56.2. Come On, Let's Get You Home

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Haymitch und Katniss kommen sicher in Distrikt 12 an. Die Restaurierungsarbeiten laufen bereits seit Ende des Krieges. Fast alle Flüchtlinge sind dorthin zurückgekehrt. Aber es wird noch dauern, bis endgültig alle Toten bestattet und Trümmer entsorgt werden. So lange verwandelt sich das Dorf der Sieger in eine Miniversion des Distrikts, was anscheinend gar nicht so schlecht ist, wie Haymitch meint.

Es hat einige Tage gedauert, bis er jemanden gefunden hat, der ihm sein Telefon reparieren kann. Seitdem telefonieren wir täglich, auch wenn meistens keiner von uns viel zu sagen hat. Es geschieht nicht viel.

Ich ziehe in das Anwesen meiner Eltern als Peeta aus dem Palast in ein Krankenhaus verlegt wird. Aurelia und Caius folgen mir und irgendwie gelingt es uns, eine Art Alltag aufzubauen. Wir haben genug Geld, um einige Bedienstete einzustellen. Wir haben genug Geld für alles. Zumindest aus meinem Blickwinkel. Aurelia, vor allem aber Caius jedoch ... die beiden haben den Großteil ihres Lebens in einer noch höheren Sphäre an Wohlstand gelebt als ich. Es fällt ihnen schwer, sich anzupassen. Es fällt ihnen schwer, mit dem neuen Leben ohne Einfluss klarzukommen. Caius hat nichts zu tun, ihm fehlt die Motivation. Alle seine Freunde und Verwandten sind entweder tot oder ebenso mittellos wie er. Aurelia gibt sich Mühe, eine zuversichtliche Fassade aufrecht zu erhalten, aber da fehlt das Licht in ihren Augen. Sie war zu lange die Trophäenfrau eines Politikers und hat keine Ahnung, was sie nun mit ihrer Zeit anstellen soll, wenn es keine Veranstaltungen und Treffen zu organisieren gibt.

Es ist das ganze Kapitol ... Es fällt ihnen schwer, sich anzupassen. Die Wochen fliegen vorbei, aber die Stadt verharrt in einer Starre. Die Menschen wissen nichts mit ihrer neugewonnen Freiheit anzufangen, weil sich die neue Realität eher wie eine Einschränkung anfühlt. Die Stadt ist überflutet von Rebellen und Menschen aus den Distrikten und wenn man sich entsprechend einem Kapitoler kleidet, zieht man Blicke auf sich, die man früher genossen hat. Heute wird man für bunte Kleider, aufgetürmte Perücken und künstliche Gesichter geächtet, während man früher auf diese Weise seinen Status damit gezeigt hat. Auf Reichtum im Allgemeinen wird herabgeschaut. Selbst die, die nie etwas mit den Spielen oder Snow zu tun hatten, werden Opfer dieser Missbilligung. Die Schikanen auf Kapitoler nehmen zu, aber die wenigsten Behörden machen etwas dagegen, weil sie sich ebenso wenig für das Schicksal der Hauptstädtler interessieren. Erste Stimmen der Resistenz aus den Reihen der Kapitoler werden laut und ich habe die Vorahnung, dass es dabei nicht bleiben wird.

Während der Frühling bei uns endlich in vollem Gange ist, herrscht in Distrikt 12 noch tiefster Winter. Haymitch hat einige Leute bei sich aufgenommen. Keines der Häuser im Dorf der Sieger steht leer. Ich bin erleichtert, dass er nicht allein ist. So gibt es Menschen, die nach ihm schauen und sich vielleicht sogar um ihn kümmern. Über Katniss verliert er kaum mehr als ein paar Sätze. Sie lebt allein und zurückgezogen, in einer anderen Welt als die anderen in 12. Haymitch stattet ihr Besuche ab, aber er hat nicht das Gefühl, dass das Mädchen ihn überhaupt wahrnimmt. Er hat keine Ahnung, wie sie sich allein aus ihrer Asche erheben soll. Er kann sich selbst kaum daran erinnern, wie er es damals nach seinem Sieg geschafft hat. Sie braucht Hilfe, aber im Kapitol, wo man ihr helfen könnte, hat man sie abgeschrieben. Man hat sie beiseitegeschoben, sobald ihr Nutzen ein Ende hatte. Plutarch bietet an, einen Therapeuten runterzuschicken, aber Haymitch weiß, dass das hier in 12 nichts bringen wird.

Die meiste Zeit lauschen wir dem Atem des anderen, während wir unseren eignen Gedanken hinterherhängen. Manchmal fragt Haymitch etwas, oder ich höre, wie er an seinem Alkohol nippt. Mit den voranschreitenden Wochen schicke ich ihm Sachen mit dem Zug runter. Nichts Großes. Kleidung oder Lebensmittel, ein Zettel mit wenigen Worten dazu. Für gewöhnlich telefonieren wir so tief in die Nacht hinein, bis einer von uns einschläft. Meistens ich, weil ich mein Telefon mit ins Bett nehmen kann, während Haymitchs in der Küche mit einem Kabel an der Wand befestigt ist. Trotz der Zeitverschiebung schläft Haymitch selten vor mir ein. Wenn er überhaupt schläft.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt