Unauffälligkeit ist nicht gerade deine Stärke

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„Oh mein Gott", entfuhr es Louis, als Niall an diesem Freitagmorgen bei ihm klingelte. „Wie siehst du denn aus?"
Niall verdrehte die Augen und drängte sich an dem Lehrer vorbei in dessen Wohnung. Nachdem er sich die Schuhe ausgezogen hatte, drehte er sich einmal im Kreis und sah im Flurspiegel an sich herunter. „Ich finde, ich sehe gut aus."
Louis zog seine Augenbrauen nach oben und betrachtete Niall's schwarze Haare, in Kombination mit dem aufgeklebten Schnauzer und der seltsame Anzug, in dem sein zierlicher Körper steckte. Er sah mindestens zehn Jahre älter aus, wenn nicht sogar zwanzig.
„Du siehst aus wie Magnum", witzelte Louis, der die Zeit vergessen hatte und noch immer in seinem Schlafanzug steckte. Er hatte gar nicht mitbekommen, wie Harry die Mädchen geweckt und in den Kindergarten gebracht hatte.
„Sag ich doch", Niall verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich sehe gut aus."
„Was sagt Liam zu deinem neuen ‚Ich'?"
Niall tippte sich an die Stirn. „Bist du irre?", wollte er schließlich von seinem besten Freund wissen, „Ich kann ihm doch so nicht unter die Augen treten. Der würde doch sofort fragen, wofür ich mich so verkleiden musste. Und vor allem würde er mich fragen, ob ich den Verstand verloren habe."
„Naja", murmelte Louis, „Die Frage kann ich ihm auch beantworten."
Niall wedelte mit dem Zeigefinger in der Luft. „Jetzt werd' mal nicht frech, Kollege. Kann ich einen Kaffee haben, bis du fertig bist?"
Louis verdrehte die Augen und machte sich auf den Weg in die Küche.
Niall brach plötzlich in schallendes Gelächter aus. „Was ist denn mit dir passiert?"
Louis drehte sich irritiert zu ihm um und sah ihn fragend an. „Wieso?"
„Du läufst wie eine gehbehinderte Ente", kicherte Niall und versuchte, Louis' Gang nachzuahmen, was ihm erstaunlich gut gelang.
Scheiße, schoss es Louis da plötzlich durch den Kopf. Er wusste, worauf Niall hinaus wollte. Und er wusste auch, dass sein bester Freund sich vermutlich denken konnte, was passiert war. Immerhin war Louis der Letzte, der gerne Sport machte.
„Hab' mir den Oberschenkel gezerrt", antwortete der Lehrer also so neutral wie möglich, „Muss mich wohl nachts verlegt haben oder so."
„Verlegt haben oder so", ahmte Niall ihn belustigt nach. „So nennt man das jetzt also, ja?"
Louis verdrehte erneut die Augen und sah Niall entnervt an. „Du willst mit mir doch auch nicht über Details aus deinem Sexleben reden, oder liege ich da falsch?"
Niall schnaubte empört auf. „Aber hör mal!", rief er aus, „Du weißt einige Dinge über mein Sexleben."
„Die ich lieber nicht wissen würde", ergänzte Louis und zwinkerte seinem besten Freund scherzhaft zu, ehe er in der Küche verschwand, um Niall's Kaffee zu holen.
Dieser folgte ihm allerdings dicht und ließ seine Ausrede nicht gelten. „Das stimmt doch gar nicht", widersprach Niall, „Außerdem hast du mir auch schon oft Dinge erzählt, die ich lieber nicht gewusst hätte."
Louis nahm eine Tasse aus dem Schrank und stellte sie unter die Kaffeemaschine. „Beste Freunde erzählen sich eine Menge, Niall", lachte er und drückte auf den Knopf. „Aber mal abgesehen davon hättest du mich ruhig nochmal an unser Treffen heute erinnern können. Ich hab's komplett vergessen und mich nur gewundert, warum ich mir heute freigenommen habe."
Nun war Niall derjenige, der die Augen verdrehte. „Du bist wirklich unmöglich."
Louis reichte dem Sozialpädagogen seinen Kaffee und nickte mit dem Kinn in Richtung Badezimmer. „Ich werde dann mal eben unter die Dusche verschwinden."
Niall sah ihn entgeistert an. „Spinnst du? So werden wir doch niemals pünktlich sein. Wir sollten schon in einer Stunde in diesem dämlichen Club sein."
„Können es sich Reiche nicht leisten, unpünktlich zu sein?"
Niall schüttelte den Kopf. „Wenn ich oft sehe, wie Liam in die Kanzlei hetzt, denke ich nicht, dass Geld den Alltag entschleunigt."
Louis zuckte die Schultern und verschwand ins Badezimmer. „Ich werde mich beeilen. Versprochen."

*

Als sie eine Stunde später tatsächlich zumindest fast am Ziel waren, hielt Niall fluchend an einer roten Ampel und blickte anklagend zu seinem besten Freund auf den Beifahrersitz. „Du bist so ein Idiot, Louis."
„Was?", wollte dieser wissen, „Wieso das denn schon wieder?"
„Weil wir wegen dir viel zu spät zu unserem tollen Probetraining kommen."
Ein Grinsen konnte Niall sich beim Anblick seines besten Freundes allerdings nicht verkneifen. Die Verkleidung war einfach göttlich.
„Wir sehen aus, wie zwei Vollidioten", kommentierte Louis, als hätte er Niall's Gedanken gelesen.
„Ich finde, wir sehen gut aus."
Louis verdrehte zum tausendsten Mal an dem Tag die Augen und fragte sich, ob man es damit eigentlich übertreiben konnte. „Wenn ich zum Kettenraucher mutiere, bist du Schuld."
Niall lachte hell auf und musterte seinen besten Freund, der unter seiner blonden Perücke gar nicht mal so schlecht aussah, wie er vermutet hatte. Und sie sah sogar ziemlich echt aus. Nur die Kotletten und der Anzug sahen seltsam ungewohnt aus. „Da musst du nicht mehr mutieren", gab Niall zurück, „Du bist längst ein Kettenraucher, zumindest wenn ich mir ansehe, wie viele Schachteln du in den letzten Wochen geraucht hast."
Louis seufzte. Er wusste, dass Niall sich nur Sorgen machte und er wusste auch, dass er längst hätte aufhören sollen, zu rauchen, allein schon Amy zuliebe. Und er wusste auch, dass er das demnächst in Angriff nehmen wollte, denn eigentlich schmeckte es ihm gar nicht. Und unwohl fühlte er sich jedes Mal danach, ganz abgesehen von dem Gestank, den er ständig mit sich herumschleppte.

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