35.2. (You)Follow Me Into My Dreams

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Song Inspiration für dieses Kapitel: My Tears Are Becoming a Sea, Midnight City – M83

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Ich springe nach vorne, mein Mund für einen Schrei geöffnet, aber meiner Kehle entspringt kein Laut. Wie lange habe ich geschlafen? Ich muss mehrmals blinzeln, um mich zu orientieren. Mein Herz klopft immer noch wie verrückt, als mir klar wird, dass ich mich immer noch im Krankenzimmer befinde. Die Lichter sind ausgeschaltet, die Nachtruhe gilt also immer noch. Ein beinahe verzweifeltes Seufzen verlässt anstelle des Schreis meinen Lippen. Der Morgen ist immer noch nicht angebrochen.

Während ich meine verkrampften Finger aus der verschwitzten Bettdecke löse und mich mit stockendem Atem zurück in das Kissen lehne, wird mir klar, dass ich nicht wieder einschlafen werde. Diese Nacht hat genügend Dämonen mit sich gebracht.

Als sich mein Körper langsam wieder beruhigt, drücke ich einen Knopf an der Herz-Lungen-Maschine und lausche meinem Herzklopfen. Das Geräusch wird mich davon abhalten, wieder einzuschlafen. Nach einer kleinen Ewigkeit und genau 2.640 Herzschlägen, geht das Licht endlich an. Ich bin so auf das Zählen fokussiert, dass ich zusammenfahre, aus dem Konzept gerate und den Faden verliere. Mir bleibt nichts anderes übrig, außer von neu anzufangen. Nach weiteren 1.800 Schlägen betritt Dr. Jennings mit einem vorher angekündigten Türklopfen das Krankenzimmer.

Das schwarze Haar der Ärztin ist zu einem Zopf zurückgesteckt und wippt hin und her, als sie mit federnden Schritten auf mich zukommt. Als sie bemerkt, dass ich bereits wach bin, lächelt sie. „Guten Morgen." Ihre Stimme ist sanft und freundlich und ich frage mich automatisch, ob das Kapitol ihr diese Sozialverträglichkeit vorschreibt.

Doch dann kneift sie argwöhnisch die Lider zusammen, als sie nah genug bei mir ist und die frischen Ringe in Augenschein nimmt, die sich auf meinem erschöpften Gesicht abzeichnen. Ihr Blick schweift kurz zum EKG und wieder zurück zu mir. „Sie sehen müde aus", bemerkt sie nun in einem etwas strengerem Ton.

Ich zucke kaum merklich die Achseln. Mein Kopf mag müde sein, aber das wird für die kommende Nacht nur von Vorteil sein. Vielleicht bekomme ich dann auch mehr Schlaf. Dr. Jennings notiert sich etwas auf ihrem Klemmbrett, das sie beinahe allgegenwärtig in ihren Händen zu tragen scheint, als würde sie es zum Überleben brauchen. Es erinnert mich an Katniss und ihren Bogen. Dann verschwindet sie kurz und kehrt minutenspäter mit einem Tablett zurück.

Die Ärztin fährt mein Bett in eine sitzende Position, klappt den kleinen Beistelltisch über mir auf und stellt das Tablett vor mir ab. Es ist wohl Frühstückszeit: Eine Schüssel voll unappetitlich aussehendem Haferschleim, eine Banane und ein Glas Wasser. Doch ich habe schon vor einer langen Weile aufgehört, Essen durch Äußerlichkeiten zu bewerten. Mein Magen knurrt, ich habe Hunger und bin dankbar, dass ich etwas zu essen habe. Ich bin dankbar, unabhängig davon, in wessen Klauen ich mich hier tatsächlich befinde. Kapitol oder Distrikt 13 spielen da erstmal keine Rolle.

„Es wird wieder Zeit, Ihre Werte zu kontrollieren", erklärt Dr. Jennings und diesmal lasse ich sie ihr Ding machen, ohne mich gegen die Prozedur zu sträuben.

Es gibt immer noch keinen Beweis, ob es sich bei diesem Ort wirklich um den geheimnisvollen Distrikt 13 handelt. Wenn ich ehrlich bin zweifele ich in einigen wenigen Momenten selbst am Grad der Realität meiner Außenwelt. Könnte es sein, dass ich mich vielleicht in einer permanenten Simulation befinde? Dem Kapitol war es möglich, mir mithilfe einer Ampulle eine verzerrte Realität vorzugaukeln. Eine permanente Simulation, die sich ausschließlich in meinem Kopf abspielt, erscheint mir da nicht fernab ihrer Möglichkeiten. Doch das ungute Gefühl in meinem Magen war in den letzten Stunden so auf Haymitch fokussiert gewesen, dass meine Gedanken es gar nicht zugelassen haben, sich um etwas anderes zu sorgen.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt