons bedeuten würde. Haku's Ende, was die Novizen nicht interessierte. Warum also ließ er sich Zeit und schien nicht im Geringsten gehetzt? Als würde er förmlich darauf warten, dass es so weit kam.

Wollen wir doch mal sehen, wer zuletzt lacht, dachte sie und trat ein paar Schritte vor, legte all ihre Überzeugung in die nächsten Worte: "Da kann ich lange warten. Ich mag nur ein Mensch sein, aber du bist ein Schwächling deiner Art, wenn du nicht einmal deinem eigenen Gefängnis entkommen kannst."

Seine gefühlslosen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, die an einen Spalt zum Totenreich erinnerten, sein Brustkorb bebte und seine Stimme wurde zu einem wutentbrannten Zischen.

Du beleidigst mich?

"Scheint dir nicht jeden Tag zu passieren, hm? Soll ich es noch einmal sagen? Du. Bist. Schwach."

Wieder rollte ein ungemeiner Zorn über ihn, da konnte Chihiro es deutlich sehen: Die Energieaura, die ihn umgab und vibrierte, als wäre sie das einzig Lebendige an ihm.

Komm schon, drängte sie und versuchte, seinen Blick gefangen zu halten und gleichzeitig auf die Aura zu achten. Es reichte offenbar noch nicht. Sie musste wohl noch gehässiger werden, um sein Ego ausreichend zu kitzeln.

"Du lässt dich einpferchen wie ein Schaf und meinst, du bist stark, nur weil du es dir hier mit Eis und Schnee ein bisschen nett gemacht hast?" Wie zur Bekräftigung ließ sie den Blick durch seinen Eispalast schweifen und sah letztendlich wieder zu ihm, gab sich unbeeindruckt und gelangweilt."Das ist armselig. Und du willst das überall gefürchtete Böse sein? Das ich nicht lache."

Man sollte meinen, es gäbe nicht Dümmeres, als einen an Stärke Überlegenen derart zu reizen, es geradezu darauf anzulegen, dass er die Beherrschung verlor, doch Chihiro erinnerte sich an Kamaji's Lektion. Chihiro wusste endlich um ihre eigene Kraft, ihren Antrieb, der sie dazu in die Lage versetzte ihre Macht mit der des Ringes zu verbinden und dieser Macht eine Richtung zu geben - Vertrauen, Konzentration und ein Wille, der sich vor nichts beugte. Bevor sie sich dessen bewusst geworden war, hatte sie intuitiv, unterbewusst gehandelt, hatte ihre Macht nicht in dem Maße kontrolliert, wie sie es jetzt konnte. Nun, da sie erkannt hatte, dass sie als Mensch nicht schwach war.

Dass sie all das über sich selbst erfahren hatte, ließ sie ziemlich sicher erahnen, was die Macht des Dämons aufbegehren ließ. Sie sah den Beweis: Die Aura bibberte, löste sich stärker von den Konturen des Körpers und begann, sich Stück um Stück auszuweiten. Ein Moment, indem sie die wahrhafte Kraft sah, die der Dämon verkörperte, ohne, dass Haku's Macht sie trübte. Es war, als würde sich der Schatten der Bestie von ihm lösen, sich aus seinem schützenden Versteck wagen. Aber ihn nur zu verhöhnen genügte wohl nicht, um die Magie hervorzulocken, die den Dämon in ihren unkontrollierten Bahnen angreifbar machte. Spott und Gehässigkeit waren keine Charakterzüge, die Chihiro in sich einte, doch war es das, was den Dämon ansprach, was sie gegen ihn einsetzen konnte, wo sie ihm körperlich nicht das Wasser reichen konnte. Es war eine Waffe, die Chihiro sich jetzt zu eigen machen und gnadenlos einzusetzen würde.

"Ich habe mehr erwartet, als das." Sie deutete auf die schwarze Gestalt und setzte einen Blick auf, der die Bedeutung ihrer Worte erkennen ließ. "Weißt du was? Vielleicht tötest du mich lieber jetzt, bevor ich noch vor Enttäuschung sterbe."

Mutig oder selten dämlich, dachte sie bei sich und seufzte. Mutig... dämlich... dass diese beiden Begriffe sich einmal so ähneln würden, wer hätte das gedacht?

Spirited. Always.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt