Kapitel 20

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„Emilia? Hörst du uns?" ich sehe Pauls besorgtes Gesicht direkt über mir. Ich liege auf etwas halbwegs weichem und schaue direkt in ein grelles Licht an der Decke über mir. Der Arzt steht auf der anderen Seite von mir. „Du hast wohl wirklich zu wenig gegessen... dein Kreislauf war kurz weg" erklärt Paul mir. Ich schüttle leicht den Kopf. „Ich hätte bitte gerne einen anderen Arzt!" Murmel ich und ernte dafür einen verständnislosen Blick von Paul. „Was?!" „Emilia und ich kennen uns. Und ich glaube, ihr ist eben bewusst geworden, woher" erklärt Frederik nur, während er mich mit dem Monitor verkabelt. „Von der Hochzeit" nickt Paul, aber Frederik und ich schüttelt gleichzeitig den Kopf. „Nein. Die kleine Emilia ist damals weggelaufen und bei euch auf der Wache gelandet. Das stimmt. Hast du auf deiner Hochzeit ja selber erzählt. Was du aber nicht weißt: sie war davor bei mir, weil die Nachbarin sie auf der Straße aufgefunden hat und sie behauptet hat, in meinem Haus zu wohnen und dass ich ihr Vater wäre. Ich habe ihr also das Alibi gegeben, weil ich gemerkt habe, dass sie irgendwas ausheckt und sie ins Krankenhaus gebracht, um sie von der Kollegin untersuchen zu lassen. Sie ist aber relativ schnell wieder aufgestanden und weg gelaufen. Dann habt ihr sie gefunden. Und auf der Hochzeit haben wir uns wieder gesehen. Tut mir leid Emilia, ich habe dich direkt erkannt, wollte aber nicht, dass der Abend durch unsere Begegnung für dich kaputt geht. Wusste ja nicht, wie du mir begegnen würdest. Du solltest Spaß haben. Mehr nicht. Ich will dir aber nichts böses. Ja, ich arbeite hier und ich habe auch damals schon hier gearbeitet, aber ich kenne Paul genauso wie du. Polizei und Krankenhaus arbeiten eben auch ab und zu zusammen" beendet Frederik seine Erzählung. „Ach herrje... so klein ist die Welt! Das... hätte ich echt nicht erwartet!" gesteht Paul und schaut zwischen uns hin und her. Ich habe das Gefühl so rot wie eine Tomate zu sein, denn mir ist dieses Wiedersehen sehr unangenehm. „Ich verurteile dich für nichts von damals. Du scheinst deinen Weg ja gefunden zu haben. Und dir scheint es ja ganz gut bei deinen neuen Eltern zu gehen - das ist die Hauptsache. Wir stellen alle mal Blödsinn an. Das ist okay. Die Frage ist nur: was bringt dich heute hierher?" fragt Frederik weiter und betrachtet mich. Seine Augen sind immer noch so schön wie bei der Hochzeit und er strahlt nach wie vor diese unbeschreibliche Ruhe aus. „Bauchschmerzen" mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Frederik hat auf der Hochzeit gesehen, was Jakob gemacht hat. Das könnte mein absolutes Todesurteil sein. Er hat Jakob sogar darauf angesprochen gehabt... auch wenn Paul das nicht weiß. Ich teile mein Geheimnis zur Hälfte mit jemandem und das war nicht der Plan. Nein, das macht alles nur noch schlimmer. „Irgendwas unauffälliges? Etwas anderes gegessen als sonst? Hast du deine Periode? Zu wenig gegessen? Viel Stress aktuell?" Frederik wiederholt Pauls Vorschläge, während er es sich auf seinem weißen Hocker bequem macht und zum Ultraschallgerät rollt, um dieses näher zu holen. Ich schüttle den Kopf und versuche den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken. Jetzt gerade wünsche ich mir nichts mehr, als dass Paul wieder geht. Er soll nichts mitbekommen und ich kann Frederik nicht einschätzen, was er alles erzählt und was nicht. „Okay... Ähm... ich glaube, ich lasse euch mal alleine... muss ja nicht bei der Untersuchung dabei sein... soll ich mal versuchen Elisabeth und Jakob anzurufen? Dann müssen sie sich keine Sorgen machen" bietet Jakob mir an, aber sofort schüttle ich panisch den Kopf. „Bitte nicht!". Paul zuckt nur leicht mit den Schultern und verschwindet aus dem Zimmer in Richtung Wartebereich. „Willst du mir jetzt die Wahrheit sagen, warum du hier bist? Ich arbeite schon lange genug in diesem
Beruf, um Wahrheit von Lüge unterscheiden zu können" sagt Frederik ganz beiläufig, während er auf dem Ultraschallgerät etwas eingibt. Ich stoße hörbar laut die Luft aus. „Ich habe nur Bauchschmerzen" wiederhole ich, da ich keine Chance mehr auf eine neutrale, sachliche Person - auf die ich ja hier gehofft hatte - habe und ich zu große Angst davor habe, was Frederik für sich behält und was nicht. Mit ihm kann ich nicht reden. Er ist alles, nur nicht neutral. „Na gut" sagt er nur und fängt an, das Ultraschallbild zu machen. „Nichts auffälliges. Tut es weh, wenn ich drücke?" fragt er und drückt mit seinen Fingern auf unterschiedlichen Stellen meines Bauches rum. Wieder schüttle ich den Kopf. „Dein Blutdruck, Temperatur und Puls sind okay. Wir können dir noch Blut abnehmen und es ins Labor geben" klärt er mich auf. „Nicht notwendig... ich gehe morgen zum Hausarzt, wenn es bis dahin nicht besser ist" Murmel ich und setze mich wieder auf. „Hey..." er hält mich am Handgelenk fest. „Wenn du Probleme hast, kannst du immer mit Paul reden. Er ist ein super Typ!" er durchbohrt mich förmlich mit seinem Blick. „Ich weiß" antworte ich nur und ziehe meine Hand weg. „Frohes neues Jahr!" ruft er mir hinterher, als ich aus der Tür verschwinde, aber ich antworte nicht. Draußen im Foyer quatscht Paul mit der Schwester vom Tresen, als er mich jedoch bemerkt, verabschiedet er sich augenblicklich. „Alles okay. Kannst du mich bitte nach Hause bringen?!" bitte ich ihn sofort und er nickt. Keine zwanzig Minuten später sind wir wieder bei mir zuhause, jedoch weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, was an dem Tag noch alles passieren wird.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt