6. Like An Animal

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Song Inspiration für dieses Kapitel: Like An Animal – RÜFÜS DU SOL

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Like An Animal

Die Sonne geht bereits hinter den Gebäuden der Stadt auf. Der Morgen ist kälter als erwartet. Ich habe mir keine Jacke mitgenommen und nun fröstele ich. Ich stehe auf der Terrasse des Penthouses und schaue auf die goldene Stadt herab. Die Sonne hat sie in ein helles Licht getränkt. Der Anblick raubt mir den Atem. Seit ich entdeckt habe, wie schön es hier oben ist, komme ich öfters her. Es ist faszinierend, abgeschieden und still, sodass man ungestört seinen Gedanken nachgehen kann. Und letzte Nacht hat mir genug Stoff zum Nachdenken gegeben.

Das Verhältnis zwischen Haymitch und mir hat sich seit letztem Jahr massiv verbessert. Wir streiten uns nicht mehr so oft. Wir gehen besser miteinander um. Man könnte sagen, dass wir endlich einen Weg gefunden haben, Freunde zu sein. Der Gedanke versetzt mir einen Stich. Ich weiß nicht einmal warum. Es verwirrt mich. Er verwirrt mich.

Ich möchte meinen Gefühlen Luft machen. Am liebsten würde ich sie einfach herausschreien. Hier und jetzt. Damit sie endlich verschwinden und nicht wieder zurückkommen. Damit ich zu meinem Alltag zurückkehren kann. Damit ich endlich wieder die Frau sein kann, die ich vorher war. Natürlich weiß ich, dass die Welt so nicht funktioniert. Manche Dinge, die man erlebt, prägen einen zu tief, um das Ergebnis wieder rückgängig zu machen. Wie wenn man sich mit einem verrosteten Messer in den Finger schneidet. Die Wunde schließt sich nach außen, als wäre nie etwas gewesen, während sich innen eine Infektion ausbreitet. Manche Dinge lassen sich nicht rückgängig machen.

In meiner linken Hand baumeln meine Schuhe. Ich habe sie ausgezogen, als ich die Terrasse betreten habe. Hier oben habe ich es nicht nötig meine wahre Größe zu vertuschen. Ich bin größer als jeder andere Mensch in dieser Stadt. Da braucht man keine Highheels. Meine Mutter hätte zu dieser Denkweise sicher das ein oder andere zu sagen. Die Tatsache, dass ich mich heute Mittag mit ihr treffe, drückt meine Laune nur weiter in den Keller. Aber sich Lyssandra Trinket zu entziehen, würde es auf lange Sicht nur schlimmer machen.

Frustriert stoße ich mich vom Geländer ab und gehe einen Schritt zurück. Ich spüre ein Verlangen in meinen Adern. Ein Verlangen, irgendetwas zu zerstören. Ich verstehe nicht, weshalb ich wütend bin oder gar worauf. Vielleicht auf Haymitch, weil er die wahre Effie zu Gesicht bekommen hat. Wahrscheinlich aber auf mich selbst, weil ich selbst nicht weiß, wer die wahre Effie ist. Ich spiele schon so lange eine Rolle, dass ich mich dabei selbst verloren habe. Ich muss meine Rolle spielen. Jeder hier im Kapitol spielt eine Rolle. Ohne sie würden wir hier nicht lange überleben.

Ein Mix aus Zorn, Nervosität und Furcht schleicht durch meine Adern und macht es mir unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Gefährlich. Ich weiß nicht was mit mir los ist. Meine Gefühle sind so inbrünstig, dass ich kaum noch Kontrolle über sie habe. Es ist, als könnte sich mein Hirn nicht daran erinnern, wie ich die Emotionen bis zum letzten Jahr überhaupt in Schubladen weggesteckt habe. Als hätte ich es verlernt. Als hätte meine Maske einen Knacks bekommen.

Meine Füße tragen mich zurück zum Geländer. Ich taumele eher als dass ich laufe. Meine Muskeln fühlen sich schwer an, als hätte ich Unmengen an Alkohol getrunken. Ich weiß nicht, woher diese Schwäche kommt. Heutzutage weiß ich gar nichts mehr.

„Effie."

Ich zucke zusammen, fahre jedoch nicht herum. Mir fehlen die Instinkte, um zu hören, wenn er sich anschleicht. Nun, wo er hinter mir steht, würde ich am liebsten lachen. Über mich selbst. Über meine Dummheit. Langsam kriege ich das Gefühl, dass ich nirgends im Penthouse mehr sicher vor ihm bin. Vielleicht meint mein Schicksal es tatsächlich nicht gut mit mir.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt