War es so schlimm?

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Der Anwalt starrte den Schwangerschaftstest geschockt an.
Nur langsam sickerte die Nachricht zu seinem Gehirn durch und nur langsam verstand der Anwalt, was seine Frau ihm da gerade gesagt hatte.
Ein Japsen erklang, als Harry anstrengend nach Luft rang, da der Kragen seines Hemdes ihn nun wirklich die Luft abschnitt. Ihm wurde heiß und kalt zugleich und alles in seinem Kopf begann sich zu drehen. Er sah schwarze Punkte vor seinen Augen und merkte, wie der Sauerstoff in seinem Blut immer weniger wurde, während sich sein Herzschlag beschleunigte und damit den Puls in die Höhe trieb.
Und dann traf ihn die Erkenntnis mit voller Wucht.

Jane war schwanger!

Sie war schwanger mit einem Kind von ihm.
Er wurde erneut Vater.
Ein Baby.
Louis.
Oh Gott, Louis.

Harry sprang vom Sofa, ließ den Test fallen und schüttelte seinen Kopf. Unsicher stand Jane indessen vom Sofa auf, nahm vorsichtig die Hand ihres Mannes und sah ihn besorgt an. "Freust du dich gar nicht?", wollte sie mit zittriger Stimme wissen und holte Harry damit aus seinem Gedankenstrudel zurück in die knallharte Realität.
Freute er sich?
Er bekam noch ein Baby. Natürlich freute er sich, er wollte immer einen Haufen Kinder haben, aber unter den gegebenen Umständen sah das nun anders aus. Verdammt, er wollte sich vor wenigen Minuten von ihr trennen und jetzt - jetzt war sie schwanger.
"Liebling?". Jane war den Tränen nahe. So hatte sie sich die Reaktion ihres Mannes natürlich nicht vorgestellt. Sie wollten doch schon immer ein zweites Kind haben und jetzt, jetzt wo es endlich geklappt hatte, schien Harry komplett geschockt zu sein.
"Ich...ich...nein...doch...ich...ich freue mich natürlich", stotterte der Anwalt und sah seine Frau endlich an.

Was sollte er denn jetzt nur machen?
Er liebte Louis, aber er konnte doch seine schwangere Frau jetzt nicht sitzen lassen. Oder?

Harry konnte es nicht verhindern, aber ihm schossen die Tränen in die Augen und ehe er sich versah, liefen sie ihm über die Wange.
Was hatte er der Welt nur getan?
Warum ausgerechnet jetzt?
Wieso wurde Jane gerade jetzt schwanger?
Natürlich wollte er das Baby, immerhin hatte er es sich so sehr gewünscht, aber da Louis nun eigentlich die Hauptrolle in seinem Leben war, abgesehen von Vicky,  spielte das eigentlich keine Rolle mehr. Dachte er zumindest.

Jane lächelte leicht und legte ihre Hand auf die Wange ihres Mannes. Ihr Ehering schien sich wie glühendes Metall in die Haut seiner Wange zu brennen und verstärkte die Tränen nur noch mehr.
Und die rothaarige Frau fasste die Tränen des Anwalt natürlich komplett falsch auf. "Du bist ja richtig gerührt", flüsterte sie, strich ihm die Tränen von der Wange und schmiegte sich an seine Brust.
Harry konnte seine Tränen nicht unterdrücken. Er war komplett überfordert in diesem Moment. Er war gefangen zwischen Vernunft und Verstand.
Und sein einziger Gedanke drehte sich in diesem Moment nur um Louis.
Louis, den Mann den er liebte, der gerade auf ihn wartete und fest damit rechnete, dass Harry seine Frau in diesem Moment verlassen würde. Louis, der ihm verziehen hatte, der ihm eine zweite Chance gab und - Louis, der Harry so wundervolle Tage in Paris beschwert hatte.
Ein lautes Schluchzen kam aus Harrys Mund, als ihm bewusst wurde, dass er das Herz des Mannes erneut brechen würde.
Er brauchte einen Moment, bis er sich sammeln konnte. Sein Körper fühlte sich an, als wenn ihn jemand in zwei Hälften gerissen hätte. Doch Harry musste jetzt funktionieren. Zumindest für einen kurzen Augenblick.
Vorsichtig schob Harry deshalb seine Frau von sich, sah sie mit einem gezwungenen Lächeln an.
"Ich...ich freue mich", murmelte er, hoffte, dass Jane ihm das glauben würde. "So gerne ich das jetzt mit dir feiern würde, aber ich muss zurück ins Büro".

Lüge!

Er musste nicht ins Büro, aber er hielt es hier keine Minute mehr aus.
Er musste zu Louis. Sofort!

"Wie? Jetzt?". Verletzt legte Jane ihre Hand auf ihren Bauch und sah traurig zu Boden.
"Ich...ich wollte dir doch etwas sagen", erklärte er und schnappte sich seine Jacke. "Es ist wirklich dringend. Ich muss noch einen Termin wahrnehmen".
Das war zwar nicht das, was Harry seiner Frau sagen wollte, aber das war jetzt auch egal. Jane musste das jetzt hinnehmen, ob es ihr gefallen würde, oder nicht.
Jane konnte dagegen nichts sagen. Sie wusste, dass der Job immer Vorrang hatte und ergeben nickte sie. "Beeil dich aber, okay?".

~~**~~

Je näher Harry dem Wohnkomplex von Louis kam, desto schlechter wurde ihm.
Er spürte das starke Ziehen in seiner Brust und sein Herz, welches so schwer auf seinen Rippen lag, dass es drohte auseinanderzubrechen. Er würde gleich nicht nur das Herz von Louis brechen, sondern auch sein eigenes. Endlich hatte er wieder einen Sinn in seinem Leben gefunden und jetzt - jetzt zerplatzte alles wie eine Seifenblase.

Mit zitternden Beinen stieg der das Treppenhaus Stufe für Stufe hinauf.
Ihm war so schlecht, dass er befürchtete sich jeden Moment übergeben zu müssen.
Als er die letzte Stufe erklommen hatte, hielt er die Luft an und wagte sich erst einen Moment später seinen Blick zu heben. Louis stand unsicher im Türrahmen, musterte das Gesicht des Anwalts und zögerte keine Sekunde, als er die Tränen auf dessen Gesicht sah.
Mit zwei großen Schritten eilte er auf Harry zu, zog ihn in eine Umarmung und vergrub sein Gesicht am Hals des Lockenkopfes, wobei das Herz des Lehrers hart gegen den Brustkorb schlug.
Diese liebevolle Geste, die Harry signalisieren sollte, dass Louis für ihn da war, gab dem Anwalt den Rest.
Weinend sackte er mit Louis an seiner Brust auf den kalten Fußboden. Der Lockenkopf hatte einfach keine Kraft mehr. Die Gedanken, das schlechte Gewissen und als das ganze Drama, welches binnen Sekunden für diesen Scherbenhaufen gesorgt hatte, brach nun auf Harry herein wie ein Tsunami. Er konnte sich einfach nicht mehr auf den Beinen halten und drohte unter der schweren Last zu ersticken.

Der Lehrer japste erschrocken auf, löste sich von Harry und sah ihn geschockt an. Er wusste ja, dass es nicht leicht werden würde sich von seiner Frau zu trennen, aber das es Harry so sehr mitnahm, dass überraschte Louis nun doch etwas. Er hatte zwar damit gerechnet, dass Harry traurig war, aber das er hier in seinen Armen zusammenbrach, damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.
"Harry"; flüsterte Louis leise, erfasste dessen Hände und zog ihn auf die Beine. Schnell umfasste er Harrys Oberkörper und zog ihn in seine Wohnung, wo er ihn auf das Sofa drapierte und eilig aus der Küche ein Glas Wasser holte.
Zitternd, weinend und wie ein Häufchen Elend saß Harry zusammengekauert auf dem Sofa, wusste nicht mehr was richtig und falsch war und wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als zurück nach Paris, wo die Welt noch in Ordnung war.
"War es so schlimm?", wollte Louis besorgt wissen, als er sich neben den Anwalt setzte und ihm beruhigend den Arm um die Schulter legte. Fürsorglich reichte er dem Anwalt das Glas Wasser, welches der Lockenkopf zwar mit zitternden Händen annahm, jedoch keinen Schluck daraus trank. Stattdessen stellte er es auf den Couchtisch vor sich, stützte seine Ellenbogen auf seine Knie und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.

Er wollte das hier alles nicht.
Er sollte jetzt hier sitzen, mit Louis in seinen Armen und ihn küssen - endlich glücklich sein und gemeinsam mit dem hübschen Lehrer die Zukunft planen.
Aber nun saß er hier, er selbst mit einem gebrochenen Herzen und war auf dem Weg das von Louis ein weiteres Mal zu brechen.
Und auch wenn Harry in diesem Moment so durcheinander war, Eines wusste er genau: Louis würde ihm dieses Mal nicht verzeihen.

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