Kapitel 12

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„Das nennst du heiß?", fragt mich Li mit großen Augen, als ich in ihr Carpio steige. „Ja und jetzt fahr."
„Du siehst aus, wie eine Nonne."
„Jetzt übertreibst du aber." Ich schaue an mir herab. Eine einfache Jeans, ein einfaches Shirt und eine Jeansjacke. „Warum ziehst du nicht eins der Kleider an, die wir besorgt haben?"

„Darum. Komm, jetzt fahr oder ich überlege es mir anders.", drohe ich und sie drückt auf den Startknopf. „Hast du schon jemanden im Blick?" Sie überlegt kurz. „Nein, aber wenn ich niemanden finde, schmeiße ich mich an Charles oder Ed ran."

„Toller Plan." Das Haus von diesem Olivier King ist etwas weiter weg und weiter auf dem Festland, als am Meer, so wie es das Haus von Li und das von Robin ist. Auch das ist riesig, aber etwas kleiner, wenn man das so sagen darf. Li parkt das Auto in einer nahegelegenen Straße, denn der Parkplatz des Grundstücks ist voller als voll. Und auch im Haus wird es nicht besser. „Ich hole uns was zu trinken. Was willst du?"

„Irgendwas mit Alkohol.", antworte ich und sie nickt grinsend. Ich bleibe relativ am Eingang stehen und halte Ausschau nach Jemanden, den ich kenne. Ashton, Edmond und James sind nur wenige Minuten vor uns losgefahren und müssten sich hier schon irgendwo rumtummeln. Als mir Li eine Flasche Bier reicht und einen Shot in einem kleinen Plastikbecher, exe ich erst den Vodka, dann schlürfe ich das Bier, während Li ebenfalls nach Jemanden Ausschau hält. Wen ich als erstes wieder sehe ist Ashton und dieses Mal ist es nicht Chaya an seiner Seite, sondern Ven und er sieht nicht glücklich darüber aus. Er schafft es sie abzuschütteln, als er zu dem Jungen mit den hellbraunen Haaren geht. „Das ist Charles.", erzählt mir Li. Und das hätte ich mir auch denken können. An beiden Seiten hängen zwei schöne Mädchen, die ihn verführerisch anlächeln. „Komm, lass und nach hinten gehen."

„Nach hinten?", frage ich unwissend. „Bei jeder Party gibt es einen Raum, in dem gespielt wird. Da ist mein Bruder immer, der wird uns schon reinlassen." Sie nimmt meine Hand und zieht mich mit sich nach hinten. Ohne zu klopfen schubst sie mich in einen Raum, der voll mit Rauch ist und in dem es stark nach Gras, Alkohol und Männerparfum riecht. Aber auch ein paar wenige Mädchen sitzen hier rum, zwei sogar auf den Schößen von Jungen. Insgesamt sieben Jungs sitzen um den runden Tisch herum, auf dem Karten und eine Menge Scheine liegen. „Ich dachte Partys wären nichts für dich." Ed lächelt mich mit in Falten gelegter Stirn von seinem Platz an und zieht einen Stuhl an seine Seite. „Woher sollte ich wissen, dass Party auch kiffen und spielen bedeuten kann?", antworte ich und ein paar müssen schmunzeln. Li schubst mich wieder am Rücken und ich gehe zu dem Stuhl neben Ed und setze mich neben ihn. Li setzt sich neben einen Jungen, der neben ihrem Bruder Mian sitzt. Als sie ihn beim Spielen mit Olivier anspricht, weiß ich natürlich, dass er der Gastgeber ist. Diese Runde schaue ich Ed dabei zu, wie er gewinnt und ganz schön absahnt. „Beeindruckt?", fragt er mich und legt einen Arm über meine Rückenlehne. „Gelangweilt." Er grinst und Olivier, der mir seitlich gegenüber sitzt reicht mir über den Tisch hinweg einen Joint hin. Alle Augen liegen auf mir.
Ich lehne mich zu ihm, nehme den Joint auf und ziehe dran, atme den Rauch tief ein und forme kleine Ringe, beim ausatmen. „Das ist ziemlich scharf.", sagt Ed leiser. Die Tür geht auf und hinein kommen Charles, Ashton und James. Ihre Augen landen auf mir, dann dem Joint und dann Ed. Ich weiß nicht ob es das Weed ist oder der Alkohol, aber ich tue es.

Ich ziehe so lange ich kann am Joint, wende mich Ed zu, lege meine Hand auf deinem Hinterkopf und lege ihm meine Lippen auf. Als er seinen Mund öffnet, lasse ich den Rauch raus zu ihm und unsere Zungen und Münder spielen solange mit dem Rauch, bis er verschwunden ist und ich mich wieder richtig hinsetze. Wie erwartet, alle, wirklich alle Augen von den Jungs liegen auf mir. Manche gucken als würden sie grade zum ersten Mal Titten serviert kriegen, James schaut eher angeekelt oder sauer und in Ashtons Blick ist pure Wut zu sehen. Li lächelt mich stolz an, die anderen Mädchen eher verachtend. Sie sind halt nicht auf diese Idee gekommen. „Schon besser.", sage ich zufrieden und Eds Finger streichelt mir über die Schulter. „Wir müssen gehen." Ich gucke zu Ashton hoch, der auf mich runterschaut und sich noch nicht gesetzt hat. „Edmond, ich glaube dein Babysitter ruft dich." Bevor die Asche vom Stummel zwischen meinen Fingern auf meinen Schoß fällt, ziehe ich noch einmal und gebe den Joint dann zurück an Olivier. „Du kommst auch mit.", das war James. „Ich glaube dein großer Bruder ruft dich." Ich und Ed stehen gleichzeitig auf, er sammelt noch sein Geld ein, dann laufe ich gradewegs zur Tür. „Was ist dein Problem?", fahre ich James an, noch bevor die Tür sich schließt. „Du bist mein Problem. Komm jetzt. Ich bring dich nach Hause."

„Ah, und wohin geht ihr danach wieder?"

„Das geht dich nichts an, neugieriges Gör." Ich will ihm am liebsten eine verpassen, halte mich aber zurück. „Etwa zu geheim? Haben die drei reichen Idioten etwa ein kleines Geheimnis? Hat bestimmt nichts mit deinen geröteten Fingerknöcheln oder euren blauen Lippen zu tun, nicht?" Da habe ich aber einen Nerv getroffen. Er greift um meinen Oberarm und schaut mich richtig sauer an, als könnten meine Worte ihm schaden. „Nein. Und du hältst deine Nase ab sofort aus Dingen raus, die dich nichts angehen.", knurrt er bedrohlich. Und dann falle ich in ein Flash Back.

Seine große Hand um meinem rechten Arm, seine drohende, dunkle Stimme, der wütende Blick. Es fehlt nur noch der Alkohol im Atem und der Verlust seiner Kontrolle, das ihn dazu bringt mir den Arm zu brechen. So war es bei Hank. So war es bei einem Freund meiner Mutter. Er hat mich an diesem einen Abend geschlagen und getreten. Er hat mir den Arm gebrochen.
James muss die Angst in diesem Moment in meinen Augen sehen und selbst Edmond und Ashton räuspern sich leise. Sein Griff tat nicht mal weh, die Erinnerung schon. Er lässt mich los und will was sagen. „Fick dich, James.", fluche ich mit leicht zittriger Stimme und eile zum Ausgang. „Oh, ich glaube du hast die Gefühle der Stripperin verletzt." Ven hat mir grade noch gefehlt, aber zum Glück sagt sie nichts weiter, nachdem Ed ihr sagt, sie soll die Klappe halten. Als ich draußen bin und Schritte hinter mir höre, mache ich mich bereit zu beleidigen, aber halte meinen Rand, als da nur Li steht. „Hey geht es dir gut? Man konnte euch noch ziemlich gut hören." Ich fahre mir durch die offenen Haare und nicke. Die frische Nachtluft tut mir gut und kühlt das heiße Gefühl in meinem Körper, das entsteht, wenn einem zu viele negative Gefühle hochkommen. „Kannst du mich einfach zurück fahren?"

„Ja, klar. Steig ein." Ich tue es und die ganze Fahrt bin ich still. Nicht, dass ich sonst viel reden würde, aber es ist eine andere Stille, eine nachdenkliche.

Meine Mutter hat mich immer beschützt, jedes Mal, wenn einer ihrer vielen Versager Freunde eine Bedrohung war, wenn ich krank war, als ich Diabetes bekam, als ich Hunger hatte, sie hat mich immer beschützt. Nur dieses eine Mal nicht. Meine Mutter war seit Monaten mit diesem Kerl zusammen und eigentlich vertraute sie nie niemanden mich an, nur ausgerechnet bei ihm ließ sie mich abends, als sie arbeiten ging. Es war nicht sonderlich tragisch, das habe ich ihr immer wieder gesagt und mir selbst auch. Es war nur ein Mal. Er hatte getrunken und ich war nun Mal ein Kind, ich muss grade mal zehn Jahre alt gewesen sein. Ich wollte unbedingt zu meiner Mutter und ging ihm dann so sehr auf die Nerven, dass er ausgerastet ist. Erst war es nur seine flache Hand, die meine Wange traf, doch dieser Schlag war der Beginn eines der schlimmsten Abenden in meinem Leben. Er traf mehrmals mein Gesicht und vier Mal meinen Bauch mit seiner geballten Faust, sein Griff war so stark, dass mein Knochen nachgab, als er mich schleuderte. Als meine Mutter nach Hause kam und mich fand, nahm sie mich und fuhr sofort ins Krankenhaus. Sie musste extra arbeiten, um mir den Gips zu bezahlen und musste sich immer wieder der Frage stellen, wie das passiert ist. „Sie ist die Treppe runtergefallen.", das ist der Satz, den sie sagte und den wohl jeder Kinderschläger sagt, wenn er gefragt wird, was passiert ist. Nachdem das passiert ist habe ich mir zwei Dinge geschworen.
1. Nie wird jemand davon erfahren. Meine Mutter hat sich selbst die Schuld dafür gegeben und keiner wird die Chance kriegen das auch zu tun.
Und 2. Ich werde es nie wieder soweit kommen lassen und nie wieder nichts tun. Weder bei mir selbst, noch bei Anderen.

„Schlaf gut, Lyra. Wenn ich James morgen sehe, kriegt der aber was zu hören." Ich habe gar nicht gemerkt, dass wir schon da sind. „Danke, Li. Gute Nacht. Tut mir leid, dass ich dich da weg gezogen habe." Sie tut meine Entschuldigung mit einer Handbewegung ab. „Schon gut, dafür sind Freunde doch da." Wieder lasse ich es zu, dass sie mich umarmt, obwohl ich grade jetzt darauf hätte verzichten können.

In der Villa kommt zum Glück keiner auf mich zu und ich kann ganz einfach in mein Zimmer, wo ich meine Abendroutine ablaufe und mich dann ins Bett lege, um vor der Glotze einzuschlafen. TV wirkt für mich wohl wie Einschlaftabletten.

Das Spiel Mit Hass Und Liebe |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt