Kapitel 49

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„Emilia.. es ist so..." fängt Paul seinen Satz zögernd während dem Essen an. Bisher hat eine drückende Stille zwischen uns allen geherrscht und ich habe gemerkt, dass etwas großes in der Luft liegt. Elisabeth schaut schon die ganze Zeit angestrengt und mit gesenktem Kopf auf ihren Teller, während Frederik lustlos in seinem Essen stochert und Paul selber die ganze Zeit nervös zu mir schaut. „Ja?" frage ich gebannt und schaue zu ihm. „Ähm... heute morgen... bevor wir los sind... deshalb sind wir auch erst etwas später gekommen... ich... da gab es... Neuigkeiten... auch für dich" stammelt er etwas und druckst herum. Ich warte geduldig mit hochgezogenen Augenbrauen. „Naja... also... Das Urteil von Jakob... es wurde bekannt gegeben..." erklärt er mit brüchiger Stimme. Oh nein. Also - eigentlich ist das ja gut, aber warum klingt er denn so negativ? Moment... hat das etwas mit dieser gesamten Stimmung zu tun?! Dann ist das gar kein gutes Zeichen! Ich merke, wie mein Puls in die Höhe schießt. „Ja?" ich lasse mein Besteck sinken und Knete meine Hände nervös unter dem Tisch. „Ähm... es ist keinesfalls gerecht ausgefallen... ich... wir werden versuchen, mit Anwälten in Berufung zu gehen... weil... ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn du..." „sag es mir bitte einfach" bitte ich ihn mit belegter Stimme und einem Kloß im Hals. Ich muss vom schlimmsten ausgehen. Aber was ist denn überhaupt das schlimmste? Welche Erwartungen habe ich an das Urteil? Eigentlich eine Lebenslange Haft. Und jetzt? Keine Haft und eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik? Oder nur ein paar Jahre mit zeitgleicher psychologischen Betreuung? „Ähm... es wird dich nicht erfreuen..." er druckst weiter herum, während Elisabeth sich jetzt unauffällig versucht eine Träne wegzuwischen. „Jetzt sag es mir doch bitte einfach! So wie ihr hier sitzt, kann es nichts gutes sein! Das habe ich verstanden. Wie viele Jahre sind es geworden? Lebenslang scheint es ja nicht geworden zu sein!" rufe ich jetzt leicht zornig und schnaube. „Gar keine Jahre. Keine Strafe. Zumindest keine Haftstrafe. Zwei Jahre auf Bewährung... tut mir leid, wir sind hier in Deutschland. Du konntest nur eines der drei Male nachweisen und es kam ihm zugute, dass er freiwillig ausgesagt hat... dass er Mitarbeit und Reue gezeigt hat... es tut mir leid!" Paul holt tief Luft. Ich habe das Gefühl, auf meinen Ohren liegt ein riesiger Druck. Was hat er gerade gesagt? Ich denke über seine Worte nach und versuche sie zu sortieren, so richtig gelingen will es mir aber nicht. „Was?" flüstere ich verwirrt und schaue von Paul zu Elisabeth, dann zu Frederik und wieder zurück. „Er ist wieder frei. Er hat nur eine Bewährungsstrafe bekommen. Keine Haft. Tut mir leid!" wiederholt Paul. Ich kneife meine Augen ein Stück weit zusammen, während ich erneut über die Worte nachdenke. „Bewährung? Das heißt...?" stammel ich jetzt genauso wie Paul zuvor und alle am Tisch nicken. Ich fahre mir fassungslos durch die Haare, stehe vom Tisch auf und laufe im Raum auf und ab. „Wir werden wirklich alles versuchen, um..." fängt Paul wieder an, aber ich gebe ihm ein Zeichen, er möge bitte kurz still sein. Ich schließe meine Augen, halte kurz inne, dann flüchte ich in Richtung Badezimmer, um mich zu übergeben. Paul kommt mir hinterher und hält mir meine Haare zurück. „Hey... es tut mir wirklich leid! Ich kann mir vorstellen, wie demütigend das für dich sein muss!" sagt er leise und hilft mir wieder aufzustehen, als ich fertig bin. „Es ist so unfair!" schluchze ich und fange an zu weinen. „Ich weiß. Das ist es. Es gibt gar keine Worte dafür!" bestätigt er. „Und jetzt? Begegne ich ihm jedes Mal beim einkaufen oder auf dem Weg in die Schule morgens im Bus?" frage ich und lasse mich auf den Boden sinken. „Hm. Auch das weiß ich nicht... jetzt lass uns erst mal abwarten, ob wir nicht noch etwas ändern können an dem Urteil..." „ich habe doch extra alles dokumentieren lassen... warum reicht ein Mal nicht?!" weine ich und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Paul legt seine Arme um mich. Ich weine und weine weiter, bis keine Tränen mehr kommen. „Wir bekommen das hin! Lass dich davon jetzt nicht unterkriegen!" bittet er mich und gibt mir einen Kuss auf die Haare. „Du hast leicht reden!" schniefe ich mit erstickter Stimme und lasse mir ein Taschentuch von ihm reichen. „Ja. Das haben wir alle. Denn wir haben es nicht selber erlebt. Aber wir können dir von außen sagen: das Leben ist trotzdem schön und es geht immer weiter. Und er wird seine gerechte Strafe noch bekommen! Das Jahr war für uns alle hart, besonders für dich, aber das nächste wird besser. Das verspreche ich dir!" er betrachtet mich von der Seite. Ich nicke schwach, wobei mir immer noch schlecht ist. „Willst du wieder mit zurück?" fragt er, aber ich schüttle den Kopf. „Nein... ich glaube, ich lege mich direkt hin" verkünde ich. „Okay. Ich sage Bescheid" Paul steht vom Boden auf und reicht mir deine Hand, um mich hochzuziehen. „Danke" ich wische mir noch mal die Tränen weg und putze mir die Nase. „Es ist schön, dass wir alle hier sind. Und ich freue mich, mit dir ins neue Jahr starten zu dürfen!" er umarmt mich kurz und verschwindet dann zurück ins Esszimmer. Ich gehe leise die Treppe nach oben in das Schlafzimmer von Frederik und mir - wenn man das überhaupt so sagen kann. Dort ziehe ich mich um, putze im Bad um die Ecke meine Zähne und wasche mein Gesicht. Mit tausenden Gedanken in meinem Kopf mache ich es mir unter der noch kalten Decke möglichst bequem und höre den gedämpften Stimmen von unten zu. Jakob ist wieder frei. Und das macht mir Angst. Sehr große Angst sogar. Wie soll ich mich so bedenkenlos in Köln bewegen? Wo er doch weiß, wo Elisabeth aktuell noch wohnt? Wo ihr Studio ist? Wo meine Schule ist? Wo Paul lebt? Einfach alles?! Ich schließe meine Augen und versuche die vielen Informationen und sorgen für einen Moment auszuschalten, indem ich mich nur auf meinen Atem konzentriere. Trotz dass ich noch ewig lange wach liege, bekomme ich nicht groß mit, wie die anderen ins Bett kommen.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt