Ich bin verwirrt

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Nachdem Jane ihre Tochter eigenhändig ins Bett gebracht und Harry unterdessen angewiesen hatte, es sich schon einmal auf dem Sofa bequem zu machen, saß Harry so verdutzt da, dass er wahrlich sprachlos war.
Harry Styles war sprachlos. Das kam beim besten Willen nicht oft vor.
Und wenn es vorkam, hatte es meist einen wirklich guten Grund - so wie eben.
Was war nur mit seiner Frau los?
Seit wann war sie so fürsorglich und bemüht? Normalerweise hätte sie nie angeboten, sich um sieben Uhr morgens durch den Morgendverkehr Londons zu schlängeln, um Victoria zum Kindergarten zu bringen - noch nicht einmal aufgestanden wäre sie um diese Zeit. Es sei denn natürlich, sie musste zum Yoga.
Als Jane wenige Minuten später das Wohnzimmer betrat und sich mit einem müden Lächeln neben ihrem Mann niederließ, strich sie ihm eine braune Locke aus der Stirn und schmiegte sich liebevoll an ihn.
Harry's Herz setzte einen Schlag lang aus. Sofort hatte er wieder Louis im Kopf. Louis und all die Dinge, die sie in den letzten Tagen und Wochen miteinander geteilt hatten.
„Ich bin so froh, dass wir endlich mal wieder einen Abend für uns haben", brachte Jane unter einem glücklichen Seufzen hervor und griff nach seiner Hand.
Obwohl Harry bemerkte, dass er sich verkrampfte, zwang er sich ein Lächeln auf die Lippen. „Da hast du recht", pflichtete er ihr bei, „das letzte Mal ist schon eine Weile her."
Schulterzuckend zog sie eine Decke über sich und ihren Ehemann und spürte, wie er einen Arm um sie legte und ihre Stirn küsste. „Ich freue mich auch, Liebling."
Er sah ihr einen Moment lang in die Augen und spürte, wie ihn ein seltsamer Stromschlag durchfuhr. Er wusste noch nicht, ob der angenehm oder unangenehm war.
„Weißt du", sagte sie da plötzlich, „Es ist so lange her, seit wir uns kennengelernt haben. Manchmal denke ich daran zurück und finde es einfach unglaublich, was seitdem alles passiert ist."
Ohne es selbst wirklich zu bemerken, schlich sich ein Lächeln auf Harry's Lippen, die in den letzten Minuten deutlich an Farbe zugenommen hatten. „Kannst du dich noch an den Abend erinnern, an dem wir uns kennengelernt haben?", witzelte er, „Als ich dir versehentlich mein Getränk übergekippt habe, und du den Rest des Abends mit meinem ausgewaschenen Pullover herumlaufen musstest, den ich zufällig noch im Auto hatte?"
Jane verdrehte spielerisch ihre Augen. „Wie könnte ich das vergessen?", neckte sie ihn, „Ich bin ja bis heute davon überzeugt, dass du das mit Absicht gemacht hast, weil du zu feige warst, mich anzusprechen."
„Bitte?", Harry schob seine Unterlippe vor, „Ich war Jurastudent. Die Frauenwelt ist mir zu Füßen gelegen."
Jane prustete belustigt los und tippte sich an die Stirn. „In deiner Fantasie, junger Mann."
Obwohl Louis erneut zwischen seinen Gedanken aufflammte, schob Harry ihn zur Seite. „Das ist die Wahrheit", beharrte er und streckte ihr die Zunge heraus, „Aber ich wollte nur dich..."
Jane lächelte und beobachtete ihren Mann dabei, wie er sich ihr langsam näherte, ehe er ihre Lippen miteinander verschloss.
Sanft drückte er sie näher an sich, zog sie auf seinen Schoß und sog ihren Duft ein. Irgendetwas an dieser Art von Zweisamkeit hatte er vermisst.
Es dauerte also nicht lange, da griff sie nach seiner Hand, zog ihn zu sich und führte ihn nach oben in ihr Schlafzimmer.

Natürlich hatte es so weit kommen müssen - natürlich hatte der Moment kommen müssen, in dem sie wieder mit ihm schlafen wollte. Verdammt, dachte Harry bei sich, was hatte er erwartet? Natürlich wollte sie mit ihm schlafen - sie war seine verdammte Ehefrau.
Sie waren verheiratet.
Ehepaare machten solche Dinge nun einmal.
Nur - und das war vermutlich sein Fehler gewesen - hatte er darüber überhaupt nicht mehr nachgedacht. Seitdem die Sache mit Louis ihren Lauf genommen hatte, hatte er sein Eheleben komplett ausgeblendet und sich dementsprechend nicht auf diese Situation vorbereiten können.
Als sie auf ihn kletterte und ihre Hand in seinen Schritt legte, zuckte er zusammen und hielt sie aus Reflex einen Moment lang fest.
Ihre großen, hellblauen Augen sahen ihn fragend an. „Ist alles in Ordnung, Liebling?"
Harry sah sie irritiert an und lockerte seinen Griff. Er lächelte sie entschuldigend an. „Tut mir leid", erklärte er schließlich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Sofort war das alte Gefühl der Geborgenheit wieder da - zumindest zum Teil. „Ich hatte einen anstrengenden Tag", erklärte er schließlich und schloss beide Arme um seine Frau. „Lass uns das verschieben."
Entschieden schüttelte Jane ihren Kopf und begann, die schwache Stelle hinter seinem Ohr zu küssen, während sie begann, ihre Hand in seinem Schritt vorsichtig auf- und ab zu bewegen.
Zu seinem Leidwesen reagierte sein Körper auf ihre Berührungen - er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so dreckig gefühlt zu haben.
Plötzlich allerdings übermannte ihn etwas, mit dem er gar nicht gerechnet hatte - etwas, von dem er geglaubt hatte, es irgendwo auf dem Weg verloren zu haben.
Ein Kribbeln breitete sich in seiner Magengegend aus, und da war etwas in ihm, das sich anfühlte, wie Zuneigung - etwas, das es ihm schwer machte, loszulassen. Etwas, das ihn in nur einer einzigen Sekunde alles infrage stellen ließ.
Ohne zu zögern zog er Jane näher zu sich, und das Seufzen, das ihr dabei entwich, klang wie Musik in seinen Ohren.
Er fühlte sich in die Zeit zurückversetzt, in der sie sich kennengelernt hatten - in die Zeit, in der sie oft so liebevoll und zuvorkommend gewesen war, wie am heutigen Abend.
Und während sie miteinander schliefen, drifteten seine Gedanken nicht ein einziges Mal ab - er war bei ihr, er war ihr so nah, wie zwei Menschen sich nur sein konnten; und er wusste nicht, wann er sich ihr das letzte Mal so nah gefühlt hatte.

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