Kapitel 36

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Elisabeth kommt gut zwei Stunden später vom einkaufen zurück und ich helfe ihr, die Einkäufe zu verräumen und setze mich dann mit ihr zusammen in den Garten. Wir lesen beide ein Buch, unterhalten uns nebenbei immer wieder und ich bete zu Gott, dass Jakob erst ganz spät - oder am besten gar nicht mehr - nach Hause kommt. Als er es schließlich doch tut, mache ich mich schnell aus dem Staub. Oben in meinem Zimmer hole ich mein Handy raus. Der Anblick von Jakob hat mehr in mir ausgelöst, als es bisher immer der Fall war. Ich öffne den Chat mit Paul und schreibe ihm eine kurze Nachricht.

„Hey Paul! Tut mir leid, dass ich dich im Moment wieder mit so vielen Fragezeichen hängen lasse... ich würde dir gerne alles erklären. Und zwar heute noch. Davor müsste ich dich aber um einen Gefallen bitten... kannst du Frederik fragen, ob ich noch mal kurz bei ihm vorbei kommen kann? Danach melde ich mich noch mal bei dir!"

Ich setze mich auf meinen Schreibtischstuhl und schließe meine Augen. Gedämpft kann ich durch meine Tür hindurch die fröhlichen Stimmen von unten hören. Ist das, was ich vorhabe, wirklich die richtige Idee? Die beste Lösung? Oder ein totaler Fehler? Angespannt warte ich auf eine Antwort von Paul - normalerweise ist er immer recht schnell, aber heute lässt er sich Zeit. Nach einer viertel Stunde ist immer noch nichts da. Ich stehe auf und laufe ungeduldig im Zimmer auf und ab. So lange, bis es nach weiteren zehn Minuten an der Haustür klingelt. Erschrocken öffne ich meine Zimmertür und lausche den Geräuschen unten. Es ist Elisabeth, die die Tür aufmacht. „Hallo! Ich bin ein Freund von Emilia und wollte sie mit einem Kinobesuch überraschen. Darf ich sie für ein paar Stunden entführen?" fragt Frederik höflich, während mein Herz fast aus meiner Brust springt, so aufgeregt bin ich. Na toll. Hätte Paul mich nicht wenigstens vorwarnen können? Ich schließe schnell meine Tür wieder und ziehe mir in Windeseile frische Sachen an. Dann klopft es an meiner Tür. „Da ist ein junger Mann für dich... sehr attraktiv und höflich! Er will mit dir ins Kino" grinst Elisabeth und ich merke, wie ich rot werde. „Oh... ja... ich komme gleich!" erkläre ich möglichst unauffällig und husche ins Bad, als sie wieder nach unten geht. Ich mache mich kurz frisch, dann folge ich ihr. „Hey!" Frederik begrüßt mich mit einem sichtbaren Fragezeichen im Gesicht. „Hey! Lass uns direkt los" Murmel ich, rufe ein lautes ‚tschüss' ins Wohnzimmer und schiebe ihn raus aus dem Flur. „Danke, dass du gekommen bist! Dann scheint Paul dich erreicht zu haben" stelle ich fest und Frederik nickt, während wir zum
Auto gehen. „Also?" fragt er, als wir uns angeschnallt haben und betrachtet mich von der Seite. „Ich würde Paul gerne sagen, was los ist... ich glaube, er hat die Wahrheit verdient, auch wenn ich mich unwahrscheinlich schlecht fühle, weil meine Eltern ja zu seinen besten Freunden gehören... aber... ich merke, dass er langsam... die Nase voll hat... und ich kann es verstehen... aber..." ich fange ungewollt an zu stottern und Knete nervös meine Hände. Frederik schaut mich nur weiterhin geduldig von der Seite an. Ich atme tief durch. „Ich kann ihm das nicht erzählen... ihm dabei in die Augen schauen... ich schäme mich zu sehr dafür... ich... kannst du es ihm sagen?" das Ende des Satzes nuschel ich nur noch beschämt. „Oh... Ähm... das kommt ehrlich gesagt unerwartet! Ich... kann es ihm sagen. Aber du solltest trotzdem mitkommen... dabei sein..." antwortet Frederik überrascht. „Okay" flüstere ich ängstlich und senke meinen Blick. Frederik greift nach meiner Hand. „Das ist sehr mutig von dir! Und sehr richtig. Du wirst sehen: danach wird vieles besser werden" er lächelt mich leicht an, fährt dann aber direkt los.

Bei Paul angekommen habe ich so weiche Beine, dass ich das Gefühl habe, sie würden jede Sekunde nachlassen. Leicht taumelnd laufe ich neben Frederik die Stufen zur Haustür hoch. Er drückt auf den weißen, runden Knopf. „Ich schaffe das nicht!" flüstere ich panisch mit erstickter Stimme, doch Frederik nickt. „Klar schaffen WIR das. Du musst dich für nichts schämen!" kaum hat er seinen Satz beendet, geht die Tür auf und Anna steht vor uns. „Hi! Ich weiß, wir sind nicht angemeldet, aber wir wollten mit Paul reden. Ist er da?" fragt Frederik freundlich und Anna nickt, wenn auch etwas verdutzt. Sie hat wohl nicht damit gerechnet, Frederik und mich jemals zusammen zu sehen. „Ähm ja... kommt rein..." sie tritt zur Seite und verschwindet die Treppe nach unten, während wir unsere Schuhe ausziehen. „Hallo!" Paul begrüßt uns genauso überrascht, wie Anna. „Hey! Hast du kurz Zeit für uns? Wir müssen reden" verkündet Frederik sachlich und schiebt Paul ins Wohnzimmer. Ich folge den beiden mit hängenden Kopf. „Tut mir leid Anna, ich rede immer gerne mit dir, aber heute müsstest du uns bitte alleine lassen" setzt Frederik hinterher, als er bemerkt, dass auch sie uns folgt. Sie verdreht etwas die Augen, respektiert es aber dann. Wir setzen uns aufs Sofa. Frederik setzt sich neben mich, während Paul sich auf das Sofa schräg gegenüber setzt. Ich sehe wie gespannt er ist, was wir ihm zu verkünden haben. Frederik schaut kurz zu mir und als ich mit blassem Gesicht und einer unbeschreiblichen Übelkeit nicke, fängt er an, die ganze Situation vorsichtig, aber sachlich und mit einer ziemlich guten Wortwahl zu erzählen. Ich schaue immer wieder unauffällig auf zu Paul, der erst genauso blass wie ich wird, aber dann knallrot im Gesicht wird. Ich kann sehen, wie sauer er ist. Sehr sauer. Seine Hände hat er zu Fäusten geballt. Frederik versucht ihn zu beruhen, als er fertig mit erzählen ist, aber plötzlich läuft alles ganz anders, als ich es eigentlich geplant habe.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt