Idiot

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Nachdem die Männer zwei Stunden später ihr Zusammensitzen abgebrochen hatten, waren Niall und Liam nach Hause gegangen, während Harry und Louis verdattert zurückblieben.
Harry sprach das aus, was jeder in den vergangenen Stunden gedacht hatte: „Der arme Niall."
Louis nickte zustimmend. Es war nicht nötig zu erklären, dass auch er in der Küche mit Niall über dieses Thema gesprochen hatte.
Noch immer etwas fassungslos stand Louis auf und trug die Bierflaschen in die Küche. „Verdammt, ich kann beide Seiten verstehen. Wenn jemand einfach keine Kinder möchte, dann ist das halt so."
Harry seufzte und folgte ihm in die Küche. „Es ist ja nicht so, als würde er keine Kinder wollen. Er denkt bloß, er sei ein schlechter Vater, weil er ohnehin keine Zeit für ein Kind hätte."
„Wieso das denn?"
„Er denkt, er arbeitet zu viel."
Nun war Louis derjenige, der seufzte. Er öffnete die Tür zum Balkon, um etwas frische Luft in die Wohnung zu lassen. „Er arbeitet doch nicht mehr als du. Wieso sollte das einen Unterschied machen?"
Der Anwalt zuckte beide Schultern. „Ich weiß es nicht. Zuerst dachte ich, er hätte einfach Panik bekommen, verstehst du? Panik davor, dass es ernst werden könnte. Aber ich kenne Liam. Und diesen Eindruck hatte ich ganz und gar nicht, nachdem ich ihn darauf angesprochen habe."
Louis wurde hellhörig, dachte einen Moment darüber nach und schüttelte dann doch entschlossen den Kopf. „Nein", sagte er schließlich, „Das glaube ich auch nicht. Und wenn er es sich doch plötzlich anders überlegen sollte - dann gnade ihm Gott."
Harry quittierte diese Aussage mit einem Grinsen und ging mit Louis hinaus auf den Balkon. Es war bereits dunkel geworden, doch in den Wohnungen des Blocks brannten noch immer Lichter. „Ich bin froh, dass wir uns darüber keine Gedanken machen müssen."
Louis lächelte und nickte. „Ich auch. Trotzdem mache ich mir Gedanken. Niall ist mein bester Freund."
„Ich weiß", antwortete Harry und zog den Lehrer in seine Arme. „Aber die beiden sind erwachsene Menschen und können das unter sich klären. Wir sollten uns nicht zu viel einmischen."
Louis seufzte. „Vielleicht hast du recht. Ich frage mich bloß, weshalb sie das Thema nicht geklärt haben, bevor sie eine Beziehung eingegangen sind. Sowas macht man doch, oder?"
Harry zuckte beide Schultern. „Ich glaube, Liam hat sich über dieses Thema einfach gar keine Gedanken gemacht und somit auch nicht daran gedacht, es auch nur ansprechen zu können. Für ihn waren Kinder nie ein Thema."
„Für Niall schon", antwortete Louis und ließ sich auf einem der Stühle nieder, ehe er sich eine Zigarette anzündete und eine Weile in die Dunkelheit starrte. „Ich kenne ihn fast mein ganzes Leben lang. Er wollte immer eine Familie haben. Das hat sich auch nicht geändert, als er bemerkt hat, dass er auf Männer steht."
Harry ließ sich neben ihm nieder und steckte sich ebenfalls eine Zigarette an. Er rauchte nicht oft, schon gar nicht regelmäßig, aber hin und wieder - vor allem, wenn er getrunken hatte -, konnte er es einfach nicht sein lassen.
Und nach einem Tag wie diesem schien ihm das eine gelegene Ablenkung zu sein. Zumindest für ein paar Minuten lang.
„Ich weiß nicht", überlegte Harry, „Ich denke nicht, dass Liam überhaupt keine Kinder möchte. Er hat sich nur einfach noch keine Gedanken darüber gemacht, weil er bisher immer der Meinung war, ein Kind würde nicht in sein Leben passen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er seine Meinung noch ändern wird."
Louis antwortete nicht, zog stattdessen an seiner Zigarette und dachte einen Moment lang nach. Was hätte er wohl an Niall's Stelle getan?
Louis war genau wie Niall immer jemand gewesen, der auf jeden Fall Kinder haben wollte; natürlich, es war ein verdammt seltener Zufall, dass auch er irgendwann herausgefunden hatte, dass er auf Männer stand, und dass auch Harry's bester Freund homosexuell war und - ausgerechnet - mit Niall eine Beziehung eingegangen war. Aber so war es nun einmal, und Louis mochte beide, Niall und Liam.
Er wollte nicht zwischen den Stühlen stehen, auch wenn er sich im Zweifelsfall immer für Niall entscheiden würde.
Niall war immer für ihn da gewesen, ganz egal, wann und wo er ihn gebraucht hatte. Es fing bei den pauschalsten Dingen an - einer Reifenpanne, einem missglückten Date, von dem ihn nun jemand abholen musste, oder die Tatsache, dass kein Kaffee mehr im Haus war - und hörte bei den weniger banalen Dingen auf, wie beispielsweise seiner Trennung von Nick.
Niall hatte ihm Tag und Nacht zur Seite gestanden, sich extra frei genommen, obwohl sein Chef absolut nicht begeistert davon gewesen war.
Niall hatte sich bei Louis einquartiert und ihn keine Minute lang aus den Augen gelassen. Er hatte sich um Amy gekümmert, wenn Louis gerade keine Kraft dazu gehabt hatte, er hatte gekocht und Louis wieder auf die Beine geholfen.
Er wollte sich nicht vorstellen, wo er heute ohne Niall gewesen wäre.
Niall war zweifellos mit Harry und Amy der wichtigste Mensch in Louis' Leben, und er hätte ihn für nichts auf der Welt eingetauscht.
Er wusste, dass er sich zu hundert Prozent auf ihn verlassen konnte. Deshalb wollte er ihn nicht traurig sehen - und er wusste, dass er - sollte es hart auf hart kommen - genauso für Niall da sein würde, wie er es einst für ihn war.
Harry zog an seiner Zigarette und seufzte. „Nun mach dir nicht so viele Gedanken", sagte er, in liebevollem Ton, während er zärtlich eine Hand auf Louis' Oberschenkel legte. „Ich verspreche dir, es wird alles gut werden."
Obwohl Louis klar war, dass Harry das nicht wissen konnte, lächelte er angesichts der schönen Geste und legte seine Hand auf die des Anwalts.
„Lass uns ins Schlafzimmer gehen. Ich bin wahnsinnig müde, und muss morgen schon um acht anfangen."
Harry setzte ein Gesicht gespielter Empörung auf. „Schon um acht? Der Lehreralltag muss echt stressig sein..."
Louis rollte mit den Augen und gab Harry einen Schubs mit seinem Ellbogen. „Idiot."
Grinsend folgte der Anwalt ihm also ins Schlafzimmer, kuschelte sich mit ihm unter dessen Bettdecke und hörte, wie die Mädchen im Nebenzimmer wieder wach waren.

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