10. It's Really Alright Pt. 3

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„Es ist mitten in der Nacht, Süße", sagt Haymitch und wirft einen Blick auf meine Uhr. „Halb eins, um genau zu sein."

Schulterzuckend wanke ich zum Kleiderschrank und reiße ihn beinahe auf. „Das ist noch relativ früh."

Obwohl ich ihm den Rücken zudrehe, weiß ich, dass er den Kopf schüttelt. „Du kannst doch nicht so rausgehen." Er muss wissen, dass er etwas Falsches gesagt hat, denn er verstummt, noch bevor er den Satz vollständig zu Ende gesprochen hat. Mit wütendem Gesichtsausdruck drehe ich mich zu ihm und funkele ihn an, während mir Tränen über die Wangen laufen.

Haymitch beißt sich auf die Unterlippe und erhebt sich vom Bett. „Das habe ich nicht so gemeint, Süße", versichert er schnell und schmunzelt. „Aber vielleicht bist du einfach nicht im richtigen Zustand, um auszugehen." Als er die Tränen von meiner Wange streicht, halte ich den Atem an. Seine Finger sind sanft und scheinen meine Haut kaum zu berühren. Der Schatten einer Berührung, nicht mehr als der Hauch einer Berührung.

„Das krieg ich wieder hin", murmele ich und löse mich von ihm, bevor ich noch auf dumme Gedanken komme.

„Du bist ein richtiger Dickkopf", seufzt er.

Ich werfe ihm einen flüchtigen Blick zu, während ich die Kleider in meinem Schrank studiere. „Ich glaube, ich werde das hier tragen", murmele ich mehr zu mir selbst, als zu ihm und fahre mit zitternden Fingern über den schweren Stoff des schwarzen Kleides. Im Gegensatz zu den anderen Stücken in meinem Kleiderschrank ist es noch geradezu schlicht. Das Kleid ist bodenlang und fällt in mehreren samtenen völlig schwarzen Schichten, ist jedoch vollkommen schulterfrei. Auf Hüfthöhe geht der samtene Stoff ein wenig in die Breite und von dort aus beginnt ein schwerer schwarzer Stoff, der mit goldenen Details bestickt ist, hinauf bis zur Brust. Er bietet nicht viel Schutz für mein Dekolletee, doch das liegt gerade nicht in meinem Interesse. Vorsichtig ziehe ich es heraus und möchte in Richtung Bad gehen.

An der Tür drehe ich mich ein letztes Mal zu Haymitch um. Sein Gesicht ist sanft und ein trauriges Lächeln umspielt seine Lippen. „Was ist?", frage ich.

„Du hast dich kein bisschen verändert, weißt du?"

Ich schaue ihn perplex an, unfähig etwas zu sagen.

„Damals, als sie gestorben ist, hast du genau dasselbe getan wie jetzt."

Schweigen. Meine Kehle ist wie zugeschnürt.

„Du bist ausgegangen, hast die ganze Nacht durchgemacht. Du bist dir ähnlicher als du denkst." Er dreht sich um und geht. Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss.

Du bist dir ähnlicher als du denkst. Für mich hat sein Satz keinen Sinn gemacht, für ihn wahrscheinlich schon. Meine Füße kleben wie festgefroren am Boden. Natürlich habe ich mich verändert. Ich bin nicht mehr die Effie, die ich damals war. Ich kann es einfach nicht sein.

oOo

Als das Kleid sitzt, wie es soll, werfe ich einen Blick in den Spiegel. Die Frau dort sieht sonderbar aus. Ohne Highheels ist das Kleid ein wenig zu lang, doch es geht. Aber das ist nicht, was meine Aufmerksamkeit weckt. Blasse Haut, große blaue Augen und blonde Haare, die ihr in gekräuselten Wellen über die Schultern fallen. Sie sieht schrecklich aus. Das Gesicht muss immer der Eyecatcher sein und jetzt gerade gibt es nichts, was irgendjemandes Aufmerksamkeit erwecken würde. Hässlich und langweilig. Der verstörte Ausdruck in ihren Augen macht es auch nicht besser.

Ich stecke mir die Haare hoch, gehe zurück ins Schlafzimmer und setzte mich dort an den Schminktisch. Damit meine Perücke nicht verrutscht, brauche ich zwölf Nadeln. Die Perücke ist blond und aus sanften Locken geformt. Eines meiner Lieblingsstücke. Heute belasse ich es bei ihr, ohne weitere Accessoires anzufügen.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt