Überall sah sie sich von Grau umgeben; Wände, die den Maschinenraum metallen und rostrot ummantelten, und ein starker Geruch aus Kräutern und Feuer legte sich um Chihiro, als sie die robuste Stahltür, die sich nur schwer bewegen ließ, kraftvoll aufstieß. Kaum jemand war sich Kamajis überhaupt bewusst. Völlig unscheinbar verbrachte er seine Zeit ausschließlich hier, Tag für Tag in seinem kleinen Reich schuftend, und empfing im Grunde keine Besucher. Bis auf Lin, die ihn mit Mahlzeiten versorgte, gab es ohnehin niemanden, der es für außerordentlich nötig hielt. Chihiro durfte einst einen Blick hinter die Fassade werfen, die der Alte um sich herum geschlossen hatte - Mauern, so dick und eisern wie seine Werkstatt. Aber mit einem warmen Gefühl dachte sie an ihn zurück, denn trotz der widerspenstigen Art, mit denen er Anderen begegnete, steckte ein wirklich weiser und warmherziger Mann in ihm.
Düfte nach Rosen und Lavendel stachen hervor, als sie zielsicher durch den schmalen Gang in Kamaji's kleine Höhle trat. Es erklang die altvertraute Melodie rotierender Zahnräder und das Krächzen eines sich stetig öffnenden und schließenden Schlunds, der gierig schwarze Kohlebrocken schluckte.
"Ach, verdammt!" Ein Klimpern begleitete sein genervtes Schimpfen. "Na los, meine Kleinen, es gibt viel zu tun!" Raschelnd schlüpften die winzigen schwarzen Rußmännchen aus kleinen, in die Wand eingelassenen Öffnungen und bewegten sich über den staubigen Boden, als auch Chihiro sich hineinwagte. Kamaji's Anblick verstärkte in ihr das Gefühl, nie fortgegangen zu sein: Wie eh und je saß er auf seinem Platz und alle sechs Arme waren in Bewegung. Routiniert drehte er die Kurbeln des riesigen Heizkessels, malte traditionell mit Mörser und Stößel Kräuter für die Bäder, zog an den herabhängenden, kordelähnlichen Mechanismen, von denen jeder seine Funktion erfüllte, und legte sich die Plaketten zurecht, die sich auf der Ablage neben ihm allmählich türmten - ein Zeichen dafür, dass heute Abend viele Besucher erwartet wurden.
Chihiro verspürte Freude, doch sie brachte kein ehrliches Lächeln zustande. Es war, als sträubte sich ihr Innerstes dagegen, in seiner Gegenwart eine Maske aufzusetzen. Ihre nervenaufreibende Verunsicherung durch das, was sie eben belauscht hatte, ließ nicht zu, dass sie sich entspannte.
"Nun macht schon schneller, ihr unnützes Pack!", wetterte Kamaji und seufzte zornig in sich hinein.
Na, der hat ja super Laune, dachte sie schmunzelnd. Also, alles wie immer.
"Vielleicht würden sie effektiver arbeiten, wenn du mal nett zu ihnen wärst", warf Chihiro in den Raum, woraufhin Kamaji sich blitzartig zu ihr umwandte, offenbar nicht auf Gesellschaft gefasst. Sein Bart musste noch länger geworden sein - er schleifte ja beinahe schon auf dem Boden. Und doch blickte sie dasselbe überraschte, der Arbeit überdrüssige Gesicht an, an dass sie sich wieder gut erinnern konnte: vom Alter gekennzeichnet, ohne Kopfhaar, eine geschwungene Nase, auf der eine Brille mit runden, komplett geschwärzten Gläsern thronte. Er musterte sie seinerseits von Kopf bis Fuß. Nicht auf anzügliche Art und Weise und auch nicht neugierig, sondern viel mehr, als versuchte er ein Traumbild näher zu betrachten - ungläubig. Er sagte eine ganze Weile gar nichts, und sogar die kleinen Rußmännchen, die wie pelzige, schwarze Billardkugeln über den Boden huschten, verharrten gespannt in ihrem Tun.
Chihiro wollte gerade etwas sagen, als Kamaji schnaubte und sich abwandte. "Kleine Mädchen haben hier nicht's verloren", grummelte er und hob sich den Teekessel an die Lippen, um einen Schluck zu trinken, wobei ihm in seiner Eile die Flüssigkeit an den Mundwinkeln hinunter lief.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und trat näher. "Sind deine Augen denn so schlecht geworden? Du wirst alt."
"Und du wirst wohl immer frecher, Kleine", brauste er auf und drehte den Kopf in ihre Richtung. "Wenn du hier wieder eine Anstellung willst, bist du dümmer, als ich gedacht habe."
Chihiro blieb stehen als sie ihn erreichte und baute sich vor ihm auf. Seine Verdrießlichkeit war ihr keineswegs fremd und sie musste sich zusammenreißen.
Eine ganze Weile war es still. Kamajis Blick ruhte auf ihr und er ließ ihn nochmals sondierend über sie wandern, bis er seinen Gedanken aussprach: "Du bist alt geworden."
"Na, vielen Dank auch", murrte sie spielerisch und begann, zu lächeln. "Ich freue mich auch, dich wiederzusehen." Sie umarmte Kamaji so plötzlich, dass er zunächst nicht reagierte und drückte sich an ihn. "Alter Griesgram!"
Es brauchte ein paar Sekunden, ehe er ihr fest die Schulter drückte, was einer Umarmung gleichkam. "Immer noch so leichtsinnig wie damals", murmelte er in seinen Bart und schob sie sanft von sich. "Aber auch mutiger, wie es scheint."
Mutig. Seltsam, wenn andere einem Eigenschaften zuschreiben, die man selbst nie für sich gewählt hätte. "Ich fühle mich nicht mutig, Kamaji. Und je mehr ich zu verstehen glaube, umso weniger weiß ich."
Er nickte und wandte sich ab. Seine Hände nahmen ihre Arbeit wieder auf, doch die Präzision seiner Bewegungen und die Ruhe, die er auf einmal dabei hatte, kündeten von seiner eigentlichen Konzentration. "Ich weiß, wieso du hier bist", meinte er mit einem Hüsteln. "Und du weißt nicht, worauf du dich hier einlässt; die tiefe, ureigene Magie dieses Landes gerät aus dem Gleichgewicht und pendelt zwischen Licht und Finsternis. Du kommst vielleicht schon zu spät."
"Vielleicht auch nicht", hielt sie fest dagegen.
Die eingetretene Stille zog sich, ein prüfendes, herausforderndes Schweigen.
"Na schön", lenkte Kamaji schließlich ein und streckte einen seiner meterlangen Arme aus, "dann solltest du dich besser setzen." Er reichte ihr ein altes, zerknautschtes Kissen und wartete, bis sie auf dem Boden platz genommen hatte. "Ich werde dir erzählen, was du so unbedingt hören willst. Wenn du aber denkst, es könnte dir gefallen, täuschst du dich wie noch nie in deinem Leben."
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Spirited. Always.
Fiksi PenggemarNie hätte Chihiro geglaubt, dass ihre Träume in Wahrheit Erinnerungen an eine Vergangenheit sind, in der sie sich mit alten Hexen, Verzauberungen und Gottheiten hatte herumschlagen müssen. Aber alles war real gewesen - ER war real. Obwohl Chihiro ih...