Welche verdammte Balkonszene?

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Nach einer ausgiebigen Baderunde in dem kleinen Waldsee, der vor der Hütte lag, saßen beide auf der Veranda, die regelrecht über dem Ufer zu schweben schien.
Eingewickelt in zwei dicke Wolldecken saßen sie nun da und beobachteten das Wasser, das sanft in der Sonne glitzerte, die hin und wieder ein paar Strahlen durch die Wolken warf, die am Himmel hingen.
Sanfter Wind strich ihnen durch die Haare, und sie schmiegten ihre nackten Körper unter den Decken eng aneinander.
Harry legte einen Arm um Louis, drückte ihn vorsichtig an sich und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn.
Louis spürte, wie kleine Schmetterlinge in seiner Magengegend flatterten, wie er sich geborgen und beschützt fühlte, als Harry die Decke ein Stück weiter nach oben zog, damit ihm nicht kalt wurde, als er ihm schließlich das noch nasse Haar aus dem Gesicht strich und eine Hand an seine Wange legte. „Ich liebe dich, Louis."
Der Lehrer lächelte und blickte verliebt zu dem Anwalt auf. „Ich liebe dich auch."
Auch Harry spürte, wie sich ein verdächtiges Kribbeln in seinem gesamten Körper bemerkbar machte, wenn er Louis so innig an sich drückte.
Er hatte das Gefühl, dass dieses Wochenende in einer kleinen Waldhütte genau das gewesen war, was ihre Beziehung gebraucht hatte.
Sie mussten als Paar wieder zueinander finden. Fernab von all dem Alltag konnten sie sich mit ihren Schwierigkeiten befassen, damit beginnen, sie aufzuarbeiten und gleichzeitig die Zweisamkeit genießen, die in den letzten Wochen oft viel zu kurz gekommen und durch die Streitigkeiten schließlich ganz ausgeblieben war.
„Was die Mädchen wohl gerade machen?", riss Louis den Anwalt schließlich aus seinen Gedanken, während er noch immer gedankenverloren auf den See blickte.
Harry kicherte kurz, als das Bild ihrer Töchter vor seinem geistigen Auge erschien. „Wahrscheinlich jagen sie Niall durch die ganze Wohnung, während Liam die Krise bekommt, weil die Wohnung aussieht wie ein Schlachtfeld."
Augenblicklich senkte Louis seinen Blick und schien plötzlich gar nicht mehr zu Späßen aufgelegt zu sein.
Harry sah ihn einen Moment lang fragend an, ehe er verstand.
Niall.
Louis hatte sich noch immer nicht bei seinem besten Freund für die harten Worte entschuldigt, die er ihm vor ein paar Tagen an den Kopf geworfen hatte.
Und Niall, der von seinen Worten zutiefst verletzt worden war, hatte sich natürlich auch nicht gemeldet.
Harry wusste von Liam, dass der Ire in den letzten Tagen sehr gelitten und kaum noch ein Lächeln auf die Lippen gebracht hatte.
Damit hatte es ihm ziemlich genauso ergangen, wie Louis.
Verständlicherweise - immerhin kannten die beiden sich schon beinahe ihr gesamtes Leben lang. Sie hingen aneinander wie Brüder, und im Grunde genommen konnte sich keiner ein Leben ohne den anderen vorstellen.
„Hey", murmelte Harry aufbauend und legte einen Finger an Louis' Kinn um dessen Gesicht in seine Richtung zu drehen. „Ich weiß, dass dich die Sache ziemlich mitnimmt - Niall und Liam werden doch morgen ohnehin nachkommen. Mit Sicherheit findet sich da die Zeit zu einem klärenden Gespräch zwischen Niall und dir."
Louis seufzte und fuhr sich mit einer Hand über das verzweifelte Gesicht. Er schwieg lange, bevor er Harry eine Antwort gab.
„Ich weiß doch gar nicht, was ich ihm sagen soll", gestand der Lehrer leise, während er auf den ruhig vor ihnen liegenden See starrte. „Verdammt, Harry, ich habe mir seinen wundesten Punkt gegriffen und mit purer Absicht darauf herum getreten. Dafür gibt es keine Entschuldigung."
Die ehrlichen Worte aus Louis' Mund überraschten den Anwalt. Er hätte nicht damit gerechnet, dass er in derartiger Deutlichkeit aussprechen würde, was passiert war und was jetzt in ihm vorging.
Harry lächelte seinen Freund ermutigend an. „Denkst du nicht, er wird sich zumindest anhören, was du zu sagen hast?"
„Natürlich wird er das", gab Louis zur Antwort, „Wir reden hier von Niall. Er würde sich jede noch so absurde Entschuldigung oder Rechtfertigung geduldig anhören, weil er nun einmal viel zu gut für diese verkorkste Welt ist. Aber darum geht es doch gar nicht."
Louis schluckte und machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr: „Mir geht es viel mehr darum, wie enttäuscht ich von mir selbst bin, weil ich ihm das angetan habe. Niall ist mein bester Freund, und ich weiß, dass er es nie leicht hatte. Trotzdem hat er nie auch nur eine Sekunde lang gezögert, mir seine Hilfe anzubieten, wenn ich sie gebraucht habe."
Wieder eine Pause. Louis war selbst überrascht von sich, weil er so offen mit Harry über die Sache mit Niall redete, für die er sich doch eigentlich zutiefst schämte. „Ich kann mich einfach selbst nicht verstehen. Ich kann nicht glauben, dass ich ihn so behandelt habe."
Ich auch nicht, dachte Harry bei sich, entschied sich allerdings, diesen Gedanken auch bei sich zu lassen. „Du warst an diesem Tag nicht du selbst, Louis. Er wird das sicher verstehen."
Louis seufzte. „Natürlich wird er das", wiederholte er, „Aber wie gesagt, darum geht es doch gar nicht. Niall ist kein nachtragender Mensch; das heißt, zumindest möchte er das nicht sein. Aber ich kenne ihn, Harry, und ich weiß ganz genau, dass die Sache noch immer in ihm arbeitet. Ich garantiere dir, dass er Liam mindestens ein Mal gefragt hat, ob es nicht sein kann, dass ich mit meinen Aussagen Recht hatte."
Harry schluckte, weil er aus Liam's Erzählungen wusste, dass Louis richtig lag. Einen Moment lang bewunderte er, wie gut Niall und Louis einander doch kannten - im nächsten Moment wurde ihm mulmig dabei, weil er sich im Klaren darüber war, dass Louis ganz genau wusste, wie sehr er Niall mit seinen Aussagen verletzt hatte.
„Das bin nicht ich, Harry. Ich weiß nicht, was an diesem Tag mit mir los war."
„Ich auch nicht", gestand Harry und seufzte kurz auf. „Aber solche Dinge passieren. Menschen machen Fehler, Louis. Das lässt sich nicht vermeiden."
„Solche Dinge dürfen aber nicht passieren", beharrte Louis, und obwohl er damit irgendwie Recht hatte, schüttelte Harry den Kopf.
„Du kannst nicht immer alles beeinflussen. Das funktioniert nicht. Aber du weißt doch jetzt, dass du dich Niall gegenüber falsch verhalten hast - also warum redest du morgen nicht einfach mit ihm, erzählst ihm die Sache genau so, wie du sie mir gerade erzählt hast, und wartest einfach ab, was er dazu sagen wird?"
Louis spürte, wie Tränen hinter seinen Lidern brannten, und Harry konnte seine Augen glitzern sehen. „Ich weiß, das ist schwierig, aber mehr Möglichkeiten hast du im Moment nicht."
Louis schmiegte sich an den Anwalt und fühlte die ersten Tränen über seine Wangen laufen. „Ich hatte einfach solche Angst, dass du wieder zu ihr zurückgehst", erklärte er mit zitternder Stimme, „Ich konnte einfach nicht hören, wie er mir sagte, dass sie leider das Recht hat, Ihre Tochter zu besuchen, auch wenn das dann in meiner Wohnung stattfinden muss."
Harry bedachte den Lehrer mit einem mitleidigen Blick und wischte ihm die Tränen von den Wangen. „Ich werde nicht zu ihr zurückgehen, Louis. Niemals", versuchte er ihm und drückte ihm einen weiteren Kuss auf die Stirn. „Ich habe doch jetzt dich."
Louis musste lächeln, obwohl er sich eigentlich miserabel fühlte. „Du wolltest ihr unbedingt helfen, und hast mich dabei völlig vergessen."
Harry seufzte. „Das ist nicht wahr, Louis."
„Natürlich ist es das", protestierte der Lehrer und richtete sich auf, um sich aus Harry's Arm zu winden. „Und das weißt du ganz genau."
Harry schüttelte den Kopf und legte beruhigend eine Hand auf Louis' Oberschenkel, der noch immer unter der weißen Wolldecke versteckt war.
„Das stimmt nicht", wiederholte Harry und sah Louis enttäuscht an. „Du kannst doch nicht erwarten, dass ich sie komplett sitzen lasse und nie wieder mit ihr spreche. Sie ist die Mutter von meiner Tochter, und sie erwartet ein zweites Kind von mir..."
„Ja", fauchte Louis, „Weil du sie gevögelt hast, während wir beide zusammen waren."
„Louis..."
„Was?", zischte er, „Es ist doch so. Nicht nur ich habe Fehler gemacht, Harry."
Der Anwalt senkte seinen Blick, denn er musste sich eingestehen, dass Louis Recht hatte. Es machte keinen Sinn, die Sache abzustreiten, denn sie wussten beide, dass Louis die Wahrheit sagte.
Es schockierte ihn, dass Louis' Verletzungen anscheinend doch so weit zurück reichten.
Obwohl ihm das eigentlich hätte klar sein müssen, hatte er sich eingeredet, dass Louis diesen Zwischenfall mit Jane nicht so schwer gewertet hatte und sich mittlerweile sicher war, dass Harry nicht mehr zu ihr zurückgehen würde.
Doch da war nun einmal dieser Vorfall gewesen, der dazu geführt hatte, dass Jane nun ein Kind von Harry erwartete - und vor dem Hintergrund dieser Tatsachen war es nun wirklich kein Wunder mehr, dass Louis so eifersüchtig geworden war, als Harry mit seiner Frau zum Arzt gegangen war und sie schließlich in Louis' Wohnung eingeladen hatte.
Harry hatte so sehr glauben wollen, dass Louis seinen Ausrutscher von damals bereits vergessen hatte, dass er es sich selbst so lange eingeredet hatte, bis er hundertprozentig davon überzeugt gewesen war.
Er hatte sich ganz einfach nicht eingestehen wollen, dass er Louis tiefer verletzt hatte, als er glaubte. Dass Louis' seltsames Verhalten Jane gegenüber und diese rasende Eifersucht in seinem eigenen Fehlverhalten begründet lag.
„Ich weiß, ich habe viele Fehler gemacht", setzte Harry schließlich an und sah Louis tief in die blauen Augen, die vor Tränen fast blind waren. „Ich weiß auch, dass ich dich mit vielen Dingen in der Vergangenheit tief verletzt habe. Aber ich sitze jetzt hier mit dir, weil ich dich liebe. Dich und niemanden sonst."
Louis schniefte und wand den Blick ab, sah stattdessen wieder auf den Waldsee, der ihn so sehr zu faszinieren schien. „Warum hast du es dann getan? Warum hast du mit ihr geschlafen, wenn du mich so sehr liebst?"
Harry schüttelte den Kopf und zog den Lehrer wieder etwas näher an sich. „Ich kann es dir nicht erklären", gab er zur Antwort, „Ich kann es versuchen, wenn du das wirklich möchtest, aber ich kann es dir nicht versprechen."
Louis deutete ihm mit einer Geste, dass er beginnen sollte, und wartete schließlich darauf, dass der Anwalt zu reden begann.
Dieser allerdings schluckte und stieß ein abgrundtiefes Seufzen aus. „Weißt du, Louis, für mich war das Ganze auch neu. Neu, und verdammt beängstigend. Ich habe mich noch nie vorher in einen Mann verliebt, geschweige denn mit ihm geschlafen."
Harry machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach: „Auch, wenn es zwischen Jane und mir zu diesem Zeitpunkt nicht besonders gut gelaufen ist, war ich mir doch sicher, dass ich mein Glück und meine Zukunft gefunden hatte, und ich habe ganz einfach nicht damit gerechnet, dass sich das so schnell ändern könnte. Und schon gar nicht habe ich damit gerechnet, dass sich das durch einen Mann ändern könnte."
Wieder eine Pause. Harry beobachtete Louis' Reaktion genau. Obwohl er ihm noch immer in einer deutlichen Abwehrhaltung gegenübersaß, wurden seine Gesichtszüge doch schon weicher. „Das zwischen uns ging so schnell, ich wurde von neuen Gefühlen überwältigt, die ich so noch nie gespürt habe, und plötzlich fand ich mich mitten in einer hitzigen Affäre wieder, und ich wusste nicht, was ich tun soll."
Harry seufzte. „Meine Gefühle für dich waren viel stärker, als sie es bei Jane jemals gewesen waren. Aber wir hatten zusammen immerhin eine Tochter, und ich wusste nicht, ob ich meinen Gefühlen nachgeben oder auf meine Vernunft hören sollte. Aus dieser Verwirrung ist schließlich der Sex mit ihr, und letztendlich dieses zweite Baby entstanden."
Louis seufzte.
Er kannte diese Geschichte aus tausenden Erzählungen, Filmen, Büchern, Serien und sonstigen Unterhaltungsmedien.
Jemand begann eine Affäre mit einer verheirateten Person, und im Endeffekt endete das Ganze immer gleich: Man wurde enttäuscht, weil der Ehepartner dem anderen Menschen im Endeffekt doch immer wichtiger war, als die Person, mit der sie eine Affäre begonnen hatte.
Lange Zeit hatte Louis gedacht, er würde genauso enden. Die Hoffnung, die er am Anfang gehabt hatte, die wahrscheinlich jeder am Anfang einer solchen Beziehung hatte, war relativ schnell erloschen.
Und er wusste, dass nur ein Bruchteil der Menschen, die eine Affäre mit einer verheirateten Person anfingen, auch wirklich das Glück hatten, dass der Verheiratete sich schließlich für sie entschied.
Er hatte dieses Glück gehabt, und auch wenn er wusste, dass er einer von wenigen war, denen er so erging, war sein Vertrauen in Harry seitdem ein Stück weit erstorben.
Er wusste nicht, ob er es wiedergewinnen konnte, oder ob es vielleicht für immer zerstört war. Aber er wusste, dass er der Sache mit Harry noch einmal eine Chance gegeben hatte, weil er ihn liebte. Auch wenn jeder - nicht zuletzt Niall - ihn deshalb für völlig verrückt erklärt hatte.
Harry aber lächelte den Lehrer an. „Ich liebe dich so sehr, Louis. Ich habe mich in dich verliebt, wie der Mond, der sich nachts den Weg an den Himmel erkämpft."
Louis lächelte, zog dann allerdings beide Augenbrauen nach oben und fragte sich, wo Harry's poetische Ader plötzlich herkam. „Du vergleichst deine Liebe mit dem Mond? Weißt du nicht, wie das bei Romeo und Julia geendet hat?"
Harry sah Louis irritiert an. „Nein? Ich habe Jura studiert, keine englische Literatur. Du bist derjenige von uns beiden, der seine Zeit damit verschwendet hat."
Empört sah Louis den Anwalt an und schüttelte schließlich seinen Kopf. „Du bist wirklich unmöglich."
Harry grinste. „Warum? Was hatten denn Romeo und Julia zum Mond zu sagen?"
„Du kennst die Balkonszene nicht?"
Harry sah verzweifelt aus. „Welche verdammte Balkonszene?"
Louis rollte ungläubig beide Augen. „Das kann doch echt nicht wahr sein."
„Warum nicht?"
„Weil das wohl die bekannteste Szene der englischen Literatur ist."
„Wie bereits gesagt, habe ich keine Ahnung von englischer Literatur", erklärte Harry, „Was willst du als nächstes von mir wissen? Welcher Franzose das Baguette erfunden hat?"
Louis schnappte aufgebracht nach Luft. „Du hast es versprochen!"
Harry winkte grinsend ab. „Nein, Nein. Das Versprechen, keine Franzosenwitze zu machen, galt nur für gestern Abend."
Louis verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust, murmelte etwas vor sich hin, das Harry nicht verstehen konnte, und doch musste er kichern. „Okay, Okay. Was passiert denn in dieser berühmten ... Balkonszene?"
Louis verdrehte erneut die Augen und seufzte. „Romeo schwört Julia beim Mond, dass er sie immer lieben wird."

Harry grinste. „Und? Was sagt Julia dazu?"
Louis lächelte und spürte, wie liebenswert er Harry's neckende Art doch eigentlich fand, weil sie auf seine Art Ausdruck seiner Zuneigung war. Und so begann er zu zitieren: „Oh, schwöre nicht beim Mond, dem Wandelbaren, der immerfort in seiner Scheibe wechselt, damit nicht wandelbar dein Lieben sei..."

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