53.1. As It Was

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As It Was

Mein Herz rast zwar immer noch in meiner Brust, als wir den Aufzug betreten, aber das Wissen, in wenigen Sekunden sicher an der Oberfläche zu sein und diesen Ort niemals wieder betreten zu müssen, hält die Angst im Zaum. Ich lehne seitlich gegen Haymitch, der seinen linken Arm um meine Mitte geschlungen hat. An der Tür stehen die beiden Soldaten, die uns hinausbegleiten.

Mit jedem Stockwerk, dem wir der Außenwelt näherkommen, kann ich etwas leichter atmen. Die Aufzugtüren öffnen sich und gleißendes Tageslicht strahlt uns entgegen, das nur von zwei Gestalten unterbrochen wird, die nun zur Seite treten, um uns durchzulassen. Sie haben wohl auf den Aufzug gewartet.

Ich kneife die Augen zusammen, um mich an das Licht zu gewöhnen. Das Erste, was ich sehe, ist weiß. Eine weiße Uniform. Ich versteife mich in Haymitchs Arm. Ein Friedenswächter. Ich habe gehofft, keinem von ihnen zu begegnen, mehr noch, ihnen nicht so nahe zu kommen. Die Rebellen haben sie nicht alle entlassen, festgenommen oder hingerichtet. Nicht alle haben sie Verbrechen begangen, die meisten haben nur Befehle ausgeführt. Dennoch behagt mir ihr Anblick nicht. Einst habe ich mich in ihrer Gegenwart sicher gefühlt, aber das ist lange vorbei.

Die Soldaten vor uns setzen sich in Bewegung und Haymitch und ich folgen ihnen, um den Aufzug zu verlassen. Mein Blick fährt zu dem Friedenswächter, der mir am nächsten ist und meine Augen gleiten hoch zu seinem Gesicht. Nichts als ein Bauchgefühl. Es fühlt sich an, als würde die Welt um mich herum mit einem scharfen Ruck zum Stehen kommen. Meine Beine unter mir halten abrupt inne, meine Füße sind wie festgewachsen und doch habe ich das Gefühl, in ein bodenloses Loch ohne Halt zu stürzen.

Ich sehe mich Auge in Auge mit einem Mann, dessen Blick abwesend wirkt. Er bemerkt mich gar nicht, starrt gelangweilt an uns vorbei, während wir aussteigen. Nun wo ich Zentimeter vor ihm stehenbleibe und mit geweiteten Augen hoch in sein Gesicht schaue, nimmt er mich langsam wahr. Er senkt den Blick und ein Paar intensiv blauer Augen trifft mich. Ich schlage auf dem Grund des Lochs auf und zerspringe in tausende Scherben.

Der Friedenswächter erkennt mich nicht, aber ich erkenne ihn. Als ich ihm vor all diesen Monaten das erste Mal ins Gesicht geschaut habe, wusste ich bereits, dass ich diese Augen niemals vergessen würde. Sein runder Kiefer wird von hellbraunem Haar umrahmt und er wirkt in der Montur genauso kräftig wie damals auch. Bilder blitzen vor meinem inneren Auge auf und es ist, als könnte ich mich selbst aus der Ferne schreien hören, als könnte ich–

„Effie, was–" Den Rest von Haymitchs Frage höre ich nicht, denn Regung zeichnet sich auf dem Gesicht des Friedenswächters ab. Er neigt den Kopf ein Stück zur Seite, als er meinen Namen hört. Eine Sekunde später flackert Erkennen über seine Züge.

Ich kann nicht glauben, dass das hier gerade tatsächlich passiert. Ich kann nicht glauben, dass dieser Mann nach allem was er getan hat, immer noch diese Rüstung tragen, geschweige denn überhaupt frei herumlaufen darf. Er ist es, ich erkenne ihn und nun, wo er mich erkennt, habe ich keinen Zweifel mehr. Er hat einen Bruder. Sie waren beide da am letzten Tag vor unserer Rettung.

Keiner von uns wagt es, sich zu bewegen. Die blauen Pupillen des Friedenswächters springen von mir zu Haymitch, der immer noch neben mir steht, seinen Arm jedoch von meiner Hüfte gelöst hat. Ich höre ihn reden, aber das Blut rauscht so laut durch meine Ohren, dass ich nichts als ein lautes, angsteinflößendes Pochen wahrnehme.

Der Friedenswächter macht einen unsicheren Schritt, aber auf seinem Gesicht ist nichts von dieser Unsicherheit zu sehen. Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein, aber ich könnte schwören, ein Schmunzeln auf seinen Mundwinkeln zu sehen. Etwas in meinen Ohren ploppt und plötzlich ist da seine Stimme und sie lässt mich zusammenfahren.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt