39.2. What Happened In The Past

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Auf dem Weg zurück zu meinem eigenen Zimmer schweigen wir. Mit dem schlurfenden Gang zweier Besucher einer Beerdigung trotten wir nebeneinander her. Die Leute werfen uns komische Blicke zu und ich möchte nicht wissen, wie seltsam verloren wir aussehen müssen. Haymitchs Blick ist abwesend, er scheint tief in Gedanken versunken zu sein und nimmt die Menschen, denen wir in den Fluren der Krankenstation begegnen nicht wahr. Auf Grüße einzelner Soldaten reagiert er eben so wenig.

Als wir vor der Tür meines Zimmers ankommen, frage ich mich bereits, ob Haymitch sich in derselben monotonen Bewegung umdrehen und seinen Weg zur Kommandozentrale fortsetzen wird, ohne aus seiner Starre zu erwachen. Doch dann hebt er den Kopf und die Reaktion seiner Augen verrät mir, dass er realisiert hat, wo wir sind. Noch etwas anderes schwingt in dem Blick mit, aber es muss etwas mit dem Gedanken zu tun haben, aus dem er gerissen wurde, denn ich kann mir keinen Reim daraus bilden.

Haymitch räuspert sich und ich warte auf seine Verabschiedung, auf ein weiteres Versprechen, was unser nächstes Wiedersehen betrifft. „Wenn ich gewusst hätte, dass das Kapitol damals über unsere Affäre im Klaren war, dann hätte ich dich nie dort zurückgelassen."

Seine Worte treffen mich so unerwartet, dass ich mich am Türrahmen festhalten muss, um nicht über meine eigenen Füße zu stolpern. Es ist ein kleiner Satz und doch überrollt er mich mit der Wucht einer Schneelawine. Ich spüre, wie mein Körper unter mir verharrt, nach so vielen Jahren immer noch unfähig, angemessen mit dem Thema umzugehen. Alles, was mein Gehirn auf die Reihe bekommt, ist den Kopf in seine Richtung zu drehen, meine Augenbrauen in einer Mischung aus Überraschung und Schock gehoben.

Keiner von uns hat in den letzten elf Jahren auch nur ein Wort darüber verloren, was während der 64. Hungerspiele zwischen uns passiert ist. Es ist ein Tabuthema; ein Funke der sich innerhalb weniger Tage in ein Inferno verwandelt hat und genauso schnell wieder erloschen ist. Ich weiß, dass ich die Bilder glasklar vor mir sehen werde, wenn ich nur die Augen lange genug schließe. Deshalb zwinge ich mich dazu, Haymitch mit diesem Blick zu durchbohren, der mehr als tausend Worte spricht. Sein Tabubruch wirft mich aus der Bahn und er sieht es. Er sieht die unsichtbare Mauer, die ich in Sekundenschnelle um mich errichte; er sieht die Maske, die ich aufsetze, um die Fragmente meiner dumpfen Gefühle zu verstecken. Die Erinnerung daran schmerzt nicht, nicht mehr, trotzdem ist die automatische Reaktion meines Körpers darauf Abwehr. Ganz natürlich, weil ich jahrelang nichts als das getan habe, wenn es um ihn, um uns, ging.

Haymitch und ich haben so lange zusammengearbeitet, dass wir den Charakter des anderen in und auswendig kennen. Unsere Körper reagieren ganz automatisch auf die Bewegungen des jeweils anderen, imitieren oder passen sich diesen an, ohne dass wir beide einen wirklich aktiven Part daran haben. Es ist nichts als Gewohnheit.

Haymitchs Körper reagiert wie ein Spiegelbild auf meine Abwehr. Er zögert und zuckt die Schultern. „Vielleicht ist das nicht der richtige Zeitpunkt", bemerkt er dann und bricht den Blickkontakt zu mir ab. Seine Worte waren frei heraus, nicht durchdacht, weil er wusste, dass er sich sonst vielleicht umentscheiden und weiter schweigen würde. Er hat versucht, sich mir zu öffnen und meine passiv-ausweichende Haltung führt dazu, dass er nun ebenfalls dichtmacht.

Ein Seufzen kommt mir über die Lippen, als ich die Mauern niederreiße. Nichts würde ich lieber tun, als mich auf dem Absatz umzudrehen, durch die Tür zu gehen und sie hinter mir zu verriegeln. Es wäre so leicht, diesem Gespräch aus dem Weg zu gehen. Auf der Rückseite meiner Handflächen fährt mir ein aufgeregtes Prickeln über die Haut. „Wir sind im Krieg, es wird nie einen richtigen Zeitpunkt geben", sage ich schließlich und lehne mich gegen die geschlossene Tür. Das kühle Metall unter meinen schwitzigen Fingern macht es einfacher, sich zu konzentrieren. „Sag was du zu sagen hast."

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt