Spirited. Always.

Drache und Bestie

Knistern. Ja, ein Knistern wie eine ungreifbare Spannung in der Luft, die eine Brücke aus Funken zwischen ihnen schlug und das Schweigen nicht zur Stille werden ließ. Chihiro wusste genau, was Haku bezwecken wollte, sie spürte die offene Herausforderung, wusste, dass es wieder mal eine Prüfung war, derer sie sich unterziehen sollte. Und in einer hinteren Ecke ihres Gewissens, in dem der Stolz wohnte, beleidigte es sie zutiefst, dass er glaubte, sie würde sich in diesem Moment von seinem stechenden Blick einschüchtern lassen. Es mochte ja sein, dass sie einem Drachen gegenüber eine gewisse menschliche rationale Vorsicht walten ließ, doch nun war der Zeitpunkt gekommen, in welchem sie die Wahrheit aus dem Mund eines Freundes hören wollte. Es war an der Zeit, die Karten offenzulegen - Chihiro durfte nur nicht einknicken. Ihr war schleierhaft, weshalb Haku sich so zierte und mit ihren heißersehnten Antworten hinter dem Berg hielt. Sie war erneut in diese Welt hineingestolpert, stand wieder hier, an der Seite eines alten Seelenverwandten. Ein Freund, der ihre Nähe suchte und der sie selbst in einer anderen Dimension mit seinen Rufen erreicht hatte... All dies, nur um hier einen Abstand zu wahren, mit dem Chihiro nicht umzugehen wusste. Eine Kluft aus Verschwiegenheit, der willentlich oder unwillentlich geschaffen hatte - und Misstrauen? Eine sinnvollere Beschreibung wollte ihr kaum in den Sinn kommen, denn genauso fühlte es sich inzwischen an. Ähnlich einem Kind, das man mit Süßigkeiten lockt, ihm dann aber nur einen Blick auf das verpackte Versprochene gewährt.

"Wenn du es nicht tust, tu ich es", durchbrach Zeniba den sich ewig hinziehenden Moment, platzte hinein in dieses stumme Duell, in dem braune und grüne Augen miteinander einen Kampf fochten. Doch auch der Blick der Hexe ließ keine Gnade zu, die einem Gegner hätte gewährt werden können. Sie stand hinter ihrer kleinen Menschenfreundin und wollte ebenso verhindern, dass Haku die von ihm geschaffene Barriere zwischen ihnen erhielt.

"Also?" Zeniba spielte nicht, und Haku ließ sich wahrlich nur schwer beeindrucken. Er stand noch immer an Ort und Stelle, fesselte Chihiros Blick mit dem seinen und schien nach wie vor zu erwarten, dass sie aufgab. Würde ihm bald klarwerden, dass es dazu nicht kommen würde? Allein die Tatsache, dass er sich so bedeckt und verschlossen gab, erschien Chihiro wie ein Sturm auf offener See; sie war das Boot in den Fluten, welches den Launen des Windes aufgeliefert war.

Du kannst mich mal, dachte Chihiro nun bitter, als Haku nicht nachgab. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und hob das Kinn, ehe sie ihren Gedanken freien Lauf ließ: Du kidnappst mich und sagst, ich soll dir vertrauen. Du erwartest, dass ich dir folge und brav tue, was du sagst, ohne Fragen zu stellen, weil wir uns vor Jahren gekannt haben. Und jetzt, wo du mir endlich sagen könntest, was zur Hölle mit dir los ist und wie ich dir helfen soll, bekomme ich die giftigen Blicke eines verstummten Reptils?!

Das hatte wohl gesessen, denn mit einem Mal verschwand das Funkeln in den smaragdenen Augen. An seine Stelle trat ein neuer Ausdruck. Jener, der Chihiro schon bekannt war. Und mit Schrecken beobachtete sie, wie das helle Leuchten rasch verschwand; ein brausendes Meer, über dem ein milchiger Nebel aufstieg und der das herrlich lebendige Grün verschluckte, bis nur ein totes Weis an seiner Stelle zurückblieb.

"Haku", wisperte sie mit dünner Stimme, hauchte seinen Namen wie eine Bitte.

"Weg von ihm!" Zeniba packte Chihiros Arm gerade rechtzeitig, als Haku nach vorn stürzte. Sein Angriff ging ins Leere, doch er fasste sich schnell und schoss auf Chihiro zu, die wie eine Marionette in Zenibas Armen hing. Sie wollte auf die Beine kommen, nachdem die Hexe sie fortgerissen hatte, kam aber nicht dazu, denn Zeniba vollführte ihren Zauber erneut und ließ Chihiro in Richtung des Hauses schweben. "Ist es schon so weit mit dir, junger Drache, dass du sie angreifst!"

Haku war nicht widerzuerkennen. Die Bestie war erschienen.