Da war es. Das Ziehen, ein sanftes Zupfen am anderen Ende. Chihiro zwang ihre Aura über ihren Körper hinauszutreten. Neben der enormen, geistlichen Fokussierung war es selbst körperlich unheimlich anstrengend, fast so, als würde man nach einem harten Krafttraining eine quälerische Extrarunde dranhängen, obwohl sich alles in einem bereits schlapp und zugleich aufgeladen vom Adrenalin anfühlte.
Diese Art von Macht, dieses erhebende Gefühl, war schwer in Worte zu fassen. Ihre Energie, ihr ganzes Sein aus ihrem Körper zu zwingen, um die Verbindung zu stärken, die wie eine Brücke war zwischen ihrem Innersten und dem seinen, forderte gleichermaßen physisch wie psychisch seinen Tribut. Die sich langsam ausstreckende Kraft war nicht nur wie eine geistige Verlängerung ihres Arms, sondern ein Stück ihres ureigenen Bewusstseins, das sie über die Grenzen ihres Körpers hinausdrängen konnte; als würde man eine schwere Feuerschutztür aufdrücken wollen, hinter der sich Wasser staute, und zugleich feststellte, dass sich dahinter ein Ozean befand, in dessen sanfter Strömung mann dahintrieb.
Sie musste es sich vorstellen, ihre Macht darauf konzentrieren. So rief sie sich die Erinnerung an die Bindung zu Haku zurück, die sie zuletzt vor Tagen gespürt und von der sich nicht geahnt hatte, dass sie sie so sehr vermissen würde. Dass sie so real und gleichzeitig nicht greifbar war, dass sie sich federleicht und doch so unerbittlich katastrophenfest wie das tief in der Erde verankerte Wurzelgeflecht eines jahrhundertealten Baums anfühlte. Dass sie in Farben erstrahlte, die ihr vorher nicht in dem Maße aufgefallen waren: Farben von schillerndem Grün, mattem Blau und edlem, blütenreinen Weis.
Die Verbindung war nicht zerrissen, wie Chihiro befürchtet hatte, nachdem ihr Kontakt zu Haku so abrupt abgebrochen war. Von einem festen, soliden Tau war sie zu einem Spinnenwebfaden gewichen, abgeschwächt durch die Auszehrung, die Haku ertragen musste, und die Distanz, welche sich schleichend zwischen ihnen entwickelt hatte.
Schlagartig wurde ihr bewusst, warum sie nicht zu dem Dämon durchdringen, seinen Schatten nicht fortreißen konnte. Die Verbindung hatte niemals zwischen ihr und dem Biest selbst bestanden. Es war Haku, den Chihiro spüren konnte, wenn auch beinahe erdrückt von der geballten Macht des Dämons, der sich seiner bemächtigte. Eine Macht, die sich auf einer anderen Ebene bewegte und von der ihren so weit entfernt lag, dass man sie nicht messen konnte; Dimensionen trennten sie. Ähnlich war es anfangs auch mit Haku gewesen. In der Menschenwelt war er ein Fluss, hinter dem ein gewöhnlicher Mensch niemals eine reale, atmende Person vermuten würde, die aus purer göttlicher Kraft bestand. Allein durch Haku's Entscheidung, Chihiro das Leben zu retten, hatte er die Dimensionsgrenzen wie marode Wände eingerissen, die zwischen ihnen lagen, sodass Chihiro von diesem Augenblick an ein Teil seiner Welt sein durfte.
Ich bin hier, rief sie ihm zu, als sie seine Anwesenheit spürte, die trotz allem zu weit entfernt schien. Kaum mehr als der Geruch nach frischem Regen oder das Hinüberwehen eines leisen Windzugs. Haku, komm zu mir!
Worte, die sie schon einmal benutzt und die er gehört hatte.
Als würde sie mit allem, was sie noch in sich trug, die Hand nach ihm ausstrecken, glitt die Kraft durch die Verbindung, um blind zu ihrem Ziel zu gelangen.
Der Dämon existierte in dieser Dimension nur, weil Haku - ausgenutzt in seinem schwächsten Zustand - als lenkbarer Körper herhielt. Gleich einem Virus, das ein technisches System befiel, hatte der Dämon sich in Haku's Geist platziert, ihn manipuliert und auf Fernsteuerung umprogrammiert. Ein Virus, das sich von außen nicht aufhalten ließ.
Darum soll Haku gefressen werden, wurde Chihiro nun schlagartig bewusst.
Wie der Dämon lebte auch Haku in einer anderen Dimension, weit entfernt und unerreichbar für jene, die keine Verbindung zu ihm hatten. Haku wurde aus der Menschenwelt vertrieben, denn dort wurde das Spiegelbild seiner Seele zerstört, indem der Fluss zugeschüttet worden war. So entmachtet war das Zauberland sein einziger Rückzugsort, doch er war so unglaublich angreifbar gewesen, dass der Dämon das ohne Zögern ausgenutzt hatte.
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Spirited. Always.
FanfictionNie hätte Chihiro geglaubt, dass ihre Träume in Wahrheit Erinnerungen an eine Vergangenheit sind, in der sie sich mit alten Hexen, Verzauberungen und Gottheiten hatte herumschlagen müssen. Aber alles war real gewesen - ER war real. Obwohl Chihiro ih...