46.1. A Soul That Misses a Piece

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A Soul That Misses a Piece

Peetas Brust hebt und senkt sich in gleichmäßigen Zügen. Ab und an flattern seine geschlossenen Augenlider, als würde er träumen. Ich frage mich, wie er nach allem, was er durchgemacht hat, so ein ruhiger Schläfer sein kann. Vielleicht haben sie ihn aber auch ruhiggestellt. Wenn die wilde Mischung aus Emotionen seine Gesichtszüge verlässt, sieht er genauso friedlich aus wie früher. Wenn ich nicht wüsste, was in den letzten Monaten geschehen ist, könnte ich denken, er wäre ganz der Alte. Allein die Fesseln um seine Handgelenke zeugen von einer anderen Realität.

Johanna wollte mich nicht hierher begleiten. Sie hat Peeta seit unserer Ankunft in Distrikt 13 kein einziges Mal besucht, sich seinem Zimmer nicht einmal genähert. Als sie hörte, dass ich ihn besuchen will, hat sie nur genervt mit dem Kopf geschüttelt und war mit schnellen Schritten im nächstbesten Gang verschwunden. Er führte zwar in die entgegengesetzte Richtung von ihrem Zimmer auf der Krankenstation, aber ich denke nicht, dass es eine gute Idee gewesen wäre, ihr das in diesem Moment zu sagen. Nachdem Katniss in dem kurzen Propo niedergeschossen wurde, war sie sowieso schon durch den Wind.

Der Tod von Katniss verbreitet sich wie ein Lauffeuer in 13. Es war ein Schuss direkt in die Brust, für viele ist das Indiz genug, dass sie es nicht überlebt hat. Auf meinem Weg aus der Kantine habe ich einen kurzen Blick auf Hazelles Gesicht erhascht, die mit den anderen Flüchtlingen aus 12 zusammensaß. Sie sah aus, als könnte sie sich nicht entscheiden, ob sie sich übergeben oder jemandem den Kopf abreißen wollte. Falls Haymitch es gesund und munter zurück nach 13 schaffen und Gale etwas passiert sein sollte, dann wird sie ihrer Drohung sicher Taten folgen lassen. Sie erscheint mir wie eine Frau, die zu ihrem Wort steht.

Haymitch. Ich habe keine Ahnung, ob er tatsächlich dort war. Mein einziger Hoffnungsschimmer ist, dass die Kameras keinen Anhaltspunkt auf seine Anwesenheit gegeben haben. Bei dem Gedanken, dass er verletzt oder schlimmeres sein könnte, habe ich das Gefühl, den Halt unter den Füßen zu verlieren, weil die Sicht vor meinen Augen vor Angst komplett undurchlässig wird.

Ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen sollte. Zurück in mein Quartier, wo mich Haymitchs leeres Bett daran erinnern wird, dass etwas nicht in Ordnung ist, wäre keine gute Idee gewesen. Meine Panikattacken haben in den vergangenen Wochen zwar stetig abgenommen, aber seine Abwesenheit verbessert die instabile Lage meines Geistes nicht gerade. Es gibt Tage, da schaffe ich es kaum aus dem Bett, weil das quälende, übelkeitbereitende Gefühl in meinem Magen mich daran hindert. Zu Finnick wollte ich nicht gehen, Annie schien aufgewühlt genug zu sein. Und Johanna ist durch ihren Entzug zu den meisten Zeiten des Tages unerträglich geworden und ich bin mir nicht sicher, ob ich mir das für den Rest der Nacht anhören könnte, ohne selbst die Fassung zu verlieren.

Also bin ich zu Peeta gegangen. Jemand muss ein Auge auf ihn haben. Es muss spät sein, wenn er bereits schläft. Vielleicht lassen sie ihn aber auch länger als die hier vorgegebenen acht Stunden schlafen. Ich würde gerne mehr über seine Genesung wissen, aber niemand beantwortet meine Fragen. Nicht einmal Dr. Jennings, die meinen Konflikt wahrscheinlich am besten nachvollziehen kann, weil sie weiß, wie viel Peeta mir bedeutet. Sie hat keine Wahl. Als Kapitolerin mit Flüchtlingsstatus ist man in Distrikt 13 am Ende der Nahrungskette. Ich habe keine Ahnung, wie es Peeta geht oder wie seine Erholung voranschreitet. Dasselbe bei Haymitch. Niemand will mir Rede und Antwort stehen. Sie lassen mich nicht einmal ausreden, sondern wimmeln mich mit Ausreden ab, die ich sofort durchschaue. Ich habe lange genug unter den einflussreichsten, hinterlistigsten Menschen im Kapitol gearbeitet, um zu wissen, wann ich angelogen werde.

Er könnte tot sein, flüstert die Stimme in meinem Kopf, die vor den Monaten in Gefangenschaft nicht existiert hat. Er könnte neben Katniss in einem Leichensack liegen, so wie das Mädchen aus Zwölf, das Adrian sein Leben gekostet hat. Ich kneife die Augen zusammen und versuche, die Erinnerungen, die vor meinem Inneren aufflackern, von mir zu schieben. Ich habe immer noch Probleme damit, mit mir ins Reine zu kommen. Mit der Zeit im Gefängnis ins Reine zu kommen. Es fällt mir schwer, zu akzeptieren, was damals passiert ist. Ein Teil von mir vermisst die alte Effie; beneidet sie um das sorglose Leben, das sie geführt hat, ohne zu wissen, welche Privilegien sie hatte. Ich gebe mir Mühe, dieses Kapitel zu schließen, aber ich habe das Gefühl, als würde ein letztes Puzzleteil fehlen, das mich daran hindert, endlich die nächste Seite aufschlagen zu können. Ich will versuchen, die alte Effie loszulassen. Und obwohl auch ihr Leben Höhen und Tiefen hatte, ist das Einzige, woran ich mich erinnere, dass sie glücklich war. Johanna sagt, dass ich mich langsam in sie zurückverwandele, aber davon bekomme ich nichts mit. Mir geht es besser, aber die Leere verschwindet nicht aus meinem Magen. Vielleicht wird sie das nie. Manchmal starre ich in den Spiegel, in der Hoffnung, dem Blick dieser alten Effie zu begegnen, aber alles, was ich vorfinde ist Kraftlosigkeit und Schwermut. Ich habe mich so sehr von ihr entfernt, dass sie mir jetzt wie eine Fremde erscheint.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt