42. I Want You Next To Me

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I Want You Next To Me

Ich kann nicht sagen, wann ich anfange zu träumen. Mir fehlt jedes Zeitgespür. Es fühlt sich an, als würde mein Körper fallen, ohne je den Grund zu erreichen. Ich schwebe zwischen Raum und Zeit, zwischen Realität und Fantasie, doch alles, was ich vor meinem geistigen Auge sehe, ist diese Frau. Sie ist immer allein, immer umgeben von einer endlosen Dunkelheit. Und doch sieht sie mich vor sich stehen. Mal erzählt sie, was sie dort draußen, in ihrem Distrikt, durchleben musste und weshalb es nötig war, ein Exempel an mir zu statuieren. Mal schreit sie mir Worte entgegen, die meine Ohren nicht erreichen, obwohl ich direkt vor ihr stehe. Ihre Stimme verwandelt sich in ein hysterisches, verzerrtes Kreischen. Mal prügelt sie einfach nur mit ihrem Schlagring auf mich ein. Dann leuchtet mein nasses Blut in der Finsternis und rinnt an ihren Fingerknöcheln herab.

Doch als ich zu mir komme, sind ihre rabenschwarzen Augen alles, woran ich mich erinnern kann. Wieder blinzele ich gegen eine vertraute Helligkeit an und es ist fast schon paradox, wie oft ich in den vergangenen Monaten bereits in genau dieser Position aufgewacht bin: In einem unbequemen Krankenbett unter grellem Neonröhrenlicht mit einem Schlauch in der Armbeuge.

Als der sterile Geruch des Raumes meine Nase trifft, höre ich das beschleunigende Piepsen der Herz-Lungen-Maschine auf meiner Rechten. Obwohl mir das Geräusch vertraut ist, braucht mein vernebelter Kopf eine ganze Sekunde, bis er begreift, dass das Gerät da gerade mein Herz imitiert. Mein Körper reagiert mit Furcht auf all diese roten Flaggen. Eine altbekannte Kälte macht sich in meiner Brust breit. Plötzliche Panik umklammert meine Glieder in einem festen Griff. Mein Körper spürt den Infusionskanal, der in meinem linken Arm steckt, ohne die Lider aufschlagen zu müssen. Eine dunkle Erinnerung braut sich vor meinem inneren Auge zusammen. Das Herz in meiner Brust setzt einen Schlag aus, als würde es versuchen, gegen den Instinkt in meinem Kopf anzukämpfen, der vor der Gefahr warnt, in der ich mich befinde. Aber ich falle trotzdem in das klaffende Loch, das sich in meiner Mitte auftut.

Für einen ewiglangen Moment lasse ich es zu, dass die Angst mich mit ihrer gesamten Stärke in die Kissen drückt. Wie ein Gewicht auf meinem Brustkorb, das mich daran hindert, die Wasseroberfläche zu erreichen. Kann es sein, dass das Kapitol mich tatsächlich in eine Simulation gesteckt hat? Bin ich nun aus diesem Traum erwacht, nur um wieder in das Gesicht eines Friedenswächters zu schauen?

Ich versuche mir die letzten Ereignisse zurück ins Gedächtnis zu rufen. Da war diese Frau, sie war in Begleitung zweier starker Männer, die mich gegen eine Wand drückten. Ich erinnere mich an den dumpfen Schmerz, der wie Blitzschläge durch meinen Körper gefahren ist und trotzdem nicht wirklich wehgetan hat. Wenn ich stillliege und aufmerksam bin, kann ich das nachlassende Pochen immer noch auf meiner Haut vernehmen. Welches Schmerzmittel auch immer sie mir gegeben haben, man hat mir nicht viel davon eingeräumt, wenn der Effekt bereits wieder abklingt. Kein gutes Zeichen.

Meine Augenlider flattern als sich meine Pupillen an das grelle Licht gewöhnen. Das Erste, was ich sehe, als sie ihren Fokus wiedererlangen, ist der Schlauch in meinem Arm. Schwindel erfasst mich und meine Kehle schnürt sich zusammen. Meine Hand schnellt reflexartig nach vorne und ein Teil von mir ist froh darum, weil es bedeutet, dass ich immer noch bereit bin mich zu wehren, anstatt sie gewähren zu lassen. Meine Finger bekommen den Infusionsschlauch nach einigen Versuchen in einem sicheren Griff zu fassen und zerren ihn aus meiner Armbeuge, ohne darauf zu achten, mir dabei nicht wehzutun.

Dann tönen plötzlich Schritte über den gefliesten Boden. Raue Finger schließen sich um mein Handgelenk und der Schrei bleibt mir in der Kehle stecken. Ich reiße den Kopf hoch und treffe ein Paar grauer Augen, dunkelblondes Haar und einen ungepflegten Dreitagebart. Mein Herzschlag normalisiert sich sofort.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt