Drachen und Zerbrochenes (1)

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Teban eilte neben Hora her, Chihiro folgte ihnen und hielt sich zurück, auch wenn ihr etliche Fragen auf der Zunge brannten. Talismane, Portale, magische Orte und nun Drachen!

"Wie schlimm ist es?" Hora sprach nicht laut, doch man hörte ihm seinen Ärger an. 

"Bisher nur Leichtverletzte. Er ist durch das Dach gekommen und dann brach Chaos aus."

Chihiro schluckte. Sie konnte den Gedanken an Drachen kaum verarbeiten, das Gehörte erleichterte es ihr nicht wirklich. Sie beschloss vorerst still zu sein, die Männer hatten offensichtlich Wichtigeres zu tun.

"Wurde die Halle schon geräumt?"

Teban verlangsamte seinen Schritt, legte sich eine Hand an die Stirn. Chihiro hätte es vielliecht als Migräneanfall abgetan, hätte er nicht Sekunden später geantwortet: "Es sind so gut wie alle draußen, ja."

"Du musst in Erfahrung bringen wie er den Schutzzauber durchbrochen hat, geh aber nicht allein!"

"Ich kümmere mich darum. Yin begleitet mich." Mit diesen Worten verschwand er in einen vom Hauptflügel abgehenden Korridor, ohne sich nochmals umzusehen.

"Wir betreten gleich die Große Halle", informierte Hora sie. "Der Drache ist zwar fort, aber ich weiß nicht wie groß die Schäden sind, also sei bitte vorsichtig."

"Ja", versicherte sie und folgte ihm einen Treppenaufgang hinab, bis sie durch einen großen Torbogen traten. Stimmen durchbrachen die Stille, abgedämpft und lau. Hora öffnete eine hölzerne, mit Eisen verstärkte Doppelflügeltür und Lärm brach durch die Stille. Chihiro gelang es nur schwer, sich von dem Anblick nicht abschrecken zu lassen: bunte Glassplitter bedeckten den erdigen Boden, überall lagen Mauerteile, die aus der Wand gebrochen waren, umher und hölzerne Balken, die wohl das Dach gestützt hatten, waren auf großen angelegten Beeten gestürzt und teilweise zersplittert. Die Halle war menschenleer, doch das Bild, welches sich Chihiro bot, kündete von tüchtiger Arbeit, die hier zuvor stattgefunden hatte; herumliegende Gartengerätschaften, umgestoßene Säcke, in denen sich ein Rest tiefschwarzer Erde erkennen ließ, zerbrochene Phiolen, in denen irgendwelche farbig schimmernden Flüssigkeiten aufbewahrt worden waren, beschädigte Töpfe und Vasen. "Was ist hier nur passiert?", fragte sie kleinlaut.

Hora trat in die Mitte der Halle - Glasscherben knarzten unter seinen Sandalen - und besah sich des riesigen, scheinbar wie eingeschlagenen Lochs im Dach. "Er wird direkt hineingeflogen sein."

"Der Drache?" Nun konnte sie nicht mehr schweigen - immerhin war die Rede von einem Drachen! "Ist er denn... abgestürzt?"

"Nein, er ist nicht gestürzt. Er ist absichtlich hineingeflogen." Es war nicht Hora, der ihr antwortete. Es war eine junge Frau, kaum älter als Chihiro, mit blonden Haaren und einem bildschönen Gesicht, als wäre sie einem Modelmagazin entsprungen. Und das empfand Chihiro trotz der ledernen Klappe, die über ihrem rechten Auge lag. "Das Mistvieh ist durch die Glasdecke gekracht und hat die ganze Halle verwüstet."

"Saya, dein Auge?", fragte Hora voll Sorge.

Sie winkte ab. "Ist nicht schlimm, nur etwas Glas. Naum hat mich direkt versorgt, als er herkam. Er kümmert sich gerade um unsere leicht verstörten Zupfer. Wie um alles in der Welt ist das Biest nur durchgekommen, Hora?"

"Ich habe Teban geschickt. Ich hoffe er wird es herausfinden."

"Teban hat einen scharfen Verstand und ist unser bester Novize. Es gibt fast nichts, das er nicht kann. Von freundlich sein einmal abgesehen", sprach sie und sah Chihiro an. "Du bist der Mensch, richtig?" Chihiro war schon fast überrascht, dass ihr das M-Wort so leicht über die Lippen kam. Tebans Vorbehalte hatten auf Saya wohl keinen Einfluss. "Du riechst wirklich komisch."

"Saya", mahnte Hora sanft.

"Schon gut, ich meine ja nur! Nun ja, du bist auf jeden Fall willkommen bei uns, Chihiro."

"Danke", brachte sie heraus und beschloss, später noch einmal nachzuhaken was es mit dem Verhalten der Leute hier auf sich hatte - und Novizen?

Hora wandte sich der jungen Frau zu. "Saya, bitte suche dir ein paar Leute und bring das Chaos hier in Ordnung. Wir erwarten heute Nacht wieder Unwetter, bis dahin muss die Halle einigermaßen in Takt sein, sonst ist auch der Rest der Ernte verloren."

Chihiro hörte auf, dem Gespräch zu folgen. Etwas blendete sie aus dem Augenwinkel, stechend wie eine Lichtreflektion. Sie wandte sich von Hora und Saya ab, ging dem seltsamen Funkeln nach. Inmitten eines zusammengekehrten bunten Scherbenhaufens blitzte etwas auf und Chihiro durchfuhr ein Gefühl, das sie nicht einordnen konnte. Es war, als würde die Luft vibrieren. Erst nur schwach, doch als sie die Hand ausstreckte, folgte sie dem Impuls und es wurde zunehmend stärker. Zwischen den Glasstücken erkannte sie nichts, bis sie in die Hocke ging und ein Stück aufhob, das mit seinem pechschwarzen Farbton unter dem Blau, Rot und Rosé der Glasscherben brechend hervorstach. Es war kein Glas, war zu dünn und von gänzlich anderer Beschaffenheit, doch sie konnte es nicht einordnen. Aber die seltsamen Vibrationen in der Luft schienen genau von diesem Stück auszugehen. Es war, als würden Energieblitze durch ihre Fingerkuppen fahren, wo sie es berührte.

"Schneide dich nicht!"

Sie wandte sich zu Saya um, die zu ihr gekommen war. "Das ist kein Glas", stellte Chihiro fest. "Es fühlt sich irgendwie... geladen an."

"Ach ja?" Saya beäugte das Stück in ihrer Hand und hob die Brauen. "Sehr seltsam. Ich habe noch nie gehört, dass ein Drache seine Schuppen verliert."

"Eine Drachenschuppe?" Chihiro betrachtete sie noch näher. Die Oberfläche war ziemlich glatt, ähnelte jedoch nicht der Art von Schuppe wie die eines Fisches. Ihr matter Glanz kündete von einer düsteren Anmut und Chihiro kam nicht umhin sich ein Bild zu malen, wie ein Drache in solcher Pracht aussehen musste. Es erinnerte sie an ein Bild, das sich ihr in ferner Vergangenheit bereits geboten hatte.

Eine weiße Schlange, verfolgt von kleinen Männchen aus Papier...

Nein, keine Schlange. Ein Drache mit langem Körper, dessen Schuppenkleid von strahlendem Weis war. Ein langer Schweif, dessen Spitze in einem ausladenden Fächer meeresgrünen Fells überging. Fell, das sich wie ein Streifen von seinem Haupt über den Rücken zog und sich herrlich weich zwischen ihren Fingern anfühlte.

Spirited. Always.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt