Zwischen den Hortensien

152 18 3
                                    

In Chihiro brannte es, als sie Yama und Teban davoneilen sah. Eindeutig hatten sie es eilig und Chihiro konnte sich auf schrecklichste Weise vorstellen, weshalb. Jeder, der nicht als Gast des Badehauses kam, wollte Yubaba sprechen. Wenn die Novizen das Gespräch mit ihr suchten, gab es dafür einen naheliegenden Grund. Die Ahnung lag Chihiro so schwer im Magen, dass sie am liebsten gewürgt hätte.

Sie sah ihre Chance, schlüpfte aus der Halle in einen der versteckten Seitengänge, die für das Personal angedacht waren. Sie hüpfte immer gleich mehrere Treppenstufen hinunter und bewegte sich schnell und leise durch den Korridor, der an ein paar Abstellkammern grenzte und sie ins Eingangsfoyer brachte. Sie stoppte, als sie den Gong des Aufzugs hörte und sie Tebans Profil sah. Sein Blick war das, was sie als marmorn beschrieben hätte, und zielstrebig geradeaus geheftet. Yama und er legten ein Schritttempo an den Tag, welches keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass sie in wichtigem Auftrag unterwegs waren. Dabei wirkten beide nicht gerade fröhlich gestimmt. Vielleicht missfiel ihnen, was sie gehört hatten, mutmaßte Chihiro und machte sich daran, näher an die beiden heranzukommen und zu Lauschen. Ihre Münder bewegten sich, doch ihre Stimmen verschwammen wie das Geraschel von vom Wind getragenem Laub.

Verdammt, dachte sie sich und brachte ihre ganze Konzentration auf, um die beiden zu verstehen. Kommt schon, redet doch nur ein kleines Bisschen lauter.

Aber es half nichts. Wahrscheinlich müsste sie den beiden schon direkt an der Rückseite kleben, um auch nur einige Wortfetzen aufzugreifen. Vielleicht war auch Magie im Spiel, wie so häufig.

Magie, schoss es ihr in den Kopf und sie blickte kurz auf ihre Hand hinab, während sie an Teban und Yama dranblieb. Keine Ahnung, wie du funktionierst, aber... Hilf mir! Bitte. Ich muss wissen, was die zwei bereden!

Sie spitzte die Ohren und folgte den Novizen aus dem Badehaus. Sie nahmen nicht den Haupteingang, sondern verschwanden in einer Seitentür zu den großen Gärten, die an das Gebäude angrenzten. Für Chihiro war es nur von Vorteil: Zwischen den riesigen Hortensiensträuchen konnte sie sich nahezu blind bewegen, denn ihre Füße erinnerten sich noch genau des alten Pfades, eingeprägt wie die Gravur eines altgeliebten Schmuckstücks - jeder Gang, den sie gemacht hatte, um ihre Eltern zu sehen. Und dann, wie morgendlich aufkommendes Vogelzwitschern, hörte Chihiro sie:

".... nicht einfach", raunte Yama mit vor der Brust verschränkten Armen.

Teban antwortete: "... ein geblendeter Narr. Nicht mehr lange und man wird ihn überstimmen."

Chihiro entsandte ein stilles Dankgebet und strich mit dem Finger über den perlenartigen Stein ihres Rings, der zitternd zum Leben erwacht war, während sie sich nahezu geräuschlos durch den Garten bewegte mit kaum fünf Metern Abstand zu den Novizen.

Yama seufzte tief und klang erschöpft, als sie sprach: "Ich weiß auch nicht weiter, aber irgendetwas ist diesmal anders. Spürst du es nicht auch?"

Teban tat es mit einer Handbewegung ab, als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen. "Es ist unsere Aufgabe, Yama. So etwas dürfen wir um keinen Preis zulassen - schon gar nicht, nur weil du ein paar Gewissensbisse wegen des Mädchens hast!" Er schüttelte resginiert den Kopf. "So wie auch wir, wird Yubaba ihrer Pflicht nachkommen und sie herbeirufen. Dann wird alles ganz schnell gehen."

"Es ist sehr lange her, dass einer der Großen Drei angerufen wurde. Die Begegnung wird uns eine Ehre sein und trotzdem gefällt mir die Sache einfach nicht. Teban, vielleicht ist Hora nicht ganz im Unrecht." 

Die Großen Drei?

Yama blieb stehen und wandte sich Teban direkt zu. Auch Chihiro verharrte und blickte zwischen den abblühenden Blüten hindurch, bis sie schwarze Locken und Tebans graue Augen ausmachen konnte.
"Ich kann nicht glauben, dass du trotz allem Zweifel hast", bekundete er in einer Mischung aus Frust und Ärger.

"Du bist ein hervorragender Magier, aber vielleicht urteilst du diesmal vorschnell."

"Unsinn", tat Teban ihre Worte ab, woraufhin sich sein Unterkiefer kurz anspannte, als wollte er eine bissige Bemerkung hinunterschlucken. Er gewann schnell wieder die Fassung. "Ich habe das schon einmal mitangesehen, Yama. Was geschehen wäre, wenn die Brüder damals versagt hätten, wünschst du dir genauso wenig, wie ich. Ich sage dir, der Drache hat den ersten Test nicht bestanden, er wird den zweiten nicht bestehen. Und dann ist es eine Sache der Götter, wie es das immer schon war."

Yama murmelte etwas Unverständliches, das wie "Mag sein" klang, und setzte sich wieder in Bewegung. "Lass uns von hier verschwinden." Teban folgte ihr ohne weitere Worte.

Chihiro überlegte, ob sie ihnen folgen sollte, entschied sich aber dagegen. Aber war es jetzt noch ratsam, Yubaba aufzusuchen?

Es schien, als wären die Karten dieses Spiels neu gemischt worden und Chihiro konnte kaum urteilen, mit wem - oder gegen wen - sie eigentlich spielte. Sie kannte noch längst nicht alle Regeln und wusste nicht, mit welchem Blatt sie überhaupt eingestiegen war. Sie hätte Haku mehr bedrängen müssen. Hätte eine Erklärung nach der nächsten verlangen sollen, statt ihn mit ausweichenden Aussagen und Halbwahrheiten davonkommen zu lassen.

Nach jahrelanger Flucht wurde er von Zauberern gekidnappt, die sich überall als die für Recht und Ordnung sorgenden Auserwählten präsentieren. Ein Verein aus festgefahrenen Ratsmitgliedern und jungen Novizen, die sich nicht einmal in ihrem Handeln einig sind, rief sie sich wütend ins Gedächtnis. Als ob Haku da noch eine Wahl gehabt hätte.

Sie wandte sich um und ging zurück.
Auf Yubaba zu vertrauen war nicht die Lösung, aber es gab Andere, die ihr Gehör schenken würden und mehr wussten, als Chihiro es jetzt tat. Und sie wusste nun genau, zu wem sie gehen musste.

Spirited. Always.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt