49.2. Silver and Gold

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Haymitch nimmt meinen Arm und ich kann der Ärztin nur über meine Schulter hinweg noch ein amüsiertes Danke zurufen, bevor er mich aus dem Raum zerrt. Ich werfe Haymitch einen strengen Blick, den er nicht einmal zu bemerken scheint. Er hasst es, hinter dieser Scheibe stehen und uns dabei zuhören zu müssen, wie wir über Gott und die Welt, aber hauptsächlich über unsere Zeit in Gefangenschaft reden. Heute ist er ausnahmsweise besser gelaunt. Er ist aufgeregt wegen der Hochzeit. Er ist es seit Tagen.

„Ein wenig mehr Respekt würde dir nicht schaden", tadele ich in sanftmütigem Ton und greife nach seiner Hand, während wir den Gang entlangspazieren.

„Oh, ich bin sehr respektvoll." Haymitch und bleibt mitten im Flur stehen. Sein typisches Grinsen schleicht sich auf sein Gesicht und dieses schelmische Funkeln in seinen silbernen Augen ist Anzeichen genug für seinen nächsten Zug. Mit der Hand, die in meine eigene verschränkt ist, zieht er mich zu sich herüber und senkt den Kopf dann herab zu meinem, bis unsere Nasenspitzen sich berühren. Ich spüre seinen warmen Atem gegen meine Lippen und vergesse einen Moment, dass wir abseits jeder Diskretion sind. Die Krankenstation ist leerer seitdem die meisten Soldaten ins Kapitol aufgebrochen sind, dennoch ist sie nicht verlassen. Haymitch lässt es mich für den Bruchteil einer Sekunde zurückschieben, als seine freie Hand meine Hüfte berührt, so leicht, dass ich mir nicht einmal sicher bin, ob die Berührung real ist. Mein Blick ist auf seine Augen fixiert und ich schaue so tief in sie hinein, dass ich das Gefühl habe, den Halt unter meinen Füßen zu verlieren. Ich kann regelrecht spüren, wie das Herz in meiner Brust schneller zu schlagen beginnt. „So respektvoll, dass ich weiß, wann man aufhören soll", fügt Haymitch dann hinzu, macht einen Schritt zurück und zwinkert mir zu, bevor er einfach weitergeht.

Ein empörtes Schnauben geht mir über die Lippen und ich setze an, ihn zurechtzuweisen, als eine Krankenschwester um die Ecke flitzt und mir einen verwirrten Blick zuwirft, bevor sie an mir vorbeiläuft. Ich kneife verärgert die Augen zusammen, setze mich selbst aber in Bewegung, weil ich mir doch etwas ertappt vorkomme. Das Personal hier kennt uns beide vom Sehen mittlerweile ziemlich gut. Wenn sie auch nicht genau wissen, was da zwischen uns ist, können sie es sich bestimmt denken.

Haymitch beginnt zu lachen und nimmt wieder meine Hand als ich ihn einhole. „Kein Grund rot zu werden, Süße. Du tust ja so als wäre es dir unangenehm, mit mir gesehen zu werden."

„Oh nein, du weißt ganz genau, dass das nicht der Grund ist", zische ich und versuche, mich von ihm loszureißen, aber Haymitch lacht nur weiter und schlingt mir den Arm um die Schulter, mit deren Hand er gerade noch meine Finger gedrückt hat. Er drückt seine Lippen gegen mein Haartuch und sieht so zufrieden mit sich selbst aus, dass ich es nicht schaffe, meine gespielte Feindseligkeit aufrecht zu erhalten.

Wir schweigen bis wir unsere Wohneinheit erreichen. Der Gedanke, dass ich mich für die Hochzeit nicht einmal umziehen werde, stimmt mich traurig. Ich weiß, dass weder Finnick noch Annie Wert auf äußere Gegebenheiten legen und doch wünschte ich, dass ich mehr hätte tun können. Plutarch, Haymitch, ich und sogar Johanna haben uns so viel Mühe bei der Organisation der Hochzeitsangelegenheiten gegeben wie möglich. Ich habe Angst, dass der Funke ohne die richtige Atmosphäre nicht überspringt. Nichts an Distrikt 13 ist festlich. Nichts erweckt den Anschein, dass sich bald schon etwas Besonderes im Herzen dieser Gemeinschaft ereignen wird. Ich kann nur hoffen, dass die wenigen Dinge, die wir – beziehungsweise Haymitch und Plutarch; Johanna und ich haben ihnen lediglich die Liste in die Hand gedrückt – bei der Präsidentin durchsetzen konnten, reichen werden.

Es ist einer der mittlerweile wenigen Momente, in denen ich eine Art materielle Sehnsucht verspüre. An 13 und die Umstände, die es mir und niemand anderem möglich machen, mehr als das nötigste zu besitzen, habe ich mich gewöhnt. Doch jetzt gerade kribbeln meine Finger in dem Bedürfnis nach dem Gefühl von Seide unter meiner Haut. Ein einziges Kleid, es müsste nicht einmal aufwändig sein, es bräuchte nicht einmal eine besondere Farbe. Mittlerweile würde ich mich mit allem zufriedengeben, was nicht Grau ist. Ein einziges Paar hoher Schuhe, welches mich wie eine normale Frau erscheinen lassen würde. Ich erlaube mir nicht oft, über diesen Luxus nachzudenken, den ich einst, ohne zweimal darüber nachzudenken, genossen habe. Ich vermisse ihn. Ich vermisse die Kleider, die Schuhe, die Mode. Ich vermisse es, mich wohl in meiner Haut zu fühlen. Ich will mich wie ich selbst fühlen. Dieser Teil der alten Effie lebt immer noch in mir, auch wenn ich ihn meistens zurückschiebe, weil diese Effie noch egoistischer ist als die neue Effie es ohnehin schon ist. Aber das hier ist ein besonderer Anlass. Wer wäre ich, wenn ich der alten Effie diese Ausnahme nicht gewähren würde? Allerdings hat Distrikt 13 bereits für mich entschieden. Kein Luxus, keine Ausnahmen.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt