Vertrauen

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Chihiro wollte den Drachen in die Arme schließen, wie es in diesem Moment ihr innigstes Bedürfnis war, und streckte von neuem die Hände nach ihm aus. Ihre Handflächen kribbelten vor Vorfreude und Aufregung, während sich in ihrem Inneren eine herzliche Wärme ausbreitete, die selbst ihre Seele erreichte.

Kaum dass sie die feinen Silberhaare um sein Maul herum berührte, preschte er urplötzlich nach vorn und stieß Chihiro nach hinten um, sodass sie auf dem Rücken im hohen Gras zum liegen kam. Völlig perplex blinzelte sie und hätte sich aufgerappelt, wenn ein forsches "Bleib unten!" in ihrem Kopf sie nicht zurückgehalten hätte. Verwirrt sah sie zu ihm auf, als er sich zu ihrer Linken aufbäumte - in der furchteinflößenden Art und Weise, die jeden Menschen zur Salzsäule erstarren ließ. Seine Anspannung war mit den Händen greifbar, wie ein Prickeln in der Luft, und seine Sinne richteten sich in alle Richtungen. Chihiro rollte sich vorsichtig auf den Bauch und ging in die Hocke, hielt den Kopf gesenkt und versuchte zu erspähen, was ihn derart in Alarmbereitschaft versetzte. Zunächst glaubte sie ein Geräusch zu hören und hielt es für Einbildung, so leise und unwirklich schien es. Als der Drache jedoch herumwirbelte und mit seinem langen Körper dem auswich, was als glitzerndes Geschoss durch die Luft surrte, wurde sie eines Besseren belehrt. Chihiros Atem ging unregelmäßig, als mit einem Mal viele weitere dieser Geschosse auf den Drachen niederregneten und sie mit bloßem Auge erfassen konnte, worum es sich dabei handelte: fein wie Blitze und ebenso rasend schnell, dass man sie kaum mit einem Blick verfolgen konnte, sausten metallene Schließen durch die Luft, die Chihiro stark an Handschellen erinnerten. Sie waren groß genug, dass sie sich eine davon als Gürtel hätte umlegen können, und konnten demnach nur einem Zweck dienen...

Mit Entsetzen begriff sie, noch ehe sie Teban und die anderen sah, und rief warnend: "Sie wollen dich einfangen!"

Bleib unten, habe ich gesagt!

"Ich kann mit ihnen reden. Wenn sie wissen, dass von dir keine Gefahr ausgeht, dann -"

Du tust nichts dergleichen. Bleib liegen!

Sie wollte loslaufen, nur war der Drache weitaus schneller und fuhr mit dem Kopf herum, sodass sein langer Hals ihr im Weg war. Chihiro wollte protestieren, ihm sagen, wie lächerlich er sich aufführte - schließlich hatte sie die Erfahrung gemacht, dass die Novizen durchaus vernünftig gesinnt waren. Mit Sicherheit waren sie nur gekommen um den Menschen zu retten, den sie in ihre Obhut genommen hatten, und der mir nichts dir nichts von einem Drachen gekidnappt wurde.

"So lass mich doch mit ihnen sprechen!", drängte sie, als immer mehr dieser Schließen auf sie abgefeuert wurden. Der Drache wich ihnen geschickt aus, doch dann sah Chihiro etwas, dass ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Seine Augen, deren leuchtendes Smaragdgrün einem unheimlich kalten Weis wich.

Chihiro wusste nicht, was sie tun oder wie sie sich verhalten sollte. Es war plötzlich, als stünde ein Anderer vor ihr. Die innere Wärme verließ ihr Herz und wurde durch Angst ersetzt, während ihr Blick nicht von dem Drachen ablassen konnte. Die Vertraulichkeit war verschwunden, als hätte man einen Faden gekappt. Er bewegte sich mit todbringender Anmut, wann immer er den magischen Geschossen auswich, und jegliche Sanftheit in seinen Zügen verlosch. Als wäre die liebende Seele einem bestialischen Wesen gewichen.

Oh bitte nicht, flehte sie in Gedanken, als ihre Angst größer wurde und der Drache einem Geschoss nicht rechtzeitig entschlüpfen konnte. Metallisch glänzte der Reifen um sein rechtes Hinterbein und der Drache gab einen Laut von sich, der von einer kaum zu bremsenden Wut kündete. Augenblicklich schoss sie zu ihm vor und warf sich auf den Boden an sein gefesseltes Hinterbein, um an die gut zehn Zentimeter breite Schelle heranzukommen. Sie sah, wie sich das metallartige Material fest um den Knöchel schloss, vernahm dabei ein schreckliches Zischen, als es sich in die geschuppte Haut brannte. Dunkle Schlieren wurden an dem metallenen Bogen sichtbar und dunkle Ergüsse bildeten sich am Bein des Drachen. Bei genauerem Hinsehen stellte sie mit Erschrecken fest, dass sich etwas Schwarzes unter der verbrannten Haut bewegte, als hätte man tropfenweise Tinte in ein Wasserglas gegeben. Es pulsierte in dem steten Strom des Bluts in den Venen.

Wieder ein metallisches Klicken und ein Laut des Zorns, als sich eine Schelle um seinen Hals schloss.

"Hört sofort auf damit!", brüllte sie aus vollem Hals in Richtung der Bäume, in denen sie die Novizen vermutete. Ein Kloß in ihrem Hals drückte ihr die Luft ab, als sie die Wunden ihres Beschützers sah und seine zornigen Schreie vernahm, die von den Schmerzen zeugten.

Du musst verschwinden, dachte sie und hoffte, dass er sie erhören würde. Flieg! Flieg weg!

Und als hätte er es vernommen, hob er vom Boden ab. Statt sich aber in die Höhe zu begeben, wandte er sich um zu ihr und senkte auffordernd den Kopf. Chihiro sah unsicher zu, wie er mit dem Horn ihre Hand streifte und spürte das Drängen seines Halses an ihren Oberschenkeln.

"Was?!", dachte sie, als ein Bild an ihrem geistigen Auge vorbeizog. Sie. Sitzend auf dem weißen Drachen, seine Hörner von ihren Händen gepackt.

Wenn sie ihn in Sicherheit wissen wollte, konnte sie sich den Blick zu den gefletschten Zähnen nicht leisten, die sie aus dem Augenwinkel sehr wohl wahrnahm. Konnte nicht zu seinem Gesicht aufschauen und sich von dem Zorn, der dort wohnte, abschrecken lassen. Und so wagte sie es und drückte sich vom Boden ab, wand ein Bein um den starken Hals und schwang sich hinauf. Ihr Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren, ihr Atem ging stoßweise, während ihre Hände die rauen Hörner packten und ein Ruck durch ihren Körper ging, als der Drache aus dem Stand abhob. Sie riss sich zusammen um den Schrei zurückzuhalten, der aus ihrer Kehle zu brechen drohte, und kniff die Augen fest zusammen. 

Spirited. Always.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt