Im Namen der Pflicht

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"Herrgott noch mal, Saya!"

Genervt entgegnete sie: "Du musst eben stillhalten!" Saya gab sich redlich Mühe, Yin mit sanfter Hand aus der netten kleinen Falle zu lösen, in die er geradewegs hineingetappt war. Sie war dem Punkt nahe, an dem sie die Hände in die Luft werfen und ihm sagen würde, er solle sich gefälligst selbst befreien - was ihm definitiv niemals gelingen würde. Yin, der wackere Hitzkopf, hatte es unbedingt selbst mit der Hexe aufnehmen wollen, obwohl Teban ihn überdeutlich angewiesen hatte, sich im Hintergrund zu halten, da er kaum dreizehn Jahre alt war und noch recht am Anfang seiner Ausbildung stand. Und nun hatte er sich direkt in eine - von Zeniba kreierten - Rankenhecke hineinmanövriert; die gut zwei Meter hohen Ranken wirkten wie eine Gitterwand (Saya fragte sich wirklich, wie Yin sie auch nur hatte übersehen können!) und sonderten ein extrem klebriges Sekret ab. Yin musste doppelt leiden: zum einen hatte er sich restlos in dem Wirrwarr verfangen, so als wäre er direkt hineingerannt, und zum anderen war jeder Rankenarm mit flauschigen, federartigen Blättchen versehen, die ein Eigenleben besaßen und ihren Gefangenen gnadenlos kitzelten, bis im die Luft wegblieb.

"Saya, t-tu do-och was!", flehte Yin zwischen atemlosen Lachern. Tränen rannen sein Gesicht hinab, während sein Bauch rhythmisch erbebte. "Ich ka-an nicht mehr!"

"Okay, na schön", murrte Saya und gab den Versuch auf, Yin's Wange vorsichtig von einem Rankenarm zu lösen. Stattdessen griff sie nach ihrem Speer, ließ ihn mit dem klingenbewehrten Ende schwungvoll durch die Luft gleiten und durchtrennte die Ranken, in denen Yin festhing, an der Wurzel. Der Kleine rollte sich auf den Boden und krümmte sich zusammen vor Lachen, ehe er sich auf den Rücken drehte und alle Viere von sich streckte, um wieder zu Atem zu kommen.

"Yin?!" Yama kam zwischen den Bäumen herbeigeeilt und blickte auf ihren kleinen Bruder, der sich wieder halbwegs beruhigt hatte. An ihm klebten noch immer die Ranken, aber immerhin setzten sie ihn nicht länger der Kitzel-Folter aus. Yama bückte sich zu ihm herab und fingerte an der Ranke auf seiner Wange. Sie verzog angeekelt das Gesicht und beäugte den gelbgrünen Schleim an ihren Fingerkuppen. "Igitt."

"Sie war ganz plötzlich einfach da, Yama! Ich schwöre, dass sie ein paar Sekunden vorher noch nicht dagewesen ist. Aber um ein Haar hätte ich die Hexe gekriegt!", verkündete Yin stolz und strahlte über das ganze Gesicht, obwohl Yama ihm gerade eine der Ranken von der Haut zog.

"Hast du gesehen, wo sie hin ist?", fragte Yama, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen.

"Shouta ist ihr nachgejagt, als sie da entlang verschwunden ist." Yin wies in den Wald hinter sich und zuckte die Schultern. "Aber es war schon merkwürdig, dass sie sich in einen Vogel verwandelt hat. Irgendwie unspektakulär, findet ihr nicht auch?"

Saya schüttelte über Yin nur den Kopf. Es wunderte sie, dass man ihn überhaupt auf diese Mission mitgenommen hatte, schließlich war er noch unerfahren und definitiv zu tollkühn - er war mit dem Herzen bei der Jagd, nicht aber mit seinem Kopf. "Wir sollten uns jetzt den anderen anschließen", murrte Saya, die noch all ihre sieben Sinne beisammen hatte und ahnte, dass Teban sich gerade zweifellos über den Ausgang seines ach so perfekten Plans aufregte. Saya konnte sich denken, dass er die Schuld nicht bei sich selbst suchen würde, sondern dass sie sich seine Predigt erneut würde anhören dürfen, weil sie nicht seiner Meinung war.

"Du hast recht", stimmte Yama ihr zu und half Yin, der endlich von den Ranken befreit war, auf die Beine. "Wir müssen Teban und Shouta folgen, bevor sie ihren Vorsprung zu sehr ausbauen."

"Das dürfte interessant werden", bemerkte Saya trocken, "immerhin jagen wir hier dem Wind nach. Im wahrsten Sinne des Wortes."

Spirited. Always.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt