27. One Last Goodbye

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One Last Goodbye

Sie lassen uns für eine längere Zeit in Ruhe. Es müssen mehrere Tage sein. Wir bekommen die Friedenswächter kaum noch zu Gesicht. Einmal am Tag bringt uns jemand eine Mahlzeit, doch abgesehen davon hören wir sie nicht einmal wie üblich durch den Zelletrakt patrouillieren. Wir sind völlig allein hier unten. Eigentlich sollte mich die Stille zufriedenstellen, aber aus einem unerklärlichen Grund lässt sie mich frösteln. Auch Johanna äußert ihre Verwunderung über die fehlenden Friedenswächter.

Die meiste Zeit verbringen wir schweigend oder schlafend. Jetzt wo sie uns in Ruhe lassen, nutzen wir die Zeit, um den verlorenen Schlaf nachzuholen, den man uns in den letzten Wochen geraubt hat. Teilweise liegen wir stundenlang einfach nur in unseren Betten und dämmern vor uns hin. Mit jedem Tag werden Johannas Fragen weniger. Ich erzähle ihr alles, was sie wissen möchte, und versuche meine Geschichten so detailreich wie möglich zu halten. Es hilft mir, mich selbst wieder daran zu erinnern.

Meistens fragt sie mich weniger geistreiche Fragen zum Kapitol, über meine Kindheit und wie es war, hier aufzuwachsen. Doch manchmal stellt sie tiefere Fragen. Sie möchte meine Ansicht zu den Spielen wissen, meine Gedanken zu Präsident Snow oder weshalb ich Eskorte geworden bin. Kein einziges Mal erwähnt sie Haymitch oder fragt etwas in Bezug zu ihm. In manchen Momenten wünsche ich mir, dass sie es tun würde. In manchen Momenten möchte ich über ihn reden, möchte mich an ihn erinnern. In den meisten Momenten bin ich ihr dankbar, dass sie nicht nach ihm fragt.

Es ist später Vormittag, als wir schwere Schritte im Gang hören und uns beide beinahe gleichzeitig auf unseren Betten aufrichten. Es ist zu früh, als dass es bereits Zeit für unsere nächste Mahlzeit ist, und es sind zu viele Schritte, als dass es sich nur um eine Person wie sonst üblich handelt. Gerade als meine nackten Füße den kalten Boden der Zelle berühren, entsichert sich das Schloss und die Metalltür schwingt mit einem Quietschen auf.

Ein Friedenswächter betritt die Zelle. Seine weiße Uniform reflektiert im matten Schein der Glühlampe, die einsam von der Decke hängt. Dieser Teil des Gebäudes muss vor vielen Jahren erbaut worden sein, denn eine solche Technik gibt es eigentlich schon seit Jahrzehnten nicht mehr hier in der Stadt. Ich kenne sie nur aus Distrikt 12.

Ich drehe den Kopf zur Seite und beobachte den Friedenswächter aus wachsamen Augen. Jetzt wo wir ausgeschlafen sind, fällt es uns leichter, ihre schnellen Bewegungen zu verfolgen. Im Türrahmen steht ein weiterer Friedenswächter, sein Gewehr abwehrend vor die Brust gedrückt, als erwarte er jeden Augenblick einen Angriff. Ich erwische mich selbst, wie ich bei seinem Anblick fragend eine Augenbraue hebe. Doch Johanna sieht es ebenfalls und wirft mir einen beunruhigten Blick zu.

„Du", beginnt in diesem Moment der erste Friedenswächter zu sprechen und zeigt mit seinem Finger auf mich. „Wir nehmen dich mit."

Johannas Miene ist unergründlich, als sie mich nun anschaut. Ich spüre, wie sich die altbekannte Panik in meiner Brust ausbreitet. Für einen Augenblick sitze ich wie versteinert an der Kante meines unbequemen Bettes und weiß nicht, was ich als nächstes tun soll. Warum nur ich? Haben sie mich nur hierhergebracht, um mich für eine kurze Zeit in Sicherheit zu wiegen? Wollen sie mich nun wieder allein einsperren und foltern? Wenn das tatsächlich ihre Intention ist, dann ist ihnen die Überraschung gelungen. Nach allem, was mir hier unten passiert ist, hätte ich eigentlich damit rechnen müssen.

Egal was passiert, mich ihnen zu widersetzen wird mir nur noch mehr Ärger und Schmerz einbringen. Langsam stehe ich vom Bett auf und bewege mich auf den Friedenswächter zu. Ich werde ihnen keine Probleme bereiten, nicht heute. Der Friedenswächter greift nach meinem Arm. Ich drehe mich ein letztes Mal zu Johanna um. Werde ich sie wiedersehen? Hier unten hat man diese Gewissheit nicht.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt