52.2. Life in Pieces

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Ich steige aus dem schwarzen Wagen und bleibe wie angewurzelt am Straßenrand stehen, als ich das Gebäude in Augenschein nehme, in dem ich nach dem Jubeljubiläum zur Verräterin erklärt und weggesperrt wurde. Die Banner mit dem Wappen des Kapitols sind verschwunden. Stattdessen hängen dort die grauen Fahnen der Rebellen. Allein die Flagge von Panem ist geblieben.

Mein Zögern ist die einzige Regung, die ich mir erlaube, bevor ich meine Gesichtszüge in eine starre Neutralität zwänge. Das hier ist mein Gefängnis. Haymitch sucht meinen Blick und als er dort keinerlei Anzeichen der Panik sieht, fällt die Anspannung ein wenig von ihm ab. Er weiß nicht, dass das hier mein Gefängnis ist. Woher sollte er es auch wissen? Ich glaube nicht, dass ich es zusammenhalten kann, wenn ich ihm die Wahrheit sage. Die Dinge laut auszusprechen, machen sie nicht besser oder weniger schlimm. Eigentlich machen sie sie nur allgegenwärtiger und das kann ich gerade nicht gebrauchen.

Also marschieren wir vorwärts und Haymitchs Präsenz an meiner Seite gibt mir den Halt, den ich brauche, um gleichmäßig atmen zu können. Meine Beine zittern. Am Rand meiner Sicht tanzen Punkte. Ich zwinge mir Aurelias Gesicht vor Augen und laufe weiter.

Die meisten Friedenswächter wurden durch Rebellensoldaten ersetzt, aber die Atmosphäre bleibt die gleiche. Haymitch meldet uns an und schildert unser Vorhaben. Der zuständige Mann sucht in seinem Computer, nickt und winkt dann zwei Soldaten her, die uns den Weg zeigen. Wir nehmen denselben Aufzug, mit dem auch ich bei meinem allerersten Besuch gefahren bin. Meine Augen sind auf den Bildschirm fixiert, der das Level anzeigt, auf dem wir uns befinden. Der Lift setzt sich in Bewegung und wir fahren nach unten, hinab in die Tiefe. Ich habe das Gefühl, das Bewusstsein zu verlieren. Haymitch drückt meine Hand, nichtsahnend.

Als wir aussteigen, sind wir nicht so tief in der Erde, wie meine Zelle war. Die Gänge sehen trotzdem identisch aus. Die Türen sehen trotzdem identisch aus. Das Beben in meinen Beinen nimmt mit jedem Schritt zu, ich spüre den Schweiß in meinem Nacken und ich frage mich, wie sie denn alle nicht mitkriegen können, welche schädliche Energie von diesem Ort ausgeht.

Der Soldat öffnet eine Tür und bittet uns, hineinzugehen. Ich zögere. Das letzte Mal, als ich einen solchen Raum betreten habe, hat die Sache für mich kein gutes Ende genommen. Haymitch legt seine Hand an meinen Rücken und gibt mir die Zeit, die ich brauche. Der Raum ist quadratisch und beinhaltet nicht mehr als einen Tisch und mehrere Stühle. Keine Zelle, sondern ein Verhörraum. Es fällt mir nicht einfacher zu atmen.

Erst jetzt bemerke ich die Gestalt, die hinter dem Tisch sitzt und uns aus braunen Augen mustert. Adrian? Nein, Caius. Erleichterung strömt durch meine Adern. Er sieht genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung habe. Kurzes umbrabraunes Haar, Augen wie dunkler Sirup, attraktive Gesichtszüge. Doch der Blick in seinen Augen ist leer und sein Gesicht starr. Er ist ein großer Mann, größer als Haymitch und selbst im Sitzen kann man es an seiner geraden, makellosen Haltung erkennen. Wie alle anderen Politiker auch, wurde er festgenommen als das Kapitol gefallen ist. Seitdem verbringt er seine Zeit in einer Zelle, die wohl ähnlich sein muss wie meine eigene. Sein Anblick jagt einen elektrischen Puls durch meinen Körper. Er ist alles, was mich in diesem Zeitpunkt noch mit meinem alten Leben verbindet. Es ist nichts übrig, außer er. Niemand außer er, kann mir die Antworten geben, die ich suche.

Ich nähere mich dem Tisch mit behutsamen Schritten und setze mich dann in den Stuhl ihm gegenüber. Haymitch bleibt hinter mir stehen. „Hallo, Caius."

Caius erwacht aus seiner Passivität, lässt sich jedoch Zeit, bis er zu sprechen beginnt. Er mustert mich eindringlich, jede Faser meines Körpers, dann schweift sein Blick zu Haymitch und gleitet zurück zu mir. „Wow, Effie, ohne das ganze Makeup hätte ich dich ja kaum erkannt", sagt Caius und wirft mir ein schalkhaftes Lächeln zu. „Ich würde behaupten, dass es schön ist, dich zu sehen, Effie, aber da ich über deinen Verrat Bescheid weiß, wäre das wohl eine Lüge."

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt