54.1. Justice at Last

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Justice at Last

Eine Woche später beginnen die ersten Prozesse gegen die, die für das Regime von Snow oder in den Hungerspielen gearbeitet haben. Eine Menge Namen stehen auf der Liste, viele so einflussreich und bekannt, dass ich niemals daran gedacht habe, sie könnten eines Tages für irgendetwas verurteilt werden. Ich glaube, dass wir Kapitoler nicht einmal im Traum damit gerechnet hätten. Es geht leicht los, mit den kleinen Fischen im Teich, bis dann Prozess um Prozess den großen Fischen der Garaus gemacht wird. Snow ist als letztes dran. Seine Hinrichtung, die so gut wie feststeht, wird aber die Erste sein. Der Startschuss für das letzte Gemetzel.

Als Haymitch von der Anklage gegen mich erfährt, ist er plötzlich der, der durchzudrehen droht. Er kann nicht glauben, dass Coin und ihre Leute mich tatsächlich anklagen würden; nach allem, was mir widerfahren ist. Und dann auch noch für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es gibt keinen schlimmeren Anklagepunkt. Sie hat es mit Absicht gemacht. Zumindest ist es das, was er flucht, wenn er die Nerven verliert und die Möbel in unserem Zimmer demoliert.

Es war klar, dass sie mich anklagen würden. Die paar Monate im Gefängnis ändern nichts an den Jahren meiner Arbeit als Eskorte. Die Rebellen hassen das Kapitol und jeden ihrer Einwohner, das habe ich in Distrikt 13 am eigenen Leib erfahren. Niemals würden sie meine Existenz einfach ignorieren, nicht wenn ich als Eskorte von Distrikt 12 ein so prominentes Aushängeschild bin. Die einzig noch lebende Eskorte der Hungerspiele. Die Eskorte des Spotttölpels. Wie konnte Haymitch davon ausgehen, dass sie mich in Ruhe lassen würden? Selbst Johanna ist nicht überrascht, nachdem sie davon erfährt.

Haymitch hat wieder angefangen zu trinken. Ein Tag nachdem er von der Anklage erfahren hat, habe ich ihn mit einer Flasche Whiskey erwischt und es hat sich angefühlt, als hätte mich jemand gegriffen und in der Zeit zurückgeworfen. Ich will wütend sein. Ich bin wütend. Aber ich kann es ihm nicht übelnehmen. Das Kapitol ist auch für ihn kein angenehmer Ort. Dann noch der Krieg, Katniss und Peeta, mein Prozess. Ich könnte noch ein Dutzend anderer Dinge aufzählen, die ihn belasten. In den letzten Tagen ist um mich herum so viel geschehen, dass ich fast vergessen habe, dass auch sein Leiden weitergeht. Haymitch trinkt und ich bin enttäuscht und wir streiten uns, aber im Anbetracht der Umstände sind wir beide zu fragil, als dass wir lange sauer aufeinander sein könnten.

Der kommende Prozess bringt Haymitch mehr aus der Fassung als mich. Ich habe mich damit schon lange abgefunden, habe mich immer nur vor der Rückkehr ins Gefängnis gefürchtet. Haymitch auf der anderen Seite kann nicht stillsitzen. Wenn er sich nicht um die Kinder oder andere rebellische Organisation kümmert, kämpft er gemeinsam mit Plutarch vor Coin, dass die Strafverfolgung gegen mich eingestellt wird. Ich weiß davon, weil Johanna es mir erzählt, nicht weil Haymitch mir die Wahrheit sagt. Er ist in seinen Gedanken meist so abgedriftet, dass wir nur wenig miteinander sprechen. Der Krieg ist vorbei und doch scheinen wir keinen Frieden in dieser neuen Welt zu finden, weil diese neue Welt uns keine Ruhe geben will.

Ich kann nicht sagen, was genau Haymitch schließlich mit Präsidentin Coin ausgehandelt hat, falls er sie überhaupt zu irgendetwas bewegen konnte, auch wenn er in der Gesellschaft der Rebellen kein zu unterschätzender Mann ist. Haymitch hat mächtige Verbündete und sich seinen eigenen Einfluss aufgebaut, auch wenn er Fakten wie diese niemals zugeben würde. Er interessiert sich nicht für die Macht, die er innehat, außer wenn es tatsächlich darauf ankommt; außer in Momenten wie jetzt. Trotz seinen Versicherungen, dass alles gut werden wird, zittern seine Finger, als wir vor dem Gerichtsgebäude stehen. Ich verschränke meine Hand mit seiner und er drückt meine in Reaktion, während wir für einen kurzen Moment die Kraft der kommenden Stunden auf uns wirken lassen.

„Alles wird gut", sagt Haymitch zum gefühlt fünften Mal heute und ich werde die Vermutung nicht los, dass die Worte eher für ihn als für mich bestimmt sind.

Figure It Out (Hayffie)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt