55.1. It All Starts and Ends With Death

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It All Starts and Ends With Death

Die Luft ist kalt. Ein eisiger Wind weht mir durch die Haare und lässt meine Arme in einer fröstelnden Bewegung erstarren. Ich seufze in mich hinein und ein weißes Wölkchen entsteht vor meiner Nase. Der heiße Atem aus meinen Lungen wird innerhalb von Sekunden von der Kälte verschluckt, die alles um mich herum einnehmen zu scheint.

Der Fokus meiner Augen verschiebt sich und mein Blick gleitet zu der endlosen Landschaft aus Gräsern und Bäumen. Die einzelnen Halme des Rasens sind von Frost eingehüllt und haben im kahlen Licht, den der wolkenüberzogene Himmel spendet, einen silbrig grünen Schein. Wenn ich mein Gewicht verlagere, höre ich die Eiskristalle unter meinen Schuhen knistern. Die Wiese wirkt verlassen. Nichts als Natur so weit das Auge reicht. Ich stehe auf der Anhöhe eines Hügels und starre hinab in ein Tal aus Weiß und Grün. Was mache ich hier?

„Euphemia." Die Stimme klingt vorsichtig, irgendwie auch unzufrieden. Ich hebe den Kopf und neige ihn ein Stück zur Seite, um den eisblauen Augen meiner Mutter zu begegnen. Sie sieht verändert aus. Erschöpft. Besorgt. Verbittert.

Meine Mutter trägt ein schlichtes, schwarzes Kleid, welches die gefrorenen Grashalme auf dem Boden gerade so berührt. Ihr natürliches, blondes Haar fällt ihr aalglatt über den Rücken, sie hat es in einer strengen Frisur zurückgekämmt. Das Gesicht ist frei von Makeup. Wie untypisch dieser Aufzug für sie ist. Das letzte Mal, als ich ihr echtes Haar gesehen habe, ist Jahrzehnte her, ebenso wie ihr kahles Gesicht. Ich öffne den Mund, um sie darauf anzusprechen, als mir der Ausdruck ins Auge fällt, der wie eine Tapete auf ihren Zügen zu kleben scheint. Der Kummer in ihren betrübten Iriden lässt mich automatisch einen Schritt zurück machen.

„Was ist passiert, Mutter?" Ich muss schon lange hier in der Kälte stehen, denn meine Stimmbänder klingen steif und starr.

Meine Mutter zwingt ein Lächeln auf ihre Lippen, welches kaum ihre Augen erreicht. Ich kann die Momente, in denen ich Lyssandra Trinket traurig erlebt habe, an einer Hand abzählen. Tatsächliche Trauer. Oft genug hingegen wurden meine Taten und Entscheidungen Folge eines Blickes, der an der Oberfläche möglicherweise ein wenig wie Trauer aussah, aber vielmehr der Enttäuschung zuzuordnen war. Was ist nun also geschehen, dass sie mich mit diesem Blick des Leidens anschaut?

„Ich bin froh, dass du hergekommen bist", sagt meine Mutter und der Frost knistert als sie einen Schritt auf mich zumacht und meinen Arm drückt. „Ich habe befürchtet, dass wir dich verloren hätten."

Ich hebe meine Brauen und drehe den Kopf, um wieder in die eisigen Weiten zu starren. „Wie kommst du darauf, dass ihr mich verloren hättet?"

„Der Krieg hat uns auf verschiedene Seiten gezwungen. Du warst so lange von der Bildfläche verschwunden, dass wir Sorge hatten, dich nie wieder zu sehen." Die Stimme meiner Mutter klingt verängstigt, als hätten ihr die letzten Monate einiges abverlangt. „Wir waren überglücklich, zu hören, dass du am Leben bist."

„Ich bin auch froh, dass ihr am Leben seid", kommt es mir über die Lippen, aber die Worte haben einen seltsamen Beigeschmack. „Es geht doch allen gut, oder nicht?"

Meine Mutter schweigt für die längste Zeit. Als ich die Stille nicht mehr aushalte, suche ich ihren Blick. Sie hat den Kopf gesenkt. Eine einzelne Träne rinnt über ihre Wange. Es bringt mich aus dem Konzept. Für einen ewiganhaltenden Moment habe ich das Gefühl, zu fallen. Obwohl meine Beine fest in den Boden gestemmt sind, dreht sich die Welt um mich herum so schnell, dass ich das Gefühl habe, jede Sekunde zu stürzen. Ich zwinge meine Augen, sich auf etwas zu konzentrieren, sich an etwas festzuhalten. Das Schwarz ihres Kleides scheint meine Blicke anzuziehen wie ein Magnet. Mein Gehirn arbeitet so langsam, dass es mehrere Minuten bedarf, bis etwas in meinem Kopf klick macht.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt