Um ehrlich zu sein...

4.1K 501 195
                                    

Louis ließ sich mit einem tiefen Seufzen auf seinem Sofa nieder, als Amy endlich eingeschlafen war. Tausende Fragen hatte sie ihm über Paris gestellt, wie es denn gewesen war, ob er dort nette Leute getroffen oder das Disneyland besucht hatte, und - natürlich - ob er ihr etwas mitgebracht hatte.
Selbstverständlich hatte er das getan - ein kleines, hellrosafarbenes Armband mit einem Silberanhänger des Eiffelturms sollte sie stets daran erinnern, was für eine schöne Stadt Paris doch war und vielleicht - nur vielleicht - eines Tages ermutigen, selbst dort zu studieren.
Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwand allerdings, als er die Ruhe um sich herum bemerkte; die Ruhe, die seinen Gedanken viel zu viel Raum ließ und sie innerhalb von Sekunden hochscheuchte. So schnell, dass Louis absolut keine Chance hatte, in irgendeiner Art und Weise gegenzusteuern.
Harry sprach vermutlich genau in diesem Moment mit seiner Frau, und auch, wenn er Louis versichert hatte, dass er sich absolut keine Sorgen machen musste, fiel es dem Lehrer schwer, diesen Worten zu vertrauen.
Immerhin waren Harry und Jane eine sehr lange Zeit verheiratet gewesen und in dem Moment, in dem man sich zu einem so definitiven Schritt entschloss, konnten immerhin längst vergessen geglaubte Gefühle wieder an die Oberfläche kommen. Ganz abgesehen davon hatten sie noch immer eine gemeinsame Tochter; sie würden also ohnehin für immer ein Team bleiben müssen, ganz egal, wie ihr persönlicher Beziehungsstatus aussah.
Also entschloss Louis sich dazu, sich eine Flasche Wein aufzumachen und irgendeine sinnlose Talkshow im Free-TV zu verfolgen, in der Leute miteinander quatschten, die ein vermeintlich perfektes Leben führten.

Harry schlug das Herz unterdessen bis zum Hals. Er fühlte sich, als würde das Hemd, das er trug, ihm die Kehle zuschnüren, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Er wusste doch ganz genau, dass er nicht den Ansatz einer Chance hatte.
Wenn das Chaos erst einmal ausgebrochen war, gab es nicht mehr viel Zeit, um nachzudenken.
Er stieß also ein tiefes Seufzen aus und betrat das Wohnzimmer, in dem Jane sich bereits mit einer Tasse heißen Tees auf das Sofa gesetzt hatte und eine ihrer Serien verfolgte.
Harry setzte sich zu ihr und war bewusst darauf bedacht, räumlichen Abstand zwischen ihnen zu lassen und ihr nicht zu nahe zu kommen.
„Ich muss mit dir reden", gestand er schließlich und erschrak einen Moment lang darüber, wie zittrig seine Stimme doch klang.
Er war nicht mehr so nervös gewesen, seitdem er seinen Abschluss an der Uni gemacht hatte; wohlgemerkt war er damals bereits mit Jane verheiratet gewesen.
Oder war er vor Victoria's Geburt aufgeregter gewesen?
Kopfschüttelnd versuchte er, alle irrelevanten Gedanken aus seinem Kopf zu streichen, als seine Frau ihn fragend ansah. „Was ist denn los?"
Ihr Gesichtsausdruck war alarmiert und sie schien nervös zu sein, als hätte sie bereits etwas geahnt.
Harry spürte, dass sein Hals sich zusammenzog, während er plötzlich gar nicht mehr so mutig war, wie er sich erhofft hatte. Verdammt, er war dabei, seine Familie wegzuwerfen und Victoria's und Jane's Leben zu zerstören - wie zur Hölle sollte man sich dabei gut fühlen?
Schließlich allerdings fuhr er sich mit beiden Händen über das Gesicht und wünschte sich, an einem ganz anderen Ort zu sein, während er sagte: „Ich habe dir etwas wirklich wichtiges zu sagen."
Einen Moment lang glaubte er, schlecht zu sehen, als Jane lächelte und ihm beruhigend eine Hand auf die seine legte. „Du meine Güte, du bist ja ganz blass", stellte sie fest und sah ihn einen Moment lang besorgt an. „Geht es dir nicht gut?"
Harry seufzte und schüttelte den Kopf. „Um ehrlich zu sein..:", begann der Anwalt und zog seine Hand unter der seiner Ehefrau hervor. „Nein, es geht mir ganz und gar nicht gut."
Nun sah Jane sichtlich betrübt aus und stieß ebenfalls ein tiefes Seufzen hervor. Allerdings lag da etwas in ihrem Blick, das Harry Angst machte; sie sah auf eine seltsame Art und Weise anders aus, beinahe friedlich und fast glücklich. „Ich habe dir auch etwas wichtiges zu sagen."
Etwas wichtiges zu sagen...
Die Worte hallten in Harry's Kopf wider, als hätte sich das Band mit der Tonspur aufgehängt. Er hatte eine verdammt gute Ahnung davon, worüber sie mit ihm sprechen wollen würde, und er konnte sich keinen schlechteren Zeitpunkt dafür vorstellen.
Vor einigen Wochen hatten sie überlegt, das Haus zu verkaufen und ein neues etwas weiter außerhalb der Großstadt zu bauen, damit Victoria etwas sicherer und behüteter aufwachsen konnte.
Allerdings war nun vermutlich der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, den Jane sich hätte aussuchen können.
„Ich weiß", murmelte Harry und sah seiner Frau zum ersten Mal während des Gesprächs um die Augen. „Dann erzähl du mir zuerst, was du zu erzählen hast."
Er wusste ganz genau, dass sie vorher ohnehin keine Ruhe geben würde. Also konnte er auch noch fünf Minuten warten, ehe er sich von ihr trennte.
Mit pochendem Herzen wartete der Anwalt also darauf, dass seine Frau mit der Sprache herausrückte, auch wenn er eigentlich ganz genau wusste, was sie von ihm wollte.
Unruhig wurde er erst, als sie in der Seitentasche ihrer Weste herumkramte und ihn dabei grinsend ansah.
Und obwohl Harry den Gegenstand in ihrer Hand längst erkannt hatte, weigerte sein Verstand sich, zu glauben, was sich direkt vor seinen Augen abspielte.
Sie legte ihm den Gegenstand in die Hände, und Harry warf einen entsetzten Blick darauf, ehe er auf der digitalen Anzeige zwei rote Striche erblickte.
„Ich bin schwanger."

AnimusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt