Kapitel 4

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„Setz dich. Es sind wie gesagt nur ein paar Minuten." Er zeigt auf eine der weiß, gepolsterten Bänke und legt meinen Rucksack auf einen Platz. „Den habe ich dir mal mitgebracht.", sagt er, als ihm mein Blick auffällt. Ich bedanke mich nicht, ist ja schließlich mein Rucksack. Er setzt sich an eine Bar und mixt sich selber ein bestimmt alkoholisches Getränk. Ich tigere umher und merke, wie meine Finger leicht zu zittern beginnen und mein Atem schneller wird. Nichts Tragisches, aber der hat hier bestimmt was zu essen. „Ich brauche was zu essen.", sage ich knapp und er schaut auf. „Nimm dir was. Dahinten ist ein Kühlschrank und hier an der Bar sind ein paar Snacks." Ich bedanke mich wieder nicht und laufe zum Kühlschrank, aus dem ich mir eine Fanta und einen Plastikbecher mit Obst nehme. „Geht es dir gut?", fragt er und ich spüre Schweißperlen auf meiner Stirn. „Bestens." Ich öffne die Flasche und trinke große Schlucke. Dann gehe ich zum Rucksack und krame mir daraus eine der drei Spritzen mit kurzanhaltenden Insulin. „Hey, hey. Was tust du da? Du nimmst unter meiner Aufsicht keine Drogen." Er ist aufgestanden und steht hinter mir, will wahrscheinlich nach den Spritzen greifen. „Das sind keine Drogen, das ist Insulin, du Volltrottel." Ich beiße die Kappe mit meinen Zähnen ab, hebe mein Shirt hoch und spritze mir die Flüssigkeit in den unteren Bauch. „Du hast Diabetes?"

„Also wenn du mich gefunden hast, wie kommt es dann, dass du das nicht über mich erfahren hast?", frage ich gereizt und ziehe die Spritze wieder raus. „Weil ich noch nicht an deine Krankenakte kam. Ich habe dich nur bei ein, zwei Treffen mit einem Dealer erwischt." Ich trinke wieder und schließe die Flasche dann. „Schlecht, hätte mehr erwartet. Und ja ich war bei Dealern, aber nur weil ich mir das Zeug selber kaufen muss. Ohne Ausweis versteht sich." Er nickt und fährt sich durchs dunkle, kurze Haar. „Wie viel Insulin hast du dabei?"

„Drei, jetzt zwei Spritzen. Damit komme ich noch bis morgen Mittag aus. Vielleicht etwas länger. Ist nur kurzwirkendes Insulin." Er nickt wieder und sieht etwas erleichtert aus. „Gut. Morgen haben wir einen Termin an der West Angels High Privatschule. Danach besorgen wir dir alles was du brauchst. Alles, nicht nur die Medizin." Ich hebe meine Augenbrauen. „Und was brauche ich sonst noch?"

„Kleidung, Alles was du willst, das wirst du kriegen."

„Dann will ich nach Hause. Zu meinem Zuhause.", sage ich entschlossen. „Du meinst die Bruchbude, die mit Schimmel verseucht ist? Deine Jobs, bei denen du grade mal den Mindestlohn verdienst und dich bei einem auch noch ausziehen musst? Und wahrscheinlich täglich mit deiner Krankheit zu kämpfen hast?" Ich balle meine Fäuste und mein Blut beginnt zu kochen. „Das ist mein Leben. Und ich komme ausgezeichnet klar."

„Hör mir zu. Bei mir wirst du alles kriegen. Und wenn du nichts Materielles willst, dann eben Bildung. Du machst deinen Abschluss und danach suchst du dir ein College aus, ich bezahle das Studium natürlich. Dir wird es an nichts fehlen." Hört sich verlockend an. Zu verlockend. „Der Haken?" Er reißt die Augen auf. „Kind, es gibt keinen! Du bist meine Tochter, das bin ich dir schuldig." Wäre ein Grund. Ich betrachte ihn nochmal ganz genau. Groß, dunkelhaarig, nicht von schlechter Statur, reich und gutaussehend. Dem kauf ich ab, dass er an irgendeinem Abend vor 17 Jahren in einem Strippclub eine junge Frau anschleppt.

Ach, Lyra hör auf, der Mann ist vielleicht dein Dad! „Ich will den DNA Test sehen. Wenn ich dir glaube, dann bleibe ich vielleicht."

„Das können wir so machen, aber egal was ist. Du bleibst bei mir." Ich drehe mich einfach um und greife nach dem stehengelassenen Becher mit Obst. „Ich haue ab, wann ich will und du wirst mich nicht aufhalten können." Er antwortet nicht, aber wir beide wissen, dass er es doch kann.

Den Rest der Fahrt bin ich still, bis er mir ein Papier vor die Nase legt. „Der Test.", sagt er stumpf. Ich stelle den leeren Becher beiseite und schaue ihn mir an. Keine Zweifel. Wenn ich rational denke, was ich immer tue, dann muss mir spätestens jetzt klar sein, dass dieser Mann, Robin Conners, mein leiblicher Vater ist. Mein Samenspender, diese Bezeichnung ist mir deutlich lieber. „Gut, du hast mit meiner Mutter geschlafen und hast sie mit mir zurück gelassen, dann wissen wir das jetzt auch.", sage ich so unbeeindruckt wie es mir möglich ist. Und das ist nicht grade einfach, denn in mir drin ist grade viel zu viel los. „Ich war dumm, Lyra. Es war eine einmalige Sache und sie wusste es. Sie war weg und hat mich erst, wie ich es dir bereits gesagt habe, vor einem Jahr geschafft zu kontaktieren. Ich hätte sie nicht allein gelassen, nicht mit meinem Kind."

Das Spiel Mit Hass Und Liebe |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt