45.1. Capitol and Districts

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Capitol and Districts

Obwohl die Kantine abends am meisten besucht ist und die Schlangen an der Essensausgabe sich schon mal anstauen, ist an dem Tisch, an dem Katniss' und Gales Familien sitzen noch reichlich Platz. Sie kennen mich und ich kenne sie, dafür haben die zahlreichen Interviews im Rahmen beider Hungerspiele gesorgt. Einige unbekannte Gesichter mischen sich unter sie und ich hätte beinahe innegehalten, wenn Haymitchs feste Hand auf meinem Rücken mich nicht daran gehindert hätte. Jetzt sind wir noch weit genug entfernt, um ungesehen kehrtmachen zu können. Die Bewohner aus 12 haben mich noch nicht bemerkt. Ihre Köpfe sind auf die Teller vor ihnen gesenkt und einige Münder bewegen sich, aber die Geräuschkulisse der Kantine um uns herum verschluckt jedes ihrer Worte.

„Alles wird gut, das verspreche ich", flüstert Haymitch an meinem Ohr und ich verziehe für eine Sekunde zornig die Augenbrauen, bevor ich meine Züge zur Neutralität zwinge.

Beinahe jede Person am Tisch schaut in unsere Richtung als wir schließlich stehenbleiben. Haymitch muss sie gewarnt haben, denn keiner von ihnen verzieht auch nur die Lippen, als ihre Blicke über Haymitch fahren und an mir hängenbleiben. Zumindest einige Sekunden lang. Gale senkt als erstes die Augen und jede Faser seines Körpers wirkt desinteressiert. Seine Mutter Hazelle hingegen scheint mich förmlich durchbohren zu wollen und gibt sich jede Mühe, mir ihre Abneigung deutlich zu machen. Einige der Fremden tun es ihr gleich. Ich bin ihnen nicht böse. Wie könnte ich auch? Wie würde ich auf die Frau reagieren, die jahrelang die Kinder meiner Nachbarn und Verwandten in den Tod geschickt hat? Ich bin mir sicher, dass ich diese Frau hassen würde.

Haymitch nickt einigen von seinen Freunden zu und setzt sich dann an den Rand der Bank. Ich folge ihm in einer schnellen Bewegung und setze mein Tablett gegenüber von Primrose ab, die mir als Einzige ein schüchternes Lächeln entgegenbringt. Katniss neben ihr bringt nicht mehr als eine Grimasse zustande, bevor ihre grauen Augen sich wieder auf ihren Teller heften und die Gabel in ihrer Hand das Essen ziellos von einer Seite auf die andere schiebt. Zu meiner eigenen Überraschung sieht sie ihrer Mutter auf ihrer rechten dabei ähnlicher als ich es aus Distrikt 12 in Erinnerung habe.

Die Gespräche am Tisch sind mit unserer Ankunft verstummt und es dauert einige Minuten der Stille, bevor die Bewohner sie wieder aufnehmen, als würden sie das zwischenzeitliche Schweigen nutzen, um das Terrain zu sondieren. Ich beginne zu essen, während Haymitch seinen Kopf in Gales Richtung lehnt. Es folgen einige Fragen zu Themen, die das Kommandozentrum betreffen und mit denen ich nichts anfangen kann. Prim versucht abermals, Katniss in ein Gespräch zu verwickeln und ab und an gelingt es dem Mädchen, einige kurze Sätze aus ihrer Schwester herauszukitzeln, bevor sie sich wieder in ihr abwesendes Ich verwandelt und in ihrem Essen herumstochert. Ich nutze den Moment, um meinen Blick über die Menschen schweifen zu lassen und treffe die dunklen Augen einer alten Frau, die womöglich am weitesten von mir entfernt sitzt, eingequetscht zwischen Hazelles jüngeren Kindern, die miteinander spielen und um den Tisch laufen. Es scheint sie nicht zu stören. Etwas Nachdenkliches liegt in den Zügen der unbekannten Frau. Sie muss um die 70 sein. Als sie bemerkt, dass ich ihr Starren ertappt habe, verziehen sich ihre trockenen Lippen zu einem kleinen Schmunzeln und sie dreht den Kopf.

„Hast du keine Haare?", höre ich mit einem Mal eine helle Stimme auf meiner Linken und wende mich erschrocken zur Seite. Eines von Hazelles Kindern, die Jüngste, hat sich mir zögerlich genähert und ist am Ende des Tisches, direkt neben Prim, stehengeblieben. Ihre runden, grauen Augen betrachten mich voller kindlicher Neugier. Jemand hat ihr ihre dunkelbraunen Haare mit einem pinken Haargummi zu einem Flechtezopf gebunden und als sie zu lächeln beginnt, sehe ich, dass ihr ein Schneidezahn fehlt. Sie kann nicht älter als fünf sein.

Die Gespräche um uns herum verstummen und ich spüre die Augen von Hazelle und Gale auf meinem Gesicht, doch meine Aufmerksamkeit gilt dem kleinen Mädchen, das ihre jugendhafte Schüchternheit überwunden hat, um mir diese Frage zu stellen. Weiß sie wer ich bin? Selbst wenn sie mich von der Ernte erkennen würde, würde sie wahrscheinlich noch nicht verstehen, was meine Anwesenheit dort zu bedeuten hatte.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt