Der blaue Schein ihres Ring's verdrängte den reißenden Wirbel aus Gold und Grün und ließ auch alles andere um Chihiro herum in blendendem Licht verschwinden. Von dem Gewölbe war nicht's mehr wiederzuerkennen, als Chihiro sich nach mehrmaligem Blinzeln umschaute. Die massiven Steinwände waren einer verschwommen wirkenden Landschaft gewichen, eine weite grüne Wiese mit sanften Hügeln und gelegentlich aufblitzendem grauen Fels, gehüllt eine bodennahe Nebeldecke. Doch etwas anderes als die plötzlich veränderte Umgebung forderte all ihre Aufmerksamkeit; eine schummrige Gestalt manifestierte sich aus dem blauen Lichtkegel. Die smaragdenen Augen, die in ihre braunen blickten, waren so absolut einmalig, dass sie sie überall unter Tausenden erkennen könnte.
Aber das konnte doch unmöglich sein.
Wie konnte er hier sein?!
"Wunderschön", sprach seine unverkennbare, raue Stimme. Die Stimme, die Chihiro stets in ihren Gedanken vernommen hatte. Die Stimme, die direkt zu ihrem Herzen sprach; sie nahm ihr die Angst, gab ihr Trost und Sicherheit, verlieh ihr Mut und erweckte in ihr das starke Gefühl, niemals einsam zu sein. Denn er war da - immer. Ein Geist, ein Schutzengel. Auch wenn sie ihn nicht sehen konnte. Und sein Blick lag unbeirrt auf ihr, ein sanftes Lächeln zierte seinen Mund.
Chihiro schluckte. "Wie kannst du hier sein?", fragte sie in heiserem Flüsterton. "Ich habe gesehen, wie du davongeflogen bist."
Er antwortete nicht gleich, sondern streckte ihr seine Hand entgegen. Sie ließ zu, dass er ihre Hand nahm und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Er sah so anders aus in dem edlen Kimono, dessen goldgefärbte Seide sich an seinen Körper schmiegte. Sein Haar schien schwarz mit dem vertrauten grünen Schimmer, der von seiner Verbundenheit mit den Tiefen der Gewässer kündete. Haku trug es offen; es bedeckte seinen Nacken, seine Ohren, fiel ihm in die Stirn und rahmte sein bildschönes Gesicht. Chihiro trat näher an ihn heran, sodass nur Millimeter sie voneinander trennten, und fühlte den Druck seiner streichelnden Finger auf ihrem Handrücken.
"Du bist ohne ein Wort verschwunden", warf sie mit bebender Stimme ein, "und hast mich zurückgelassen."
"Chihiro", raunte er und hob behutsam mit den Fingern ihr Kinn, lehnte seine Stirn an ihre. Sein Atem streifte ihr Gesicht und Chihiro legte ihre freie Hand auf seinen herabhängenden linken Arm, knapp oberhalb des Ellbogens. Ein ungeheurer, siedend heißer Druck erfüllte ihren Brustkorb, ließ sie kurz die Augen schließen und tief einatmen. Es war, als würde eine Glut in ihrem Inneren angefacht, je mehr sie von seinem körpereigenen Duft einfing - dieser herrliche Geruch, die absolute Ungezügeltheit von Himmel und Meer. Sie schüttelte ganz leicht den Kopf, als ihr mit einem Mal so viel leichter ums Herz wurde, und grub ihr Gesicht in seine warme Halsbeuge. "Halt mich fest", bat sie leise wispernd und überwand den letzten Abstand zwischen ihnen, bis sie Haku's Körper an ihrem fühlen konnte. Seine Hände glitten über ihre Taille, legten sich auf ihren Rücken und zogen sie an sich. Chihiro war verwirrt von den Emotionen, die so plötzlich an die Oberfläche ihres Bewusstseins drangen: Das beflügelnde Glücksgefühl schien ihren Brustkorb zu sprengen, als würde etwas sie von innen heraus erschüttern und eine nervenaufreibende Hitze zurücklassen, die alles in ihr in Brand setzte. Davon erfasst dachte sie nicht weiter nach und ließ (aus dem Wunsch heraus, dieses sehnsüchtige Brennen zu beenden) auch ihre Hände über ihn wandern. Haku's Arme hinauf, über die Schultern und bis in seinen Nacken, wo sie verweilten und mit seinen weichen Haarspitzen spielten.
"Verzeih mir", sagte er, murmelte die Worte in ihr Haar. Chihiro ging in dem Gefühl auf. Die innige Geborgenheit, die sie in seinen Armen empfand, und das unkontrollierbare Auf- und Abspringen ihres Herzens. Wann hatte sie sich je in der Gegenwart eines anderen so gefühlt? Ein hitziges, federleichtes Drängen in ihrer Brust, als würde ein gewaltiger Schwalbenschwarm durch ihren Körper fliegen und dort etliche Loopings vollführen.
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Spirited. Always.
FanficNie hätte Chihiro geglaubt, dass ihre Träume in Wahrheit Erinnerungen an eine Vergangenheit sind, in der sie sich mit alten Hexen, Verzauberungen und Gottheiten hatte herumschlagen müssen. Aber alles war real gewesen - ER war real. Obwohl Chihiro ih...