Chihiro fokussierte sich so sehr auf den Dämon, dass sie beinahe nicht mehr an das Meer gedacht hätte, das unter ihnen lag, welches ihr aber nun schmerzlich bewusst wurde. Sie hatte das Biest so überrumpelt, dass es sich nicht mehr in der Luft halten konnte und, mit ihr in seinen Klauen, in die Wassermasse stürzte. Der Dämon fing den Aufprall soweit ab, dass Chihiro nicht noch mehr Schaden nahm. Seine Masse verdrängte das Wasser durch den Rückenklatscher bei weitem weniger, sodass er nicht auf der Stelle vollständig versank, sondern nur halb darin eintauchte. In dem Versuch, sich auf den Bauch zu drehen, schlug er mit den Klauen und riss Chihiro damit kurzzeitig in die Fluten, durchnässte sie bis auf die Haut, ehe sein Griff sich löste und Chihiro durch ein paar Schwimmzüge etwas Abstand zu ihm gewann.
Verdammt, dachte sie und blickte sich suchend um. Ihr musste schnell etwas einfallen.
Was zum...?
Der Anblick, den sie über die geschlagenen Wellen erhaschte, war so flüchtig, dass sie ihn kaum zu deuten vermochte. Sie glaubte zunächst, es wären kleine Wassertiere, die über die Meeroberfläche huschten, aber dafür wurden ihre Gestalten dann doch zu groß, als sie näherkamen.
Was hast du getan?!
Sie wandte sich wieder dem Dämon zu, während sie sich mit kräftigen Arm- und Beinschlägen über Wasser hielt. Seine Stimme klang verzehrt, undeutlich über das Brüllen, das er ausstieß.
Wenn er jetzt einen Blitz speit, dachte sie und rang die Furcht nieder, die sich in ihr breitmachen wollte. Sie durfte nicht den Kopf verlieren.
"Chihiro!"
Chihiro streckte den Hals und erblickte die Gestalten, die über das Wasser rannten. Ihre Augen weiteten sich, als sie Teban erhaschten, der mit entschlossenem Gesichtsausdruck geschmeidig von Welle zu Welle hüpfte, ohne in ihnen zu versinken.
"Mach, dass du da weg kommst!", rief er und war nun so nahe, dass sie ihn deutlich sehen konnte: Sein blondes Haar klebte ihm nass im Nacken, die stahlgrauen Augen waren unnachgiebig auf den sich im Wasser windenden Dämon geheftet, seine Bewegungen präzise wie die eines Jägers, der seine Beute erblickt hatte.
Es war anstrengend, sich gegen das Meer zu behaupten, und Chihiro spürte, wie ihr die Kraft schwand. Lange würde sie das mit ihren Verletzungen nicht durchhalten.
"Hilf mir", bat sie Teban lauthals, hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, die Sache zu beenden und der Tatsache, dass sie das im Wasser strampelnd nicht fertigbringen konnte.
Teban warf ihr kurz einen Seitenblick zu, entschied sich aber, dass der Dämon seine Aufmerksamkeit mehr erforderte. "Schwimm, Mensch! Die anderen sind gleich da." Und damit hatte sich das Thema wohl für ihn erledigt, denn er stürmte mit einem gezückten, dreizackigen Dolch in jeder Hand auf den Dämon zu.
Ach, jetzt bin ich wieder der Mensch, na schönen Dank auch - für gar nichts!, fauchte sie ihn in Gedanken an und schwamm ein paar Meter, um sich aus dem Gefecht herauszuhalten. Suchend schaute sie in die Richtung, aus der Teban gekommen war. Er war nicht allein gewesen, also mussten die anderen dicht bei ihm sein. Aber wo nur? Wo?
"Nimm meine Hand!" Chihiro riss den Kopf nach hinten und schaute in ein Gesicht, das lange nicht so trübe dreingeblickt hatte. Ihr Haar war halb durchnässt, wie auch ihre Kleidung, dennoch bewegte sie sich genauso mühelos über das Wasser wie Teban es tat. "Na, mach schon!" Chihiro ergriff Sayas Hand und ließ sich von ihr hochziehen. Ihre Freundin hielt sie mit nur einer Hand um die Taille fest, während sie mit der anderen über Chihiro's Beine strich und murmelte: "Bei dem Eid, den ich geleistet habe und der mich bindet, befehle ich dir, standhaft zu sein." Chihiro unterdrückte ein schmerzliches Aufkeuchen unter Saya's Griff. Sekunden später stand Chihiro, als wäre das Wasser nicht länger zum Eintauchen gemacht. Es erinnerte sie eher an ein Wasserbett, auf dem sie nun in unsicherem Stand hin und her schwankte. "Du musst es ausbalancieren", wies Saya sie an. Wirklich gewöhnen konnte Chihiro sich an dieses Gefühl nicht und suchte Halt bei Saya, die sie bei den Oberarmen packte.
"Achtung, Welle! Du musst draufspringen", warnte Saya und half Chihiro, als diese ins Straucheln geriet. "Jetzt, spring!"
Und sie beide sprangen - Saya weit eleganter - und nutzten den Schwung, um in einen kurzen Lauf zu fallen. Ihre Beine trugen sie über das Wasser.
"Schaffst du es allein zum Ufer?", wollte Saya wissen und deutete in die Richtung.
"Ich weiß, wie man ihn aufhalten kann", setzte Chihiro an und kam wacklig zum Stehen. "Aber ich muss dafür nah an ihn heran." Ein Schulterblick sagte ihr, dass die Novizen vereint auf den Dämon losgingen, ihn umzingelten und von allen Seiten angriffen. Er brüllte vor Zorn, doch scheinbar hielten sie ihn davon ab, sich in die Lüfte zu erheben.
Gut so, dachte Chihiro und suchte noch einmal die Wärme in Saya's unverdecktem Auge. "Vertrau mir, bitte."
Saya kaute auf ihrer Unterlippe, ein knappes Zögern. Dann aber nickte sie. "Wie nah?"
"Sehr nah."
"Was soll ich tun?"
Chihiro warf ihren Zopf zurück, der sich um ihren Hals wickelte, und versuchte aus eigener Kraft auf dem Wasser zu stehen. "Sauer ist er schon mal, das steht fest", murrte sie, als sie die bibbernde Energieaura sah, die sich wie ein Schatten um seinen Körper ausbreitete. "Er muss seine ganze Aura entfalten, Saya, verstehst du? Er muss auf hundertachtzig sein! Das", sie deutete auf den Kampf, "reicht noch nicht aus."
"Ihn wütend machen, hm?", meinte sie mit einem leisen Lächeln und griff in die Innentasche des Mantels, den sie trug. Sie holte etwas daraus hervor, das auf den ersten Blick wie Stacheldraht aussah, sich bei näherem Hinsehen aber als Peitsche entpuppte. Eine Peitsche mit fünf Schwänzen. "Na, das sollten wir hinkriegen."
Chihiro verdrängte den Gedanken daran, dass sie damit auch Haku verletzte, denn es war immer noch sein Körper - irgendwie. Aber das durfte jetzt nicht ihre Hauptsorge sein.
"Dann los."
Saya ließ Chihiro etwas abseits des Kampfes zurück und eilte dann an Yama's Seite. Die schwarzhaarige Schönheit attackierte den Dämon mit Wellen, die sie mit ihrer Magie immer und immer wieder über seinem monströsen Kopf zusammenbrechen ließ. Saya holte mit ihrer Peitsche aus, ließ sie auf den Rücken der Bestie hinabsausen. Sichtbare Spuren hinterließ es nicht, doch das Vieh brüllte entsetzlich und zuckte am ganzen Leib, als würde Saya's Macht ohne Erbarmen durch ihn hindurchfahren. Sein Schweif zuckte unablässig, während Shouta in nächster Nähe mit ihm rang. Klauen schlugen nach ihm, doch Teban gab seinem Freund Rückendeckung.
Mit leichtem Entsetzen beobachtete Chihiro die Szene, während sie über jede kommende Welle sprang und sich instinktiv zusammenkrümmen wollte, wenn ihre gebrochene Rippe durch die Bewegung schmerzte. Sie ließ die schwarze Aura nicht aus den Augen, sah mit an, wie sie Stück für Stück über Haku's deformierten Leib hinausging.
Teban jagte mit seinen Händen etwas durch den Körper des Dämons, das einem Stromschlag glich - irgendein Zauber, der seine schwarzen Schuppen versengte. Leuchtend violett hoben sich Adern von der Haut ab, was den Dämon laut kreischen ließ. Ja, das hatte eindeutig wehgetan.
Er wand sich vor Schmerz, wälzte sich im Wasser und wollte die Novizen abschütteln, die sich überall an seinen Körper hefteten und ihn bearbeiteten.
Jetzt, dachte Chihiro und sprintete los.
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Spirited. Always.
FanfictionNie hätte Chihiro geglaubt, dass ihre Träume in Wahrheit Erinnerungen an eine Vergangenheit sind, in der sie sich mit alten Hexen, Verzauberungen und Gottheiten hatte herumschlagen müssen. Aber alles war real gewesen - ER war real. Obwohl Chihiro ih...