Es war wirklich ziemlich eindeutig

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Liam kam vor seinem besten Freund in Louis' Wohnung an.
Niall hatte ihm am Telefon nicht ausführlich erklärt, was genau passiert war, er hatte bloß Andeutungen gemacht - meinte, es wäre dringend, und er müsse so schnell wie möglich zu Louis kommen.
Gott sei Dank hatte Liam den Vormittag für die Gestaltung eines Vertrages eingeplant, den er noch um eine Woche verschieben konnte.
Er hatte also kurzerhand die Kanzlei verlassen und sich auf den Weg zu Louis' Wohnung gemacht. Als Niall ihm die Tür öffnete, sah er ihn misstrauisch an. „Was machst du eigentlich hier?", wollte er flüsternd von ihm wissen, „Du solltest doch im Bett bleiben."
Niall rollte seine Augen, während er zur Seite trat und Liam in die Wohnung ließ. „Ich wollte bloß einkaufen."
„In Louis' Wohnung?"
„Ich werde dir gleich alles erklären", beschwichtigte der Sozialpädagoge seinen Verlobten und wartete, bis dieser sich seinen Mantel und seine Schuhe ausgezogen hatte.
„Na, da bin ich aber gespannt."
Louis hatte seine mittlerweile - nach Niall's grober Schätzung - zehnte Zigarette geraucht und war so kreidebleich, dass man ihn glatt mit einer Leiche hätte verwechseln können.
„Louis, geht's dir gut?", wollte Liam von ihm wissen, als er auf den Balkon trat. „Man könnte dich ja glatt mit Edward aus Twilight verwechseln - so heißt der doch, oder?"
Niall kicherte, verdrehte dann aber die Augen und setzte sich wieder auf seinen Stuhl, ehe er nach seiner Tasse griff, die Louis vor einigen Minuten mit frischem, dampfendem Tee gefüllt hatte. „Setz dich. Wir müssen dir etwas erzählen, bevor Harry zurückkommt."
Liam tat, was Niall ihm sagte, und ließ sich auf dem Stuhl nieder. „Wo ist der überhaupt?"
„Einkaufen", antwortete Louis knapp und zündete sich die nächste Zigarette an.
Liam zog beide Augenbrauen nach oben, als er den vollen Aschenbecher sah, verkniff sich seinen Kommentar allerdings und fragte sich stattdessen, was zur Hölle hier eigentlich los war. Louis war völlig durch den Wind - es musste irgendetwas passiert sein.
Liam sah Niall auffordernd an. „Ich warte", erklärte er. „Was hat zu deiner plötzlichen Heilung geführt?"
Niall seufzte. „Ich wollte eigentlich bloß einkaufen gehen", begann er also, die Geschichte erneut zu erzählen, „Das habe ich dann auch getan. Naja, zumindest habe ich es versucht. Bis Jane dazwischenkam."
Liam zog beide Augenbrauen nach oben. „Jane?", fragte er irritiert, „Du meinst Blutsauger-Jane, von der ich schon so froh war, dass wir sie endlich los sind?"
Louis zog belustigt eine Augenbraue nach oben. „Blutsauger-Jane?"
Liam musste lachen. „Niall hat ihr diesen Spitznamen gegeben, nachdem ich ihm erzählt habe, wie sie Harry ausnutzt und sein Geld aus dem Fenster wirft. Seitdem nennen wir sie so."
Der Lehrer zuckte beide Schultern. „Treffend Beschreibung."
In diesem Moment hörten die drei Männer, wie sich die Wohnungstür öffnete und zwei kleine, freudestrahlende Mädchen in die Wohnung liefen.
Niall kniff die Augen zusammen. „Scheiße."
In Rekordgeschwindigkeit drückte Louis seine Zigarette aus - und als er ein fröhliches „Daddy!" von seiner Tochter hörte, die sich eilig ihre Schuhe auszog, griff er nach dem Aschenbecher und schüttete den Inhalt kurzerhand in den Blumenstock, der neben Liam stand.
Dieser hustete, während Niall kicherte und Louis sich scheinheilig das T-Shirt gerade zupfte.
„Daddy!", rief Amy erneut, als sie auf den Balkon gerannt kam. „Harry hat Victoria und mir ein Eis gekauft!"
„Das sehe ich...", murmelte Louis und betrachtete den schokoladenverschmierten Mund seiner Tochter.
„Niall, Liam!", rief Amy und rannte schnurstracks zu dem Sozialpädagogen und zupfte an dessen Hose. „Kannst du mit uns spielen kommen?"
Niall musste lächeln, freute er sich doch so sehr darüber, dass die beiden Mädchen ihn so gern hatten - es brach ihm das Herz, Nein sagen zu müssen. „Das geht heute leider nicht", erklärte er also, „Aber vielleicht fragst du deinen Papa, ob ich mir euch morgen Nachmittag für einen Ausflug in den Zoo ausleihen darf?"
„Ja!", rief Amy und sah sofort zu ihrem Vater. „Bitte!"
Louis, der mit der Situation heillos überfordert war, hätte in diesem Moment vermutlich auch zugestimmt, wenn sie ihn gefragt hätte, ob er denn nicht Lust hätte, seine Seele an den Teufel zu verkaufen.
„Meinetwegen", gab Louis zur Antwort, als Harry auf den Balkon trat.
„Was ist denn hier los?", wollte er wissen, ehe er Niall und Liam erblickte und sie schließlich irritiert musterte. „Was macht ihr hier?"
„Das ist ja eine nette Begrüßung", entgegnete Liam und grinste seinem besten Freund provokant entgegen. „Ich freue mich auch, dich zu sehen."
Harry lachte. „Tut mir leid. Aber im Ernst, ich habe absolut nicht mit euch gerechnet. Sonst hätte ich noch Kuchen mitgebracht oder-"
„Entspann dich", räumte Liam ein, „Das war ein Witz. Du weißt schon, das ist das, worüber die meisten Menschen lachen."
Niall verdrehte seine Augen. „Ignorier ihn einfach. Das Ganze war eher ein spontaner Besuch, weil wir dringend mit dir reden müssen."
Jetzt war Harry wohl endgültig verwirrt. „Mit mir?"
Niall nickte. „Setz dich."
An dem kleinen Tisch wurde es langsam eng, aber das machte nichts.
„Worum geht's denn?"
Louis sah die beiden Mädchen einen Moment lang bittend an. „Wollt ihr uns kurz alleine lassen?"
Die beiden Mädchen sahen enttäuscht in die Runde, taten dann aber, worum Louis sie gebeten hatte - sie schienen wohl auch zu spüren, dass etwas ernstes im Busch war.
„Was zur Hölle ist hier los?", wiederholte Harry seine Frage, dieses Mal mit etwas mehr Nachdruck.
Niall seufzte. „Ich wollte Liam eigentlich davon erzählen, bevor du kommst."
„Warum?", schaltete sich nun Harry's bester Freund ein, der auch absolut keine Ahnung hatte, was hier eigentlich los war.
„Weil ich glaube, dass Harry gleich einen Freund brauchen wird."
„Wozu?"
Niall seufzte. „Hört euch das Ganze einfach an."
Louis griff erneut nach seiner Zigarettenschachtel und setzte sich zu seinen Freunden.
Harry schielte in den Blumentopf mit den unzähligen Zigarettenstumpen, sagte aber nichts.
„Wie du weißt, Liam, lag ich heute eigentlich noch immer mit einer Grippe im Bett und ja, eigentlich hatte ich dir versprochen, zu Hause zu bleiben", begann Niall erneut, die Geschichte zu erzählen. „Ich fühlte mich aber deutlich besser und wollte einfach wieder mal etwas anderes sehen, als die Wände unseres Schlafzimmers, also habe ich mich kurzerhand entschlossen, Einkaufen zu gehen."
Nun griff auch Harry nach einer Zigarette, obwohl der eigentlich gar nicht so regelmäßig rauchte. Bloß, wenn er betrunken war, oder Stress hatte. Im Moment war Letzteres der Fall, auch wenn er gerne beides gehabt hätte.
„Jedenfalls habe ich mich gerade wahnsinnig darüber geärgert, dass ich den Einkaufszettel zu Hause hab liegen lassen, als ich die Stimme von deiner Frau hörte", erzählte Niall an Harry gewandt und dieser zog nur irritiert beide Augenbrauen nach oben.
„Jane?"
Niall nickte.
„Na und?", zuckte er beide Schultern, und versuchte, sich selbst einzureden, dass die ganze Sache harmlos war und sich vermutlich ohnehin als großes Missverständnis entpuppen würde. „Sie geht ständig einkaufen."
Niall seufzte. „Sie war dort mit einer Freundin, einer großen Frau mit langen, braunen Haaren."
Harry nickte. „Vermutlich Sophia."
„Jedenfalls", fuhr der Sozialpädagoge fort, „Habe ich ein paar sehr interessante Gesprächsfetzen aufgeschnappt."
Liam sah seinen Freund schockiert an. „Du hast ihnen nachspioniert?"
Niall verdrehte - zum vermutlich hundertsten Mal heute - wegen seines Verlobten die Augen. „Sie haben sich über das Baby unterhalten. Oder vielmehr über die Rolle, die Harry bei der ganzen Sache spielt."
Louis nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, als er sah, wie Harry's Gesichtszüge härter wurden. Die Frage, was zur Hölle das Ganze schon wieder sollte, stand ihm groß ins Gesicht geschrieben.
Niall zögerte.
Immerhin war es - selbst für einen Sozialpädagogen - nicht gerade leicht, einem guten Freund das beizubringen.
„Sie haben sich über das Baby unterhalten und darüber...", er stockte.
„Darüber, dass es nicht von dir ist", schnitt Louis seinem besten Freund das Wort ab, als er allmählich ungeduldig wurde.
Niall kniff die Augen zusammen, bereit, gleich zu spüren, wie ihm die Situation um die Ohren flog, doch es blieb still.
Eine ganze Minute lang.
Harry nahm sich eine zweite Zigarette, zündete sie an und zog ein paar Mal daran, bevor er die Stile brach. „Das kann nicht sein. Da musst du dich verhört haben."
Niall schüttelte entschieden den Kopf. „Ich fürchte nicht, Harry."
Liam warf seinem besten Freund einen mitleidigen Blick zu, sagte aber nichts.
Er wusste, dass es im Moment nichts gab, was er hätte sagen können, um die Situation zu entschärfen, oder sie für seinen besten Freund gar zu erleichtern.
„Du hast doch selbst gesagt, dass du bloß ein paar Fetzen mitbekommen hast", sagte Harry und sah den Sozialpädagogen scharf an. „Du hast die Sachen völlig aus dem Kontext gerissen, du kannst darauf doch keine These stützen, Niall. Ich arbeite mit solchen Dingen, ich weiß, wie sie sich verdrehen können, wenn man nur die halbe Wahrheit mitbekommt."
„Aber Harry", versuchte Niall es erneut, „Es war wirklich ziemlich eindeutig."
Harry zog erneut an seiner Zigarette, während Liam geplättet neben ihm saß und auch endlich seine Sprache wiederfand. „Okay", versuchte er, die Lage etwas zu entspannen, „Vielleicht hilft es ja, wenn du genau erzählst, was du gehört hast."
Niall nickte und dachte einen Moment lang nach, um die Fetzen so genau wie möglich wieder zusammenzubekommen. „Es ging jedenfalls um die Frage, ob Harry ‚es' ihr abkauft, und ob er nicht misstrauisch würde, ob sie sich verplappert hätte, was die gute Frau dann verneinte, mit der Begründung, ihr würdet gerade nicht viel miteinander reden. Daraufhin hat ihre Freundin beruhigt ausgeatmet und Blutsa- ... - tut mir leid - Jane damit beschwichtigt, dass Harry so ja niemals auf die Idee kommen könne, das Kind sei nicht von ihm."
Liam presste die Lippen aufeinander und sah auf den Boden.
Harry, der seine Zigarette in Rekordzeit geraucht hatte, stand auf, ohne ein weiteres Wort zu sagen und ging in die Wohnung, woraufhin Liam ihm zügig folgte.
Und Louis, der das Ganze hatte kommen sehen, zündete sich eine weitere Zigarette an. „Die Wahrheit tut eben manchmal weh."

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