Kapitel 9

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Wie sich herausstellt ist Robin ein ziemlicher Raser und so düsen wir in Höchstgeschwindigkeit zur Küste und halten dann vor einem kleinen Stand, wo mein Vater einem jungen Mann in Uniform die Schlüssel zuwirft. „Pass gut drauf auf.", warnt er ihn. „Natürlich, Sir.", gibt der Mann als Antwort, dann steigt er ein und fährt den Wagen weg. „Die Archers sind bestimmt schon drinnen." Und wir bald auch.

Die Familie sitzt auf einer Plattform draußen am Restaurant mit einer bombastischen Aussicht auf das blauschimmernde Meer. Als wir uns dem Tisch nähern, steht sofort ein dunkelhaariger Mann auf, der schon leichte graue Strähnen und braune Augen hat. Er öffnet die Arme und ruft Robin etwas zu. „Na, wer kommt denn da? Der alte Rob Connors." Er schließt ihn brüderlich in die Arme und klatscht ihm auf den Rücken. „Dir auch einen guten Abend, Harry.", lacht mein Vater und erwidert das Hauen auf den Rücken. Als sie sich trennen, fällt der Blick von Harry auf mich. „Und die schöne, junge Dame muss deine Tochter sein."

„Lyra Green." Er nickt lächelnd und umarmt mich dann auch kurz, was ich nicht erwidere und danach noch unauffällig einen Schritt nach hinten gehe. „Wie konntest du nur sowas Hübsches machen, Rob?" Ein Blick zu Ash und Heidi zeigt mir, dass nicht nur mir diese Schmeicheleien nicht gefallen. „Meine Mutter war schön." Über meine Worte, die ich völlig kalt rübergebracht habe lacht man. Man nimmt sie wohl als Witz auf. „Wunderbar. Lyra, ich bin Harry Archer. Dein und James Patenonkel. Wenn der Alte hier also mal in den Himmel düst, bin ich für euch da." Ich starre den Mann nur an. Was redet der da nur? Zum Glück schenkt er seine Aufmerksamkeit jetzt James, den er auf die Schulter haut und so begrüßt. Danach setzen wir uns auch schon. Ich sitze vor dem Mädchen, das Venelope sein muss, neben ihr sitzt Ash neben ihm sitzt wiederum Heidi. James sitzt links neben mir am Kopf und Ed direkt rechst neben mir. Unsere Väter am anderem Ende, wo sie schon in ein lautes Gespräch gefallen sind, bei dem Heidi immer mal wieder versucht einen Kommentar reinzuwerfen, der aber meistens von den Männern ignoriert wird. „Ich bin Venelope, du kannst mich Ven nennen." Ich schaue zu dem rotblonden Mädchen mit den Sommersprossen und begutachte sie genauer. Sie ist sehr schön, hat die schlanke und kleine Figur und blaue große Augen ihrer Mutter, mehr aber auch nicht. Meinen Namen kennt sie ja schon, also sage ich ihn auch nicht nochmal. Es dauert nicht lange, da steht vor mir ein Teller mit einer Portion Nudeln und Soße und das unterscheidet sich sehr von dem Essen, das die Anderen vor sich haben. Stake, Meeresfrüchte, schicke Salate oder mini Essen, was kaum zu sehen ist. „Du solltest die Muscheln probieren, die sind köstlich.", rät mir Robin über den Tisch hinweg. „Ich mag keine Muscheln." Und damit ist das nächste mögliche Gespräch vernichtet. Robin lässt die Versuche glücklicher Weise und redet lieber mit seinem Freund weiter über Sport, Football und auch Geschäfte. „Und wie ist es so auf der Straße zu leben?", fragt Venelope lieblich und ich schaue von meinem Teller zu ihr. „Keine Ahnung, frag deine Mutter." Noch halten sich die Jungs daraus, aber mir ist klar, dass sich das ändern wird. „Wenigstens konnte meine Mutter für mich sorgen. Ich musste nicht Strippen." Natürlich redet sie absichtlich leiser, was gar nicht nötig wäre, bei der Lautstärke, die hier herrscht. „Deine Mutter lebt ja auch."

„Oh bitte, die Meine-Mutter-ist-gestorben-Karte? Ernsthaft?" Doch als sie das sagt ernte mal nicht ich die bösen Blicke, sondern sie. Besonders James funkelt sie an. Ich will grade überlegen, wo seine Mutter eigentlich ist, da klingelt mein Handy. Alle schauen zu mir und ich stehe schnell auf. „Muss mal eben." Ich eile vom Tisch zum Ende der Plattform und stelle mich an die Reling. Erst denke ich, es könnte Li sein, aber es ist die Nummer von Vivi. Die Anrufe meines alten Handys werden auf mein neues übertragen. „Hey, Viviv?" Ich rede gedämpft und halte Augenkontakt mit Ash, der mich über die Tische hinweg anschaut. „Beca wo bist du? Die Show beginnt gleich. Daddy Cherry ist am ausrasten. Er hat keinen Ersatz für dich."

„Vivi, ich komme nicht mehr. Ich wohne woanders." Kurz höre ich sie nicht mehr. „Haben die Bullen dich gekriegt?", fragt sie etwas in Sorge und ich überlege, wie ich es ihr am Besten locker erkläre. „Nein, nicht ganz. Mein Vater ist aufgetaucht und hat mich nach LA geschleppt. Ist nh lange Geschichte. Aber ich komme nicht zurück." Das ist wahr. Selbst wenn ich abhaue, dann ganz sicher nicht zurück in diese Ecke in Fresno. Dort würde man mich ja viel zu einfach und schnell finden. Ich schaue Ash noch immer in die Augen. „Krass.", sagt sie baff. „Ja, ich weiß. Du ich muss los."

„Mach das."
„Kommst du klar?", frage ich sie einfach. Sie ist zwar nicht meine Freundin, aber fragen kann man ja. „Ja. Viel Glück dir noch..."

„Lyra."

„Viel Glück, Lyra." Sie legt auf, ich stecke das Handy zurück und laufe mit großen Schritten zurück zum Tisch. „Wer war das denn?", fragt Venelope mit einem Engelslächeln, denn das Gespräch von den beiden Vätern ist kurz verstummt. „Eine Bekannte aus der Schule." Ich brauche nicht zu Ash zu gucken, um zu wissen, dass er mich so betrachtet, als wüsste er ganz genau, dass es keine Freundin war.

Am restlichen Abend geht Ven wenigstens mir nicht auf die Nerven, dafür aber Ashton. Immer wieder streichelt sie ihm über den Arm, Brust und sogar einmal über die Wange. Sie klimpert mit dem Wimpern, rückt an ihn und stellt ihm tausende Fragen. Ist das überhaupt erlaubt? Sie ist ja irgendwie seine Schwester. Obwohl, nein, noch nicht ganz. Heidi ist ja nur Harrys Verlobte.

„Was hältst du davon, Lyra?" Ich fahre zu Robin um. „Was?" Er lacht sachte. „Wie würdest du es finden, wenn wir am Wochenende mit unserem Boot rausfahren?" Ich zucke mit den Achseln. „Wenn es sein muss." Er nickt und gibt sich mit meiner Antwort zufrieden.

Nach dem Abendessen fahren wir wieder getrennt nach Hause und ich lege mich nach meiner Abendroutine schlafen. Es ist der erste Abend seit langem, an dem ich wieder intensiv über meine Mutter nachdenke. Warum hat sie Robin geschrieben? Einen Monat bevor sie starb? Ich muss den Brief lesen.

Das Spiel Mit Hass Und Liebe |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt