Mit dem Wind

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Chihiro unterließ es mittlerweile, ständig einen Blick über die Schulter zu werfen, auch wenn ein Teil von ihr immer noch befürchtete, einen gewissen blonden Schopf zwischen den Baumkronen unter sich zu erspähen, der ihnen ohne Unterlass folgte. Haku hatte inzwischen bestimmt etliche Meilen zwischen sie und die Novizen gebracht, aber woher wollte Chihiro schon wissen, wie schnell diese einen Weg finden würden, wieder aufzuholen?

Über diese Entfernung werden sie uns nicht so bald aufspüren können, beruhigte Haku sie.

"Aber sie werden uns irgendwann wieder einholen, nicht wahr?", fragte sie beunruhigt. Da Haku ihr die Antwort schuldig blieb, konnte Chihiro sich selbst den Reim darauf bilden; sie hatten nur etwas Zeit gewonnen, ehe sie wieder vor dem gleichen Problem stehen würden wie noch vor einer Stunde. Die Novizen würden sie nicht einfach ziehen lassen, solange sie der Überzeugung waren, dass von Haku - den sie nur in seiner Drachengestalt kannten - eine Gefahr ausging. Chihiro mochte nicht viel davon verstehen, was für ein Problem die Novizen in ihm sahen, aber es war unverkennbar. Wenn sie doch nur mit ihnen sprechen könnte! Hora würde ihr gewiss Gehör schenken. Oder Saya...

Es wird dir nichts geschehen, das verspreche ich.

Chihiro lachte bitter auf. "Sie sind nicht hinter mir her, Haku!"

Ich kann recht gut auf mich achtgeben, versicherte er. Die letzten Jahre habe ich schließlich auch überstanden, ohne mich gefangen nehmen und einsperren zu lassen.

"Dafür war es vorhin aber schon verdammt knapp", entgegnete sie zähneknirschend und schauderte, was aber nicht an dem fahrtaufnehmendem Wind lag. Chihiro fröstelte, als ihre Aufregung abebbte und den hitzigen Adrenalinschub drosselte, und presste sich wieder in Haku's weiches Fell. Sie hatte das Gefühl, als würde sie in der eigentümlichen Wärme seines Körpers einen Trost finden, der ihre aufwirbelnden Gedanken und Ängste zur Ruhe kommen ließ. Wann immer sie sich von diesem Meer aus Hitze und spürbarer Lebendigkeit umfangen ließ, vergingen ihre beklemmenden Sorgen und sie konnte innerlich wieder aufatmen. Der Puls, den sie unter ihren Fingerkuppen spürte und der sich auf den ihren einstimmte (oder war es umgekehrt?) und das beständige Beben, welches durch tiefe Atemzüge durch seinen Körper ging, machte ihr den Gedanken an seine göttliche Unsterblichkeit schier ungreifbar. Wie sollte sie diese Gedanken nur vereinbaren? Haku war ein Gott - egal, was derzeit mit ihm auch geschah - und dennoch nahm sie ihn als Menschen war. Er atmete, fühlte Dinge wie Sorge, Wut, Entschlossenheit und Hoffnung, er lebte nach moralischen Grundsätzen und empfand Richtig und Falsch. Er besaß ein Herz - was wäre schon menschlicher? Und dennoch sah er sich allem überlegen; trotz seiner Vorsicht scheuten die Novizen ihn nicht, obwohl Chihiro von ihrer Bedrohung für ihn allmählig überzeugt war.

Sie begreifen die Lage nicht, sagte er in die Stille hinein. Sie halten mich für einen Schüler der Zauberei, der sich in den Schwarzen Künsten versucht und dem nicht standgehalten hat. Ein Abtrünniger, der den rechten Pfad verlassen hat. Und wäre dem so, wären mein Blut und mein Verstand davon vergiftet.

"Aber sie liegen damit falsch", schloss Chihiro, deren Körper sich beinahe der Ermüdung hingegeben hätte, und blinzelte geblendet, während die untergehende Sonne ihre orange-roten Strahlen auf das Wolkenmeer warf, das an ihnen vorbeizog. Sie sammelte von Neuem ihre Gedanken und begriff einfach nicht, weshalb Haku sich so sehr gegen eine Aussprache mit den Novizen sträubte. Also nahm Chihiro in ruhigem, aber eindringlichem Tonfall nachmals Anlauf: "Einige von ihnen sind vernünftig, Haku. Sie haben sich mir gegenüber als sehr hilfsbereit und gastfreundlich erwiesen und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich nicht darauf einlassen würden, uns erklären zu lassen. Wenn wir ihnen beibringen würden, was wirklich vor sich geht, würden sie die Jagd vielleicht einstellen. Womöglich würden sie sogar ihre Hilfe anbieten"

Spirited. Always.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt