30.2. When Tables Turn

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Ich lasse mir Zeit zu antworten. Mein Blick schwankt zwischen Caesars neugierigen Augen und der Kamera und bleibt schließlich an der Kamera hängen. Ich habe das Gefühl, Haymitch direkt in die Augen zu schauen. Schaut er gerade zu? In meinem Kopf taucht das Bild von einem Paar dunkelgrauer Augen auf. „Es ist nichts passiert", sage ich dann und weiß natürlich, dass es nicht das ist, was Caesar hören will. „Ich habe mir große Mühe gegeben, ihn für die Hungerspiele zu gewinnen. Aber Haymitch war ... kein einfacher Mann. Das Einzige, an dem ihm etwas lag, war sein Alkohol. Zum Zeitpunkt meines ersten Jahres hat meine damalige Vorgängerin mich sehr unterstützt. Sie hat sich die meiste Zeit um Haymitch gekümmert. Erst im Jahr darauf musste ich ihn allein händeln."

Caesar schnaubt und schüttelt mit einem Grinsen den Kopf. „Aber Miss Trinket, das kann doch nicht schon alles sein. Wir alle wissen, dass Haymitch seinen eigenen Kopf hatte, aber in dem Jahr ist er förmlich aufgegangen. Er hat an jeglichen öffentlichen Ereignissen teilgenommen, stets an Ihrer Seite. Und zu jeder Zeit habt ihr zusammen mehr als glücklich gewirkt."

Auf den Bildschirmen werden Bilder eingeblendet. Sie zeigen Haymitch und mich, um einiges jünger als jetzt, in verschiedenen Outfits. Es fühlt sich an wie ein Stoß in die Brust. Er hat recht. Das Lächeln, das unsere Lippen ziert, ist groß und echt und umwerfend. Überzeugend. Wir haben sie alle von unserer Sache überzeugt. In Haymitchs Gesicht zu schauen, entfacht den Schmerz erneut, den ich die ganzen Jahre zu kontrollieren versucht habe. Seine Hand ruht auf meiner Hüfte und die Geste wirkt vollkommen natürlich. Ich schaue zu ihm auf und strahle ihn an. Wir wirken beide unfassbar glücklich.

„Sie können nicht verleugnen, dass sich um diese Zeit einige Gerüchte ranken", fährt Caesar auf seine spielerische Art fort, die er in den Interviews der Tribute immer verwendete, um sie mit dem falschen Gefühl einer vertrauensseligen Atmosphäre aus der Reserve zu locken. Ich schaue an ihm vorbei zu Peeta, der sein warmes Lächeln nur mit Mühe aufrechterhalten kann. Es gefällt ihm nicht, dass sie in meiner Vergangenheit wühlen. Denn Geheimnisse gegenüber dem Kapitol führen am Ende des Tages nur zu Schmerz und Leid und Tod.

Zuerst will ich schweigen und gar nichts auf seine Aussage erwidern, aber ich weiß, dass Caesar nicht locker lassen wird. Wir sind im Livefernsehen. Die Zuschauer brauchen etwas, mit dem sie sich beruhigt Schlafen legen und den Krieg für eine Nacht oder zwei vergessen können. Das hier ist ein Ablenkungsspiel der Regierung, genauso wie die Hungerspiele der Ablenkung anderer Probleme gegolten haben.

„Wir waren zu jedem Zeitpunkt nichts weiter als Arbeitskollegen", erwidere ich schließlich mit so viel Entspannung in der Stimme, wie es mir diese unangenehme Situation erlaubt.

„Sicher doch", antwortet Caesar mit zuckersüßer Stimme, die mir die Nackenhaare aufstellt. Dann leuchtet der Bildschirm wieder auf. Nun zeigt er einen jungen Haymitch in schwarzem Smoking, der das Gesicht einer jüngeren Version meiner selbst in den Händen hält und sie auf die Lippen küsst. Kein Kuss auf die Wange, den man möglicherweise falsch interpretieren könnte.

Für einen Wimpernschlag starre ich wie benommen auf das Bild. Wie kommt es, dass ich mich kaum noch an den Kuss, aber dafür umso besser an das rosa-rote Kleid und die blonden Locken meiner echten Haare erinnere? Es war unser letzter gemeinsamer Abend. Der Abend an dem sich alles verändert hat. Ich starre auf das Bild und frage mich, wo es aufgenommen wurde. Ich kann mich nicht erinnern. Ein eisiges Gefühl jagt durch meine Adern und ich fürchte, dass die Erinnerungen nun allesamt auf mich einprasseln werden. Dieser Abend hat mein Leben in eine falsche Richtung gelenkt. Die Tatsache, dass unser noch einzig lebendes Tribut kurz darauf getötet und Cashmere zur Siegerin gekürt wurde, hat es nur noch schlimmer gemacht.

Ich weiß, dass meine Maske mir für mehr als nur einen Augenblick entglitten ist. Ich sehe es an der Art wie Peeta mich ansieht, vor allem aber an Caesars Lächeln, das nicht breiter und hämischer hätte sein können. Sie haben von der Affäre zwischen uns gewusst. Von Anfang an? Dann müssen sie auch gewusst haben, was nach diesem Jahr geschehen ist. Wenn sie davon wissen, dann wissen sie sicherlich auch von unserem Kuss im Trainingscenter in der Nacht, bevor Haymitch verschwand.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt