Kapitel 4

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„Wie heißt du eigentlich?" fragt die Frau munter, während wir darauf warten, dass jemand die Türe öffnet. „Luisa" lüge ich, da mir der Name meiner Zimmernachbarin als erstes durch den Kopf schießt. „Oh! Ein sehr schöner Name!" stellt die Frau entzückt fest, während die Haustür sich öffnet. „Hallo?" tatsächlich ist es ein junger Mann, der uns die Türe öffnet. „Hallo Herr Nachbar! Tatsächlich wollte ich mich schon immer mal vorstellen, kam aber nie dazu - normalerweise begrüßen wir hier in der Nachbarschaft jedes neue Gesicht hilfsbereit. Naja, jetzt hat Ihre Tochter uns die Ehre verschaffen" plappert die Frau neben mir fröhlich los, während ich beschämt auf den grauen Asphalt unter meinen Füßen starre. „Meine... WAS?!" ich kann hören, wie verwirrt der Mann klingt, aber zu meiner Erleichterung klingt er keinesfalls unfreundlich. „Ja, sie saß da vorne auf der Straße und ich habe ihr meine Hilfe angeboten... dachte erst, sie wäre weg gelaufen und vor etwas auf der Flucht, weil sie sich so erschrocken hat, dann hat sie aber erzählt, dass sie hier wohnt" die Frau scheint zum Glück nicht einmal eine geringste Ahnung zu haben, was vor sich geht. „Ähm... ich... also..." der Mann kommt zu uns ans Gartentor und öffnet es. „Danke fürs nach Hause bringen" flüstere ich ohne den Kopf zu heben. „Kein Problem! Sie sehen sich aber auch ähnlich!" die Frau scheint nicht mal darüber nachzudenken, zu gehen. Gesprächige Leute fand ich schon immer anstrengend, aber diese Frau hier bestätigt mich nochmal. „Oh. Ja. Das sagen die meisten" stottert der Mann leicht und legt seine Hand auf meinen Rücken, um mich aufs Grundstück zu schieben. „Ich danke Ihnen vielmals für die Begleitung! Ich habe mich schon gefragt, wo sie bleibt... aber das Essen ist zum Glück noch warm" er lächelt leicht und hebt seine Hand, um der Frau zum Abschied zu winken. Ich merke, wie mir ein riesiger Stein vom Herzen fällt - der Mann spielt das Spiel zum Glück mit. „Gerne! Dann guten Appetit und bis bald!" der Mann dreht sich um und geht mit mir in Richtung Haustüre, wobei die Frau tatsächlich stehen bleibt, bis wir im Flur sind und der Mann die Tür hinter uns geschlossen hat. „Danke!" flüstere ich, mein Kopf bleibt jedoch weiterhin stur nach unten gerichtet, damit er mein Gesicht nicht sehen kann. „Wer bist du und was hast du angestellt?" er bleibt mit verschränkten Armen vor mir stehen und schaut auf mich runter, das bemerke ich. „Luisa... ich bin auf dem Weg nach Hause, aber die Frau hat mich nicht in Ruhe gelassen" erkläre ich und mache mich möglichst klein. „Schau mich mal an" fordert er mich auf, aber ich schüttle den Kopf. „Ich würde jetzt gerne wieder gehen"  bitte ich ihn und ich merke, wie mich die Angst vor diesem fremden Mensch jetzt doch immer mehr überkommt. „Ich weiß nicht... du bist auf jeden Fall minderjährig und es ist mitten in der Nacht... außerdem hast du mich hier mit rein gezogen. Ich habe Alibi für dich gespielt - es könnte im allerschlimmsten Fall also auch blöd für mich werden. Also entweder du verrätst mir, wo du wohnst damit ich dich zu deinem richtigen nach Hause bringen kann, oder du schaust mich an und sagst mir die Wahrheit, damit ich nachvollziehen kann was du vorhast, oder ich muss die Polizei rufen" Ich hebe erschrocken den Kopf und reiße die Augen auf. „Bitte keine Polizei!" flehe ich und schaue bettelnd in das Gesicht des Mannes. In der Tat scheint er äußerst jung zu sein - Mitte zwanzig bis Anfang dreißig vielleicht. Kaum mehr als 10 Jahre älter als ich. Zumindest glaube ich das. Er hat dunkle Haare, glatt rasierte Wangen und eine schwarze Brille auf der Nase. Er ist relativ groß und sportlich gebaut. „Na geht doch. Und warum keine Polizei?" fragt er weiter und lächelt jetzt beruhigend. „Das ist meine Sache... ich will wirklich nur nach Hause" wiederhole ich und drehe mich um zur Haustür. „Sicher?" fragt er und macht eine Kopfbewegung Richtung Fenster. Ich schaue ihn fragend an, jedoch begreife ich nur wenige Sekunden später, was er meint. Wieder sind die Sirenen von weiter weg zu hören. Es müsste wirklich Zufall sein, wenn sie nicht auf der Suche nach mir sind. Ich merke, wie ich blass werde und halte in meiner Bewegung inne. „Die suchen nach dir" stellt der Mann jetzt fest und zieht eine Augenbraue nach oben. Ich schüttle den Kopf, merke aber, wie mir schwindelig und kurz schwarz vor Augen wird. Vielleicht auch, weil ich zu wenig gegessen und getrunken habe die letzten Tage und jetzt alles zusammen kommt. „Ich sehe doch, wie du reagierst" höre ich ihn wie durch einen Tunnel sagen, während ich meine Hände fest um die Türklinke Kralle. „Nein..." ich sehe durch das milchige Glas in der Mitte der Tür, wie ein Auto mit Blaulicht in Schritttempo am Haus vorbei fährt. Mit einem Mal wird alles schwarz vor meinem Auge.

„Keine Angst, sie sind wieder weg. Du kannst die Augen wieder aufmachen" höre ich die Stimme des Mannes wie durch Watte, während ich vorsichtig blinzelnd die Augen öffne. Die Deckenlampe über mir leuchtet grell direkt in mein Gesicht. Ich liege auf dem Rücken auf dem Boden. Der Mann kniet neben mir und hat seine Hand an meinem Handgelenk. „Du bist nur umgekippt... das ist nicht schlimm. Aber wie wäre es, wenn ich dich ins Krankenhaus bringe, du dort kurz durchgecheckt wirst und ich dich dann wieder laufen lasse? Du siehst nämlich wirklich nicht gut aus... Keine Angst, wir brauchen auch keine Krankenkassenkarte von dir, keine Einverständniserklärung deiner Eltern oder sonst etwas - auch wenn ich mich damit in einer absoluten grau bis Schwarzzone bewege" seufzt der Mann und lässt mein Handgelenk wieder los. Ich blinzle ihn verwirrt an, da ich kaum ein Wort von dem was er sagt verstehe. „Wir lassen die Untersuchungen einfach unter den Tisch fallen... wenn alles okay ist, hat das hier alles niemals stattgefunden. Ist das ein Deal?" der junge Mann steht vom Boden auf und streckt seine Hand zu mir nach unten, um mich wieder auf die Beine zu ziehen. „Okay..." hauche ich mit wackeligen Beinen und halte mich am Treppengeländer fest, bis mein Kreislauf sich wieder sortiert hat. „Toll. Bin gleich soweit" er verschwindet den Flur entlang ins hinterste Zimmer und nach wenigen Minuten kommt er fertig angezogen wieder zurück. „Nach dir" er zeigt auf die Tür und somit trete ich zurück nach draußen in Dunkelheit.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt