Ein letzter Gang

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Die alten Schutzschilde des Klosters, die der Dämon aufgelöst hatte, waren durch neue ersetzt worden. Zwar wesentlich schwächere, gleich einem locker gewebten Stoff, aber auch für Haku immer noch spürbar, als würde er durch einen Regenschleier laufen.
Er schritt durch die vorderen Gärten auf das große Haupttor zu, das in eine Art Kapelle führte. Er fürchtete sich nicht vor dem, was immer ihn dahinter erwartete.
Während Yama eilig auf die Tür zuhielt, um dem Novizen, der den verletzten Jungen huckepack trug, hindurchzulotsen, blieb Teban fortwährend in Haku's Nähe. Er hielt sich nur ein paar Schritte abseits, gerade so weit, dass Haku einen Fuß in seine Richting setzen könnte, ohne ihm auf die Füße zu treten. Haku ignorierte ihn und folgte Yama gemächlich.

"Bleib wach, hörst du?! Nicht einschlafen", redete der Novize auf den halb bewusstlosen Jungen ein.

Etwas trieb ihn, sich den Verletzten einmal näher anzusehen. Die Bruderschaft kümmerte sich sehr gut um die Ihren und der Junge würde bestens versorgt werden, aber Haku konnte den Blick kaum abwenden, als er ihn einmal zugelassen hatte. Etwas stach ihn, als würde sich in seinem Inneren etwas zusammenziehen und seinen Magen verknoten.

Er folgte einem Impuls und reckte seinen langen Hals, um näher an den Jungen heranzukommen. Sein Atem ging flach und er war kaum ansprechbar. Er roch, als wäre er gegrillt worden, doch er trug kaum äußere Verletzungen.

Der Blitzeinschlag im Wasser, überlegte Haku. Da der Dämon den Sturm heraufbeschworen und die Blitze selbst verursacht hatte, war es keine Überraschung, dass etwas der düsteren Altmagie auf den Jungen geprallt war, wenn er es nicht rechtzeitig aus dem Wasser geschafft hatte.

Ein Novize kann Schlimmeres ertragen, sprach die kühle Vernunft, die Haku's Leben stets so fest gelenkt hatte. Mittlerweile erkannte Haku das Flüstern leiserer Stimmen, die ihm einen anderen Weg wiesen. 
Die Vernunft hatte ihm damals, als er in Yubaba's Dienst stand, gesagt, dass das Schicksal eines Mädchens und seiner Familie ihn nicht von seinem Ziel ablenken durfte. Haku hatte es versucht, bis das Flüstern lauter geworden war und er nicht mehr anders konnte, als dem zu lauschen. Die Stimmen veranlassten ihn, diesem Mädchen beizustehen, zu dem er bald eine tiefe Verbindung spüren konnte. Er fühlte sich so sehr für sie verantwortlich, dass es ihn fast wahnsinnig gemacht hatte.

Einen Bruchteil dessen empfand er nun, als er den Jungen sah, der die Augen verdrehte und nicht Herr seiner Sinne war.

Haku fegte Teban mit einem geschickten Zucken seines Schweifs von den Beinen und presste ihn gegen die Wand zu seiner Linken, während er Shouta den Weg mit seinem Hals versperrte und ihn direkt anschaute. Er war erschöpft, körperlich wie geistig. Dass er den Jungen den ganzen Weg getragen hatte, sprach für seinen außerordentlich starken Willen. Haku sah in seinen Augen, dass er sich auf einen Angriff gefasst machte und bereits überlegte, was seine besten Chancen wären.

Haku näherte sich langsam dem Novizen, der den Verwundeten trug, und senkte friedfertig die Lider. Er streckte seine Fühler aus, um den Jungen zu berühren, und wirkte einen Reinigungszauber, den Zeniba ihn einst gelehrt hatte. Damals, als er anfing zu begreifen, dass seinem Körper etwas Dämonisches innewohnte. Ihm hatte es damals nicht mehr helfen können, aber dem jungen Novizen schon.

Teban hatte sich von Haku's Angriff erholt, sprang auf die Füße und wollte auf ihn losgehen, doch Haku hatte sich bereits umgedreht, um sich zu verteidigen.

"Dies ist kein Ort für einen Kampf!", schallte es von weit her.

Haku wandte sich nicht von Teban ab, dessen Blick zu hart, zu angriffslustig war, als dass Haku das Risiko eingegangen wäre.

"Das Gesetz verbietet Gewalt in diesen Hallen. Es ist genug", verlangte eine männliche, aber weiche Stimme, die für derartige Anweisungen nicht recht geschaffen zu sein schien. Sie näherte sich Haku hinterrücks. Das leise Schleifen von schwerem Stoff über den steinernen Boden ließ vermuten, dass es sich um einen der Brüder handelte.

"Yin atmet schon viel stärker. Er kriegt langsam Farbe", brachte Shouta an und trat vor seinen erregten Freund. "Es war kein Angriff."

"Er wollte mich ausschalten", konterte Teban und wechselte einen kurzen Blick mit Shouta, doch dieser schüttelte knapp den Kopf.

"Weil du ihm am liebsten ans Leder willst und nur darauf wartest, dass das jemand absegnet", warf Shouta ein und legte Teban brüderlich die Hand auf die Schulter, so gut es eben ging. "Ich würde dich in solch einem Fall auch lieber außer Gefecht setzen."

"Teban", lenkte der Mönch, der sie nun erreicht hatte, die Aufmerksamkeit auf sich. Er ging an Haku vorbei auf die Jungen zu. "Bring Yin in den Krankenflügel. Yama hat uns bereits berichtet, was geschehen ist." Er wandte sich dem Anderen zu, musterte ihn knapp von Kopf bis Fuß. "Wie fühlst du dich, Shouta?"

"Ich bin unverletzt, nur etwas ausgelaugt. Es waren ein paar harte Stunden."

Der Bruder nickte. "Du kannst bald ruhen, doch vorher wird auch dein Bericht erwartet." Er legte eine lange Pause ein, in der Haku beinahe intuitiv heraushören konnte, dass sie telepathisch miteinander kommunizierten, wenn er nicht schon die Magie, die die drei miteinander verband, gespürt hätte.

Wie zur Bestätigung wurde Shouta's Blick emotionslos, als hätte er sich selbst soeben jede Erschöpfung verboten. Er deutete ein Nicken an und trat zu Haku, während Teban den Jungen, der noch immer geistig dahindämmerte, stützte und fortbrachte.

"Folge mir", bat Shouta und senkte vor Haku den Kopf. "Ich führe dich in den Opal."

Shouta ging mit geradem Rücken voran, ohne sich je nach Haku umzusehen. Wozu auch? Haku hatte nicht vor, sich seinem Urteil zu entziehen, wie immer es aussehen mochte.

Ich bin Abschaum.

Er presste die Zähne fest zusammen und folgte dem Novizen auf dem Fuße.

Ich habe alles verdient.

Er machte sich selbst nichts vor, denn es stimmte, was Teban gesagt hatte. Haku hätte in dem Augenblick, als er wusste, was mit ihm vorging, die Hilfe des Rats erbitten müssen, um Schlimmeres zu verhindern. Zerstörte Stätten, gebrochene Schutzmagie und Verletzte waren noch das Geringste, was geschehen konnte. Das Gleichgewicht zu stören war kein Verbrechen, das auf die leichte Schulter genommen werden durfte.

Vor ihnen mündete der lange Gang, den sie entlangschritten, in eine große Doppelflügeltür, in die ein magisches Symbol eingelassen war. Es zeigte ein Auge ohne Pupille, welches für das allumfassende Wissen dieser Dimension stand. Haku hatte es schon ein Mal gesehen, auf dem Vertrag, den er damals im Badehaus unterzeichnet hatte. Es galten die alten Gesetze, es symbolisierte die wahrhaft alte Magie dieser Welt.

"Ich begleite dich nicht hinein", sagte Shouta und postierte sich neben der Tür, die Arme streng auf dem Rücken verschränkt. "Was immer dich da drinnen erwartet...", setzte er an, unterbrach sich dann aber und schloss einen Moment die Augen.

Ein Novize, der... Mitleid hat. Dass ich das noch erlebe, dachte sich Haku und neigte dem jungen Mann den Kopf.

Shouta nickte, denn alles Unaussprechliche war gesagt, und öffnete die Tür, den Blick demütig von dem abgewandt, was im Inneren lag.

Haku entschied alles Kommende anzunehmen, wie es jeder Gott seit jeher bedenkenlos tat. Der Unterschied war nur, dass Haku sich so sehr zwingen musste, diese Einstellung beizubehalten, statt an das zu denken, was ihm so schwer auf dem Herzen lastete. Ein einziger, egoistischer Wunsch.

Lass mich deine Stimme hören. Sprich mit mir. Nur ein Mal noch... Bitte.

Spirited. Always.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt