Vielleicht will ich ja in den Wahnsinn getrieben werden?

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"Eine Lösung?", fuhr Jane ihren Mann aufgebracht an und lachte hysterisch auf. "Du willst eine verdammte Lösung finden?".
Harry schluckte. Er ahnte, dass hier gleich das reinste Chaos herrschen würde.
"Wie soll denn deine ach so tolle Lösung aussehen, mh?", wollte die Rothaarige aufgebracht wissen und sah ihren Mann mit wütenden Augen an. Doch Harry kam gar nicht zu Wort, denn Jane war auf Hundertachtzig. "Sollen wir eine wundervolle Patchworkfamilie werden? Du und dein Lover kümmert euch an den Wochenenden um meine Kinder und an Weihnachten feiern wir alle zusammen? Soll das so aussehen, Harry? Ach, und vermutlich soll ich dann ausziehen und du und dein Typ zieht dann hier ein, hier, in mein Haus. In das Haus, was wir gemeinsam eingerichtet haben", feuert Jane laut und schnaubt verachtend.
"Wie kannst du uns das nur antun?!", rief sie aufgebracht und stand vom Sofa auf.
"Hast du überhaupt nur eine Sekunde an deine Kanzlei gedacht? Was werden die Leute sagen, wenn sie erfahren, dass du deine Frau und die zwei Kinder für einen Mann verlassen hast? Weißt du was passiert? Sie werden sich vor dir ekeln".

Harry schloss seine Augen und atmete zitternd ein. Er musste sich zusammenreißen und nicht laut werden. Immerhin schlief Vic eine Etage höher und die sollte das Ganze nun wirklich nicht mitbekommen.

"Ich wusste, dass Liam ein schlechter Umgang ist".

Sofort riss Harry seine Augen wieder auf, sah seine Frau ungläubig an.
"Er und sein komischer Freund. Sicherlich haben sie dir auch den Floh in das Ohr gesetzt, dir alles schön geredet, dass du jetzt denkst, dass du auf Männer stehst."
"Liam hat nichts damit zu tun", verteidigte Harry seinen besten Freund und verdrehte seine Augen.
"Ist dir eigentlich klar, was du unserer Familie antust?! Weißt du eigentlich, wie sich die Leute über uns unterhalten werden? Ich kann mich nirgends mehr sehen lassen!", rief sie laut und der Anwalt konnte nur erneut den Kopf schütteln.
"Ist das Alles, worum es dir dabei geht? Die anderen Menschen?", wollte er wissen und stoppte, als er Schritte hörte.
Ganz toll, das hatte gerade noch gefehlt.

"Daddy?"

Verschlafen rieb sich Victoria ihre Augen, drückte ihren Kuschelhasen fest an ihre Brust und sah ihre Eltern ängstlich an. "Warum streitet ihr?", wollte das kleine Mädchen wissen und drückte ihren Hasen fester.
"Vic, wir streiten nicht", beruhigte Harry seine Tochter und winkte sie zu sich. Unsicher kam das Mädchen zu ihrem Vater, ließ sich von ihm auf seinen Schoß ziehen und kuschelte sich in seine starken Arme. "Mommy und ich haben nur eine kleine Meinungsverschiedenheit."
Ein Schnaufen kam aus der anderen Ecke des Wohnzimmers und mahnend sah Harry seine Frau an.
"Pass auf, Prinzessin. Du und Mister Hase geht jetzt wieder hoch ins Bett und ich komme gleich nach und lese euch noch etwas vor, okay?".
Noch immer verunsichert nickte das Mädchen, folgte dann aber den Anweisungen ihres geliebten Vaters und verschwand wieder nach oben.

"Wundervoll, jetzt hast du Victoria geweckt", keifte Jane und nun kostete es Harry wirklich alles an Kraft hier nicht gleich laut zu werden.
"Du keifst hier doch rum wie eine Furie", zischte er und stand nun auch vom Sofa auf.
Verletzt sah Jane ihren Mann an, Tränen schimmerten in ihren Augen, als sie sich abwand.
"Wie soll das jetzt funktionieren? Ich kann mich nicht alleine um zwei Kinder kümmern, während du einen auf George Michael machst und unsere Familie blamierst".
Kurz, ganz kurz hatte Harry Mitleid mit seiner Frau, aber nach dem zweiten Teil des Satzes verpuffte dieses wie eine Seifenblase.
"Du hast dich doch sonst auch nie um Vic gekümmert", knurrte Harry wütend und keine Sekunde später, merkte er ein Brennen auf seiner Wange. Wütend funkelte Jane ihren Mann an, wollte ihn mit ihrem Blick erdolchen, doch Harry schien das nicht wirklich zu beeindrucken.
"Ich bin eine hervorragende Mutter. Victoria bekommt alles was sie will und macht so viele tolle Dinge. Sie wird einmal eine hervorragende Ärztin und das wird sie mir danken".
Harry schüttelte erneut seinen Kopf. Hörte diese Frau sich eigentlich selbst irgendwann mal zu?

Eine weitere halbe Stunde stritt das Ehepaar lautstark, bis Jane beleidigt ins Schlafzimmer flüchtete und Harry zum Teufel schickte.
Der Anwalt brauchte ein paar Minuten um durchzuatmen, ehe er sein Handy griff und Louis schrieb, dass er bald kommen würde.
Er folgte seiner Frau in das Schlafzimmer, fand sie weinend auf dem Bett vor, doch er versuchte das traurige Bild zu verdrängen.
Das alles eben hatte ihm nur noch mehr gezeigt, wie sehr er Louis liebte und nicht diese Frau.
"Wir werden Morgen in ruhe über alles reden. Ich komme am Nachmittag vorbei und dann besprechen wir, wie es weiter geht. Das Haus darfst du natürlich behalten, meinetwegen auch die Autos. Mach dir um das Finanzielle keine Sorgen".
Jane schniefte, schwieg aber weiterhin.
"Und ich werde Vic mitnehmen. Ich werde sie morgen früh in den Kindergarten fahren und danach wieder mit ihr herkommen".
Janes Blick schoss zu Harry.
"Mitnehmen?"
Der Anwalt nickte. Dachte Jane wirklich, er würde heute Nacht hier bleiben?
"Wenn ich mich recht erinnere, ist morgen Donnerstag und da hast du doch immer Yoga, richtig?", versuchte er es versöhnlich und bekam ein irritiertes nicken. "Du wirst es also nicht schaffen, sie zum Kindergarten zu bringen".
Jane starrte ihren Mann mit einem komischen Blick an, den selbst Harry nach all den Jahren Ehe nicht zuordnen konnte.
"Und...und wo schläfst du?"
Seufzend nahm Harry sich einen Koffer, begann einige Dinge hineinzupacken und sah seine Frau dabei bewusst nicht an. "Wir werden bei Louis schlafen", gestand er leise, legte zwei Anzüge ordentlich zusammen und widmete sich dann den Hemden.
"Louis? Ist...ist das nicht dieser furchtbar, respektlose Mann von Liams Geburtstag?". Janes Stimme war schon wieder lauter geworden und Harry ging einfach nicht darauf ein. Er schloss den Koffer, als er sich sicher war, dass er auch alles eingepackt hatte und richtete sich dann endlich wieder seiner Frau.
"Seine Tochter ist die beste Freundin von Vic und die Mädchen freuen sich sicherlich, wenn sie heute Abend gemeinsam übernachten dürfen".
Jane wollte etwas erwidern, doch Harrys Blick riet ihr, den Mund zu halten.
Und ausnahmsweise hielt sie den Mund auch.
"Überleg dir, wie wir das problemlos regeln können und dann sehen wir morgen weiter".

Eilig verließ Harry das Schlafzimmer.
Eigentlich hatte er sich dieses Gespräch ganz anders vorgestellt und sicherlich hätte er sich bei seiner Frau auch entschuldigt, wenn sie nicht so ausfallend gewesen wäre. Ging es ihr überhaupt um die Tatsache, dass Harry sie verlassen hatte, oder vielmehr darum, dass die Menschen erfahren könnten, dass er nun einen Mann liebte?

Harry war sich nicht sicher, was für Jane relevanter war.

~~**~~

Gemeinsam mit seiner Tochter auf dem Arm betrat der Anwalt wenig später die Wohnung von Louis und Amy. Vic war zwar etwas durcheinander, aber als Harry ihr erklärt hatte, dass sie gemeinsam bei Amy schlafen würden, hatte das kleine Mädchen keine Gedanken mehr über etwas anderes.

Louis empfing die Beiden mit einem erleichterten Lächeln und als Harry seine Tochter dann zu Amy ins Bett gebracht , die zwei Koffer aus dem Auto geholt hatte, ließ er sich auf das Sofa fallen und bekam von Louis ein Glas Rotwein in die Hand gedrückt.
Mit einem zufriedenen Gefühl der Erleichterung im Bauch kuschelte sich der Lehrer an seinen neuen Mitbewohner, konnte das alles noch immer nicht ganz glauben und umklammerte Harry ganz fest.
"Ich frage lieber nicht wie es war", flüsterte Louis leise, während Harry einen tiefen Schluck aus dem Weinglas nahm.
"Ich glaube nackt durch ein Kakteenfeld laufen wäre entspannter gewesen", grummelte der Lockenkopf und stellte das Glas auf den Tisch, ehe er Louis auf seinen Schoß zog.
"So schlimm?", wollte Louis wissen, aber Harry winkte ab.
"Lass uns einfach nicht darüber sprechen, okay? Lass uns lieber darüber reden, dass wir Beide jetzt offiziell ein Paar sind und du ab heute einen nervigen Mitbewohner hast".
Louis grinste und bemerkte das wummernde Herz in seiner Brust.
Er hatte Harry eine Chance gegeben und die hatte er genutzt. Louis konnte nicht in Worte fassen, wie froh er darüber war.
"Ich muss dir da etwas gestehen", hauchte Louis leise und Harry hielt den Atem an. Dieser Abend brauchte nicht noch ein weiteres Drama.
Louis aber grinste, sah dem Anwalt keck in die Augen und ließ seine Fingerspitzen über die harte Brust des Lockenkopfes fahren.
"Ich bin schrecklich in meinen Mitbewohner verliebt und ich weiß nicht, ob ich meine Finger bei mir lassen kann, wenn er neben mir in meinem Bett schläft".
Erleichtert grinste Harry, umfasste das Handgelenk des Lehrers, ließ sich von seinem Blick in den Bann ziehen.
"Wer sagt, dass dein Mitbewohner nicht vielleicht extra nackt schläft um dich damit in den Wahnsinn zu treiben?".
Ihre Gesichter kamen sich näher, die Spannung war zum greifen nahe und das Knistern lag deutlich in der Luft. Ihre Lippen streiften sich, nur ganz sachte, ohne sich wirklich zu berühren.
"Vielleicht will ich ja in den Wahnsinn getrieben werden?".

Und mehr brauchte es nicht, damit sich die Lippen des verliebten Paaren aufeinander legten und sie im Schlafzimmer Harrys Trennung auf ihre ganz eigene Art feierten.

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