... unter aller Sau

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Irgendwie, und Harry wusste zum Teufel nicht wie, schaffte er es pünktlich zum Gericht und sah halbwegs fit aus. Er gaukelte dem Richter eine leichte Erkältung vor, konnte somit seine Augenringe erklären und schaffte es trotz allem souverän durch den Prozess.
Wobei das ein mittelschweres Wunder war, denn seine Gedanken kreisten unaufhörlich um Louis, bei dem er sich verdammt nochmal entschuldigen musste. Und wie er das musste. Ein einfaches "Sorry" würde nicht reichen, das wusste er.

Er fuhr also nach seiner Verhandlung in das nahegelegene Blumengeschäft, kaufte den größten Strauß, den er finden konnte und merkte selbst, dass das nicht annähernd reichen würde.
Louis musste ihm verzeihen, erneut, und das war bei den Worten, die Harry ihm an den Kopf geworfen hatte, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Mit Magenschmerzen stieg er wenig später die Treppe hinauf, merkte den Druck auf seiner Brust Stufe für Stufe mehr und seine Hände zitterten so sehr, wie sie es vermutlich das letzte Mal bei der Geburt von Victoria getan hatten. Damals allerdings aus Freude und nicht, wie heute, aus Angst.

Als er dann die Wohnungstür aufschloss, konnte er nicht einschätzen, was bei seiner Entschuldigung herauskommen würde. Er wusste nicht, was er und Louis am Ende des Tages waren.
"Daddy?"
Vic kam in den Flur gerannt und schmiss sich ihrem Vater an die Beine. Lächelnd nahm dieser seine Tochter auf den Arm, küsste ihre Wange und drückte sie fest an sich. Louis hatte so verdammt recht damit, dass er es sich einfach machte. Er hatte Louis' Hilfe bei Victoria als selbstverständlich angenommen und das war es bei weitem nicht. Es war nicht selbstverständlich. Überhaupt nicht.
"Wo warst du?", wollte das kleine Mädchen wissen und wickelte ihren Zeigefinger in eine der Locken des Anwalts.
"Auf der Arbeit."
Das kleine Mädchen verdrehte ihre Augen und beinahe hätte Harry wegen dieser Geste gelacht, wäre nicht Louis in seinem Blickwinkel erschienen, der den Anwalt alles andere als erfreut ansah.
"Ich meinte heute Nacht." Der Anwalt nickte, setzte seine Tochter auf dem Boden ab und fuhr sich durch das Haar.
"Ich habe bei Onkel Liam geschlafen."
Vic nickte, wollte etwas sagen, doch da unterbrach Harry seine Tochter. "Lässt du Louis und mich mal kurz alleine? Du kannst ja mit Amy ein Puzzle machen und ich helfe euch nachher bei den schweren Teilen."
Die kleine Lady lächelte, eilte dann in das Kinderzimmer und machte den Blick frei auf Louis, der mit verschränkten Armen im Türrahmen der Küche stand und den Anwalt ansah.
Dunkle Augenringe zierten das Gesicht des Lehrers. Ihm war anzusehen, dass er kaum geschlafen hatte und das alleine war Harrys Schuld.
"Hi", hauchte der Anwalt leise und wagte einen Schritt auf Louis zu. Dieser hingegen drehte sich um und ging in die Küche, nahm sich den Wasserkocher und stellte diesen an. Als Harry folgte, goss der Lehrer gerade das Wasser in eine Tasse und drehte sich dann wieder zu Harry um, welcher den Blumenstrauß in den Händen hielt und sich damit nun wahrlich dämlich vorkam.
"Es tut mir leid", gestand er dennoch und bekam, wie zu erwarten, ein verachtendes Schnauben.
Der Lehrer verschränkte erneut seine Arme vor der Brust und merkte, wie die Wut erneut von ihm Besitz ergriff.
"Und du denkst, mit einem bescheuerten Blumenstrauß ist alles wieder okay?"
Reumütig senkte Harry seinen Kopf und schüttelte diesen. "Nein, natürlich nicht."
Als Harry den Kopf wieder hob, drehte Louis sich um, nahm die Tasse mit Tee und verschwand auf den Balkon. Der Anwalt gab seinem Freund einen Moment, stellte die Blumen in das Wasser, ehe er dem Lehrer auf dem Balkon folgte, wo Louis sich eine Zigarette angezündet hatte und angestrengt in die Ferne schaute. Harry fackelte nicht lange, griff in seine Hosentasche und zog ebenfalls ein Päckchen heraus. Er hatte sie heute Morgen gekauft, wohl wissend, dass heute einer der Tage war, an denen er eine Zigarette brauchen würde. Oder zwei.
Er zündete sich also ebenfalls eine Zigarette an und versuchte seine Angst unter Kontrolle zu bekommen.

"Ich liebe dich, Louis", begann er und wagte es nicht, seinen Freund anzuschauen. "Und mein Verhalten dir gegenüber war unter aller Sau." Louis nickte, zog an seiner Zigarette und klammerte sich mit seiner freien Hand am Tee fest. Am liebsten würde er Harry gerade vom Balkon werfen.
"Aber...ich...wenn dieses Baby wirklich nicht von mir ist, dann...ich-", der Anwalt brach ab, merkte, wie ihm die Tränen in die Augen traten und alleine der Gedanke schon unheimlich weh tat. Er hatte sich doch immer so sehr ein zweites Kind gewünscht und jetzt...jetzt sollte dieses Baby nicht sein eigenes sein?
Kopfschüttelnd zog er an der Zigarette, drückte diese danach aus und starrte auf seine Knie.
"Ich habe immer an die heile Welt geglaubt, weißt du? Damals, als ich Jane kennengelernt habe, wusste ich genau, dass ich diese Frau einmal heiraten würde. Ich habe sie so sehr geliebt und die Zeit mit ihr war wundervoll. Und dann kam Vic auf die Welt und ich war der glücklichste Mann auf der Welt. Ich hatte das perfekte Familienleben und habe vermutlich alles ausgeblendet, was sich änderte." Ein Seufzen kam aus seinem Mund, ehe er weiter sprach. „Mir ist natürlich aufgefallen, wie sehr sich Jane verändert hat, seit wir in diesem Haus gewohnt haben, aber ich habe gedacht, dass das doch normal sei. Jeder verändert sich irgendwann."
Louis drehte seinen Kopf zur Seite und schaute den Anwalt an. Er wollte etwas darauf antworten, beließ es dann aber beim Schweigen. Seine Worte wären nicht nett gewesen.
"Für mich hatten wir die perfekte, heile Welt. Ein richtiges Bilderbuchleben und niemals hätte ich damit gerechnet, dass es anders laufen würde. Doch dann kamst du. Du hast mir einfach so den Boden unter den Füßen weggerissen und ich habe mich Hals über Kopf in dich verliebt." Kurz lächelte der Anwalt, merkte einen winzigen Moment die Schmetterlinge zurück in seinem Bauch. „Auf einmal waren da diese starken Gefühle für dich, die mich an allem bisherigen zweifeln ließen. Mit einem Mal habe ich die Welt vollkommen anders gesehen und merkte mehr und mehr, dass von der Jane von damals nicht mehr viel übrig war. Ich merkte, wie sie sich verändert hatte, aber dass sie mich betrogen hatte, damit hätte ich niemals gerechnet. Wobei ich ihr deswegen keinen Vorwurf machen kann, ich war ja kein Deut besser." Der Anwalt schluckte, schielte auf die Zigarettenpackung und nahm sich die nächste Zigarette heraus. Louis tat es ihm gleich, zündete sich ebenfalls eine neue Zigarette an, sah dann wieder in die Ferne und schwieg weiter.
"Dieses Baby...auch wenn ich mich für dich entschieden habe, was ich in keinster Weise bereue, wirklich, aber dieses Baby bedeutet mir so viel. Ich...ich habe mich so sehr auf dieses kleine Lebewesen gefreut, habe mich bildlich schon mit ihm auf dem Spielplatz gesehen und habe mir ausgemalt, wie es sein würde, wenn wir hier zu fünft im Wohnzimmer sitzen würden und dieser kleine Junge ein Teil von uns werden würde. Du hättest ihm Fußballspielen beigebracht, wir wissen ja alle, dass ich darin grottenschlecht bin und die Mädchen hätten mit ihm spielen können. Er hätte sich auf die Wochenenden hier gefreut und immer die Tage gezählt, bis er wieder herkommen würde. Ich...der Gedanke...dass...dass dieses Baby-", erneut brach Harry ab und gab auf. Er versuchte nicht mehr seine Tränen zu verstecken, ließ ihnen freien Lauf und gab ein leises Schluchzen von sich. Die Zigarette landete unausgedrückt im Aschenbecher, danach vergrub er sein Gesicht in seinen Händen und merkte mehr und mehr den Schmerz und die Enttäuschung darüber, dass sein wundervolles Bild vermutlich nie passieren würde.

Es dauerte eine Weile, bis Harry sich wieder fing. Louis blieb noch immer still, merkte, dass Harry noch weiter reden wollte und der Lehrer wollte sich die komplette Sicht seiner Dinge anhören, ehe er antworten würde.
"Als du dann mit diesem Typen hier ankamst, da...ich weiß auch nicht. Ich habe gemerkt, dass an dieser Geschichte wirklich etwas Wahres dran sein könnte. Das Jane mich wirklich betrogen hat und mir dieses Kind unterschieben wollte. Ich habe zum ersten Mal diesen Gedanken an mich herangelassen und binnen eines Wimpernschlags ist meine komplette Welt zusammengebrochen. Es war wie ein Kurzschluss, ich wusste nicht mehr, was ich denken und glauben sollte und habe das gemacht, was komplett falsch war. Ich habe Dinge gesagt, die dich bewusst verletzen und das nur, damit ich von meinem Schmerz ablenke. Es... es tut mir so unfassbar Leid, Louis. Glaube mir, ich wollte das alles nicht, aber diese gesamte Situation ist mir über den Kopf gewachsen." Voller Reue hob der Anwalt seinen Kopf, sah in die blauen Augen seines Freundes und merkte, wie ein fieser Stich durch sein Herz ging. "Ich war so grausam zu dir."

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