„Hey... entschuldige bitte die späte Störung... ich glaube, ich will doch reden... ich schaffe das alles nicht mehr alleine!... Jetzt bekommt Paul auch noch ein Kind und hat keine Zeit mehr und... und dann ist da... noch die Schule und... dieses andere Problem... und überhaupt.... Und... und..." schluchze ich herzzerreißend, als ich nur wenige Stunden später wieder einmal vor Frederiks Tür stehe. Er blinzelt mich verschlafen an und versucht nebenbei seine Haare etwas zu richten. Ich scheine ihn direkt aus dem Bett geholt zu haben: bis auf seine Boxershorts hat er nichts an. In Anbetracht der Uhrzeit wundert es mich aber auch nicht. „Was?" fragt er verschlafen, denkt dann aber kurz nach. „Oh... warte... ich... komm rein" murmelt er nur und macht mir Platz. Während er mich ins Wohnzimmer schickt, verschwindet er die Treppe hoch, um sich etwas anzuziehen. Er sah zwar immer sportlich aus, aber dass er so trainiert ist, war mir nicht bewusst. „So. Jetzt. Tee?" fragt er, als er wieder unten ist und ich nicke zitternd. Er reicht mir wenig später eine Tasse und setzt sich mit einer eigenen auf das Sofa gegenüber von mir. „Bekomme ich eigentlich mehr Bezahlung für nächtliche Sitzungen? Und das ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken?" er zieht seine Augenbrauen hoch und pustet nebenbei im seine Tasse. Ich blinzle etwas verwirrt, schüttle dann aber den Kopf. „Entschuldigung! Das war dreist von mir" flüstere ich betreten, aber er unterbricht mich. „Das war ein Spaß. Alles gut. Ich höre dir zu" er lehnt sich zurück und mustert mich so wie er es immer tut. Ich ringe nach Worten, als nach einigen Sekunden aber immer noch nichts aus mir draußen ist, hilft er mir. „Ich habe verstanden, dass Paul ein Kind bekommt - das hat er mir gestern Abend auch geschrieben. Ich habe verstanden, dass die Schule sehr hart ist. Das verstehe ich. Der NC für Psychologie ist genauso unterirdisch wie für die Medizin. Aber ich bin mir sicher, dass du das schaffst. Was für ein Erlebnis?" er trinkt einen Schluck aus seiner Tasse. Ich spiele unschlüssig mit meinen Händen. „Er lässt mich einfach nicht in Ruhe" flüstere ich irgendwann etwas benommen. Tue ich das gerade wirklich? „Wer?" Frederik beugt sich nach vorne und lächelt jetzt sanft. „Er tut mir regelmäßig weh... und ich kann das nicht mehr... er kommt einfach zu mir und... tut mir weh... dann ist es für eine kurze Zeit wieder okay... aber... sobald er Alkohol trinkt... passiert es immer wieder... und... ich schaffe das nicht mehr!... ich... fühle mich deshalb so schlecht und... ich weiß nicht mehr weiter!" ich schaue mit Tränen in den Augen zu ihm auf. „Wer?" fragt er erneut und ich schlucke schwer. „Dein Vater? Jakob heißt er, richtig?" fragt er und ich nicke mit rasendem Herz. „Er tut dir weh?" fragt er noch mal und wieder nicke ich, wenn auch monoton. Ich habe das Gefühl, mit einem Mal alles an Kontrolle über mich selber verloren zu haben. Es fühlt sich schrecklich an! „Was macht er?" fragt Frederik weiterhin ruhig und schaut mir dabei fest in die Augen. Ich zucke mit den Schultern. „Wann kommt er zu dir?" „nachts". Meine Worte sind so leise, dass sie kaum zu hören sind. „Und du kommst danach immer hierher, beziehungsweise zu Paul?" wieder nicke ich. „Okay. Höre mal: egal was er macht: ich werde es weiterhin für mich behalten, wenn du es mir anvertraust" „ich gebe damit meine komplette Kontrolle ab... du wärst der einzige, der von meinem Geheimnis weiß" schluchze ich. „Nein. Du behältst die Kontrolle. Du erzählst es mir nur. Aber du gibst mir keine Kontrolle" verbessert er mich. „Doch... ich... fühle mich so hilflos" ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht. „Ich weiß. Aber du wirst nicht die Kontrolle verlieren, nur weil du es mir erzählst. Denn ich schwöre dir bei allem was ich habe, dass es ein Geheimnis bleibt. Aus DEINEM Geheimnis wird UNSER Geheimnis - nicht mehr". Ich atme tief ein und wieder aus. Seine Worte sind wie ein ein kleines Trostpflaster auf der Seele. „Trinke zwischendurch mal was" erinnert er mich und zeigt auf meine Tasse. „Er... er kommt nachts in mein Zimmer... sagt, er wolle nur mein bestes... er würde für Entspannung sorgen... aber... das ist alles so falsch.... Das darf er doch gar nicht!" ich kämpfe mit den Worten. „Was darf er nicht?" „mich anfassen!" mit einem Mal bin ich wütend. „Du hast recht. Das darf er nicht. Vor allem nicht, wenn du es nicht willst. Was heißt ‚anfassen'?" ich merke, dass auch Frederik jetzt etwas angespannter ist. Mich verunsichert es nur. Aber wie soll er auch sonst reagieren? Wenn mir jemand sowas erzählen würde, würde ich auch nicht entspannt und ruhig bleiben. Diese Welt ist einfach zu schrecklich! „Er legt sich immer zu mir... und... dann zieht er sich aus... und mich auch... und... und..." weiter komme ich nicht. Mein Kopf ist so rot wie eine Tomate. „Du brauchst dich nicht zu schämen! Du hast nichts falsch gemacht, hörst du?" Frederik steht auf und setzt sich neben mich. „Wenn Paul das erfährt... er ist doch sein bester Freund! Ich will das nicht kaputt machen!" schniefe ich und sinke in mich zusammen. „Nein. So etwas ist keine Freundschaft. Und Paul würde das auch nicht wollen. Er hat dich sehr gerne, das hat er oft genug betont. Er will nur dein bestes und dazu gehört auch, dass niemand - egal wer - dir weh tut. Das ist das letzte, worüber du dir sorgen und Gedanken machen musst!" „er hat mit mir geschlafen" nuschel ich ohne eine weitere Aufforderung frei heraus. Frederik lässt sich in die Kissen sinken, verschränkt die Arme hinter seinem Kopf und stößt laut die Luft aus. Er schließt seine Augen und ich kann sehen, dass er anfängt nachzudenken. Und jetzt?
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Herztöne (3)
FanfictionGeschrieben: 2021 ••• Emilia ist gerade einmal 13 Jahre alt, da geben ihre Eltern sie aus unbekannten Gründen von heute auf morgen in ein Heim und zur Adoption frei. Der Schock sitzt tief, aber auch sie muss lernen, dass das Leben einfach weiter geh...