Aber natürlich

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Kaum hatten Jane und Harry die Praxis verlassen, fiel Jane ihrem Mann euphorisch um den Hals. "Wir bekommen einen Jungen", rief sie voller Freude und wollte ihrem Mann einen Kuss geben, hielt dann aber inne, da sie sich erinnerte, dass ihr Mann sich ja von ihr getrennt hatte. Argwöhnisch zog Harry eine Augenbraue in die Höhe und sah die Rothaarige etwas irritiert an. Sanft aber bestimmend schob er sie von sich und fuhr sich dann einmal durch seine lockigen Haare.
"Ja", murmelte er, etwas überfordert mit der Euphorie seiner Frau. "Einen Jungen, ich freue mich".
Er zwang sich ein Lächeln auf die Lippen und sah dann nachdenklich zu seinem Wagen.
Wieso freute er sich nicht so wie Jane? Immerhin war es auch sein Kind und wenn man bedenkt, wie er damals bei Victoria in die Luft gesprungen ist, als er erfahren hatte, dass Jane ein Kind bekommt.
Dieses Mal war es irgendwie anders. Er konnte sich einfach nicht mit dem Gefühl anfreunden, erneut Vater zu werden. Vielleicht lag es daran, dass er und Jane nun getrennt waren und ihre Ehe vorher auch schon nicht mehr so gut lief. Es musste daran liegen, anders konnte er sich das nicht erklären.

Jane strich ihr Kleid glatt und sah dann auffordernd zu ihrem Mann. "Bring mich jetzt bitte zu meiner Tochter". Bei ihren Worten zuckte Harry heftig zusammen. Er konnte Jane nicht mit zu Louis nehmen. Er würde ihn umbringen und wenn er ehrlich war, konnte er ihn sogar verstehen.
"Jane, können wir nicht gemeinsam mit Victoria ein Eis essen gehen?", schlug der Anwalt deswegen versöhnlich vor, doch seine Frau blockte sofort ab. "Nein, Harry. Ich möchte sehen wo sie schläft, wo sie isst und wie ihre Umgebung aussieht. Es ist mein Recht und das weißt du auch".
Ergeben nickte der Anwalt und holte sein Handy aus der Hosentasche.
Louis würde ausrasten, aber er wollte ihn zumindest vorwarnen, weswegen er seinem Freund eine kurze Nachricht schrieb.
"Gut, dann los, aber Jane?"
Die Rothaarige sah den Anwalt lächelnd an und wartete darauf, dass er weiter sprach. "Benimm dich bitte, es ist nicht deine Wohnung. Und halte dich mit deinen Kommentaren über Homosexuelle etwas zurück. Es sind immerhin zwei Kinder im Haus und die müssen deine homophobe Seite nicht kennenlernen."
Sofort erstarb das Lächeln der werdenden Mutter.

~~**~~

Louis kochte innerlich vor Wut.
Er hatte Harry doch klar und deutlich gesagt, dass er diese Frau hier nicht haben wollte. Rechte hin oder her, das hier war seine Wohnung und er durfte doch wohl bestimmen, wer über die Türschwelle ging und wer nicht, oder?
"Papa?", Amy, die ihren Vater dabei beobachtete wie er wütend auf sein Handy starrte und vor sich hin murmelte, bemerkte natürlich sofort das hier etwas nicht stimmte. Der Lehrer sah seine Tochter an und versuchte sich zusammenzureißen. Die Mädchen konnten nun wirklich nichts für diese Situation.
"Ist alles okay?", wollte Amy wissen und nun schaute auch Victoria auf, die bis eben noch am Küchentisch saß und ein Mandala ausgemalt hatte.
"Vic, deine Mama kommt uns gleich besuchen". Er versuchte so wenig Hass wie nur möglich in diesen Satz zu bringen, auch wenn er das Wort Mama gerne durch ein anderes ersetzt hätte.
Vics Augen begannen zu leuchten und aufgeregt sprang sie von ihrem Stuhl. "Wirklich?", wollte sie wissen und merkte die Vorfreude in ihrem Bauch. Sie hatte ihre Mama nun schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Louis, der die Freude von Vic genau mitbekam, hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Jane kam nicht wegen Harry hier her, sondern wegen Victoria.
Sie war nicht da, um sich ihren Mann zurück zu holen.
Trotzdem, es störte ihn.
"Wollen wir deiner Mama ein Bild malen?", schlug Amy vor und freudig verschwanden die beiden Mädchen in das Kinderzimmer, wo Amy eine Unmenge an Wachsmalstiften hatte, mit denen die Mädchen am liebsten malten.
Louis atmete einmal tief durch und warf einen prüfenden Blick durch die Wohnung.
Es war aufgeräumt, aber - es sah halt trotzdem ein wenig chaotisch aus. Überall lag Spielzeug, der Kram aus der Schule lag ebenfalls überall und der Küchentisch diente im Moment als Louis' Büro, wo gerade Französischklausuren lagen, die er noch korrigieren musste.
Er versuchte etwas herunterzukommen und begann dann einfach damit, das Abendessen vorzubereiten. Ihm war jetzt eigentlich nicht nach kochen zu Mute, aber essen mussten sie ja trotzdem.

Gerade, als Louis die Auflaufform in den Ofen schob, hörte er wie sich die Haustür öffnete und er meinte, das sein Herz einen kurzen Moment aufgehört hatte zu schlagen.
Wiederwillig drehte er sich um, als auch schon Harry und Jane die Küche betraten.
"Hi", kam es unsicher von Harry, der sich in dieser Situation merklich unwohl fühlte und gerade überall lieber war, als hier. Zusammen in einem Raum mit seiner Frau und seinem Freund merkte er, wie er kaum Luft bekam. Diese gesamte Situation war einfach die reinste Hölle.
Louis, der ein falsches Lächeln aufsetzte, legte die Backofenhandschuhe auf die Arbeitsplatte und drehte sich dann zu den Beiden um. "Hallo Liebling", flötete er fröhlich, ging zu seinem Freund und zog ihn in seine Arme, damit er ihm einen Kuss geben konnte.
Wenn dieses rothaarige Biest schon in seine Wohnung kam, konnte Louis ihr ja auch gleich mal die Regeln erklären.
Harry, der sichtlich überfordert war mit dem Kosenamen und dem Kuss, schob Louis sanft von sich und sah ihn mahnend an. Musste er jetzt noch Salz in die Wunde von Jane streuen?
Aber Louis dachte gar nicht daran Rücksicht zu nehmen. Er war noch immer wütend, weshalb er seinen  Arm um die Taille von Harry schlang und dann zur Mutter von Vic sah, ihr ein falsches Lächeln schenkte und ein "Hallo Jane" murmelte.
Die Rothaarige erwiderte das Lächeln genauso falsch und reichte dem Lehrer ihre Hand.
Immerhin hatte sie noch so etwas wie Manieren, auch wenn sie diesen Mann wirklich die Pest an den Hals wünschte.
"Mommy!".
Victoria stürmte in die Küche und lief voller Freude in die Arme ihrer Mama. Lächelnd beugte sich die Rothaarige zu ihrer Tochter, zog sie an sich und gab ihr einen Kuss auf die Wange. "Hallo mein Schatz", hauchte sie und betrachtete ihre Tochter liebevoll.
"Schau mal, wir haben dir etwas gemalt", rief die Tochter des Anwalts und zog ihre Mutter hinter sich her in das Kinderzimmer.

"Musste das sein?", wollte Harry wissen und sah den Lehrer eindringlich an. "Ich habe sie für dich verlassen, musst du da noch drauf herumtrampeln?".
Louis verdrehte seine Augen und verschränkte bockig seine Arme vor der Brust.
"Meine Wohnung, meine Regeln".
"Ja, aber man kann sich doch benehmen. Du musst doch nicht so eine Show abziehen".
"Eine Show? Ich darf meinen Freund doch wohl begrüßen, wenn dieser nach Hause kommt".
Harry verdrehte seine Augen. "Ja", gab er leise von sich und entknotete die Arme von Louis, damit er seine Hände nehmen konnte. "Aber vielleicht in Janes Gegenwart nicht so überschwänglich. Und was sollte überhaupt dieser Kosename? Du hast mich noch nie Liebling genannt".
Louis sah beschämt zu Boden. Vielleicht hatte er sich wirklich schon wieder daneben benommen.
"Ich...ich wollte einfach-", Louis brach ab und schüttelte seinen Kopf.
"Louis", hauchte Harry leise und zog seinen Freund in seine Arme. Liebevoll gab er ihm einen Kuss auf die Stirn und lächelte den Lehrer dann an. "Ich werde nicht wieder zu ihr zurück gehen. Ich liebe dich, schon vergessen?".
Der Lehrer merkte, wie seine Wangen rot wurden und auch schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen.
"Bekomme ich dann jetzt wenigstens einen richtigen Kuss?", wollte er wissen und brachte den Anwalt damit zum Lachen. "Aber natürlich", antwortete er, legte seine Hände auf die Wangen des Lehrers und küsste ihn.

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