Kapitel 74

10.5K 236 2
                                    

„Diese Paparazzi haben keinen Respekt."

„Streng genommen ist es ihr Job. Berufliche Stalker müssen teilweise respektlos sein.", erklärt Lyra meinem Vater. „Ein Job, der Leute die Privatsphäre stiehlt. Und in Gefahr bringen kann.", entgegnet dieser. Das ist witzig mit anzusehen. Mein Vater hat schon immer gern geredet, im  Gegensatz zu Rob. Nur waren es häufig eher Witze, Gespräche über Arbeit, abfälliges Gerede über irgendwelche Politiker oder geschäftliche Konkurrenten, aber jetzt führt er echte Gespräche. Echte Diskussionen. Und Lyra argumentiert liebend gern mit ihm. Manche ihrer Auseinandersetzungen verfolge ich aufmerksam und erkenne immer wieder, wie schlau sie ist und wie sehr sie anderen, sogar Erwachsenen überlegen sein kann. Manchmal bin ich die Diskussionsthemen leid und widme mich meinen eigenen Konversationen mit James, Edmond oder auch kurzen Wortwechseln mit Robin.
Wir haben da so eine stumme Regel. Kein Wort über Lyra. Das vereinfacht vieles. „Habt ihr schon einmal ein solches Problem gehabt?", fragt sie interessiert und lehnt sich erwartungsvoll zurück. „Mit Erpressung?" Sie nickt. „Es gibt immer mal wieder kleine Drohungen in Zetteln, aber nie was ernstes." Doch Rob hat da eine kleine andere Story zu erzählen. „Meinem Vater wurde einst gedroht. Man entführte seine Frau, meine Mutter und forderte 13.000.000$." Lyras Blick wird sofort weicher. „Was ist passiert?"

„Dein Großvater liebte seine Frau und hat ohne die Polizei einzuschalten das Geld überwiesen. Für ihn war das Geld nicht wichtiger als das Leben, niemals. Er sagte mir, dass das Geld alles vergänglich ist, aber Leben kriegt man im Gegensatz zu Geld nie wieder."

„Er hat recht.", stimmt sie zu. „Ich weiß, deswegen habe ich viele Vorrichtungen unternommen, um die Leben meiner Familie zu schützen."

„Keine Namen, keine Fotos." Er nickt. „Ihr beide seid versichert."
„Wofür?"
„Für alles mögliche. Für den schlimmsten Fall." Ich kann sehen, als Lyra den Kloß runterschluckt, der ihr im Hals steckte. „Lösegeld" Er bejaht ihre laute Vermutung. „10.000.000$ Lösegeld versichert." Bin ich auch, Sind alle Kinder hier am Tisch, sogar Venelope, soweit ich weiß. Lyras Gesicht sieht so wie immer aus, wenn ihr jemand klar macht, wie viel Geld ihre Familie oder sie selbst hat. „Aber es sind nicht nur Gefahren. Es macht einen verrückt ständig im Rampenlicht zu stehen.", mit den Worten versucht Rob die Anspannung aus dem Gespräch zu ziehen. „Mir reichen Jahrbuch Fotos jedes Jahr als Rampenlicht.", murmelt sie. „Warst du schonmal im Jahrbuch?", frag ich nach. „Naja, ich war beim Fototermin dabei, aber musste vor den Zeugnissen gehen. Keine Ahnung ob sie das Foto wirklich abgedruckt haben." Ich würde zu gern wissen, warum sie weg musste, aber ich weiß, dass sie ihre Vergangenheit gerne für sich behält, besonders vor so vielen Leuten. Doch es gibt genug Personen, die nicht so vorsichtig sind.

„Und warum konntest du dein Zeugnis nicht entgegennehmen, Süße?" Die liebliche Stimme von Heidi ist so scharf wie ein Schnitt eines Messers, aber Lyra ist gefasst. Sie ist es gewohnt mit Menschen zu reden, die sie herausfordern. „Wir mussten umziehen." Das heißt ihr letztes, fast abgeschlossenes Schuljahr war, als ihre Mutter noch lebte. Eine lange Zeit. Manchmal drohe ich zu vergessen, wie sie aufgewachsen ist, aber diese Kleinigkeiten rufen mir das sofort wieder ins Gedächtnis. Wie sonst auch, wechselt ein anderer das Thema. Es ist kein Geheimnis, dass Lyra nicht gern redet, oder eben nicht über sich, nur beachten das manche nicht, absichtlich natürlich.

Als Lyra später am Abend im Kinosaal neben mir sitzt und mit müden Augen den Film schaut, betrachte ich sie eine ganze Weile einfach von der Seite, ohne dass sie es bemerkt. Ihre runden Wangen, ihre scharfe Kinnpartie, ihre Stupsnase mit einer kleinen Beule, die kaum merkbar ist. Ob ihr mal die Nase gebrochen wurde?
Ich gehe weiter die Details ihres Gesichts durch. Dunkle Augenbrauen und darunter ihre schönen, kleinen, strahlend grünen Augen. Ihr kleiner Mund mit geschwungenen natürlich roten Lippen. Spitze Ohren, in denen zwar Ohrlöcher gestochen wurde, aber kein Schmuck steckt. Ihr braunes, welliges Haar, das sie sich grade um den Finger wickelt und ihre langen restlichen Finger.

Das Spiel Mit Hass Und Liebe |✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt