Kapitel 60

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„Komm, ich zeige dir mal unsere Station. Im Moment ist eh noch nicht so viel los" verkündet die dunkelhaarige Schwester, als wir zurück kommen. „Alles gut, das übernehme ich gleich" sagt Frederik schnell, jedoch unterbricht Birgit ihn. „Ich fürchte daraus wird nichts. Bürger in Not" seufzt sie und winkt Frederik mit sich. Er wirft mir einen entschuldigenden Blick zu und eilt ihr dann hinterher. Etwas ängstlich bleibe ich mit der dunkelhaarigen Schwester zurück. „So so. Emilia bist du also. Richtig?" die Schwester steht auf und ich nicke. „Sag... der Name kommt mir so bekannt vor.... Bist du seine Mitbewohnerin?" sie kommt auf mich zu und bleibt erst stehen, als sie wenige Zentimeter entfernt von mir ist. Am liebsten würde ich ein paar Schritte zurück gehen, aber ich versuche stark zu bleiben. „Vielleicht" antworte ich nur und starre an ihr vorbei. „Und? Hat er dich schon flachgelegt wie alle anderen vor dir?" sie pustet sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich weiß nicht wovon du sprichst" flüstere ich und trete jetzt doch einen Schritt zurück. „Du bist ziemlich jung, oder? ... sein Geld und sein Aussehen sind nicht alles. Schlaft ihr in einem Bett?" sie lässt den Abstand zwischen uns wieder kleiner werden. „Das geht keinen etwas an. Lass mich bitte in Ruhe, ich will hier nur mein Praktikum machen!" flüstere ich weiter. „Oh ja. Das wirst du auch" sie dreht sich um und verlässt das Zimmer. Na toll. Diese Frau ist sogar schlimmer als erwartet. Ich setze mich an den Tisch, da ich nicht weiß, was ich sonst machen soll und warte, dass jemand zurück kommt, jedoch dauert das noch ganze 40 Minuten. „Oh... wo hast du denn Miriam gelassen?" fragt Birgit mich. „Oh... ist das die andere Schwester? Ich weiß nicht... sie ist einfach verschwunden" gestehe ich schüchtern und schaue sie unsicher an. Birgit seufzt. „Mit ihr ist es nicht immer ganz einfach" sagt sie leise in meine Richtung und ich lächle schwach. „Und du darfst auch bei weitem nicht alles glauben, was sie sagt. Sie erzählt viel Blödsinn" teilt sie mir mit. „Okay... danke für die Warnung". Im selben Moment kommt auch Frederik zurück. „So. Jetzt gibts erst mal einen Kaffee" verkündet er und reibt seine Hände aneinander. „Da bin ich dabei. Du auch?" fragt Birgit in meine Richtung und ich nicke. Während sie die Kaffeemaschine zum laufen bringt, zieht Frederik sich seinen Kittel aus. „Oh nein mein lieber! Zieh das sofort wieder an!" ermahnt Birgit ihn und seine Wangen werden augenblicklich etwas roter. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Er verlegt seinen Kittel ungefähr 100 mal am Tag. Und wer darf ihn suchen? Richtig. WIR" erklärt Birgit mir und ich muss grinsen. So hätte ich ihn gar nicht eingeschätzt. Sie klingt fast so, als wäre sie seine Mutter. Aber keinesfalls böse - nein, fast schon liebevoll. „Ich kann das Ding einfach nicht ununterbrochen an haben... das engt so ein und ist warm...außerdem... Es ist schon deutlich besser geworden!" verteidige er sich und setzt sich gegenüber von mir an den Tisch. „Wo ist Miriam?" fragt auch er mich jetzt. Wieder zucke ich mit den Schultern. „Oh man... saßt du jetzt die ganze Zeit hier rum?!" er klingt fast schon vorwurfsvoll. Dieses Mal nicke ich. „Ich zeige dir gleich alles" seufzt er und lässt sich von Birgit eine Tasse reichen. Wir bleiben für ein paar Minuten sitzen und Birgit und Frederik erklären mir ein paar allgemeine Sachen über die Stationsarbeit, dann beginnt er seine Führung mit mir. Miriam taucht zwar irgendwann wieder auf, jedoch wirft sie mir nur böse Blicke zu. Auch wenn mir die Arbeit mit Birgit und Frederik sehr viel Spaß macht, bin ich froh, als achteinhalb Stunden später unser Feierabend da ist. Und in der Tat haben wir seinen Kittel ganze sieben mal suchen müssen. Frederik begleitet mich wieder bis zur Umkleidekabine und wartet dann draußen auf mich. „Hast du alles?" fragt er und ich nicke zögerlich. „War's okay heute?" er legt seinen Arm um mich. Ich nicke und will gerade etwas sagen, da entdecken wir Miriam direkt vor uns an Frederiks Auto gelehnt. „Doc, Sie haben da was vergessen" verkündet sie übertrieben gespielt nett. Sie hat seinen Kittel in der Hand. Er verdreht die Augen. „Danke dir! Ich bin die ganze Woche über da. Das nächste mal kannst du ihn also einfach oben hängen lassen" er bemüht sich um ein Lächeln, nimmt den Arm von mir und greift nach dem Kittel. „Naja. Man macht ja alles für seine Kollegen, stimmt's? Schönen Feierabend dir und bis morgen" sie lächelt uns beide kurz an und verschwindet dann. „So ein kleines Biest. Komm, ich habe dir Pizza versprochen, das lassen wir uns jetzt nicht vermiesen" er schmeißt seine Tasche und den Kittel in den Kofferraum und steigt ins Auto ein - ich ihm hinterher. „Wie war der Tag für dich?" Frederik fragt mich während der gesamten Fahrt über meinen Tag aus und ich beantworte ihm alles wahrheitsgemäß - nur von dem ‚Gespräch' zwischen Miriam und mir heute morgen erzähle ich ihm nichts. „Ich freue mich sehr auf morgen mit dir. Ich schaue mal, ob wir dich mal mit zu einer OP bekommen, okay?" er schaut zu mir rüber und ich merke, wie meine Augen anfangen zu leuchten. „Echt?! Das wäre so cool!" strahle ich. „Klar. Bekommen wir schon hin!" er zwinkert zuversichtlich und konzentriert sich dann weiter auf die Straße. Wir verbringen einen wunderschönen Abend in dem Restaurant, das er für uns ausgesucht hat und schlafen danach wie so oft gemeinsam bei seinen Eltern ein.

Die nächsten beiden Tage verlaufen eigentlich wie die ersten beiden, außer dass ich mich immer sicherer in den Abläufen fühle und ab und zu sogar produktiv etwas helfen kann und darf. Sobald ich Miriam sehe, ergreife ich die Flucht und hänge mich an Birgit, die mich erfreut zu allem mitnimmt und mir alles zeigt. Ich glaube, ich habe selten eine so geduldige Person wie sie erlebt.
Nur der Donnerstag soll aufregender werden, als alle anderen Tage zusammen.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt