Kapitel 98

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Ein Dreiviertel Jahr später.

Nervös wie noch nie zuvor in meinem Leben wache ich am Morgen des 01.09. auf und starre mit stark klopfendem Herz an die Decke über mir. Die Bettseite neben mir ist leer, dafür liegt Paul neben mir. Und dieser scheint noch in aller Seelenruhe tief und fest zu schlafen. Ich weiß nicht, wie viel Uhr es ist und wann mein Wecker klingeln wird, aber in diesem Moment will ich es auch gar nicht wissen. Somit lasse ich mein Handy umgedreht auf dem Nachttisch liegen und versuche mich nur auf meinen Herzschlag zu konzentrieren. Lange halte ich es nicht aus, so untätig herumzuliegen, schlage vorsichtig die Decke zur Seite und stehe möglichst leise auf, ehe ich auf Zehenspitzen aus meinem Schlafzimmer schleiche. Im Badezimmer angekommen stelle ich mich unter die Dusche, wasche mich ab, rasiere meinen gesamten Körper, trage eine Haarkur auf und lasse dann das heisse Wasser einfach auf mich runter tropfen. Erst eine halbe Stunde später komme ich in meinen Bademantel gewickelt zurück ins Schlafzimmer und zu meiner Erleichterung ist Paul mittlerweile wach. „Guten Morgen! Was machst du denn schon so früh?!" murmelt er fast schon vorwurfsvoll und reibt sich die Augen. „Ich konnte nicht mehr schlafen" antworte ich wahrheitsgemäß und suche meine extra neu gekaufte Unterwäsche aus dem Schrank raus. „Aber wir haben noch so viel Zeit!" beschwert er sich und beobachtet mich. „Paul... ich schaffe das alles nicht!" erkläre ich ihm jetzt mit Tränen in den Augen. „Doch natürlich! Das wird dein schönster Tag!" lächelt er jetzt beruhigen und setzt sich auf. „Was ist, wenn alles schief geht? Wenn bei der Planung was nicht klappt, oder es anfängt zu regnen, die Ringe weg sind, oder... WAS IST, WENN ER KALTE FÜSSE BEKOMMT?" letzteres schluchze ich fast. „Komm her!" Paul streckt seine Arme nach mir aus und ich setze mich zu ihm aufs Bett. „Es soll Heute 12 Sonnenstunden geben, 25 grad und keine einzige Wolke. Wir haben alles bis ins kleinste Detail durchgeplant, Frederiks Cousin hat eure Ringe und er bekommt keine kalten Füße! Dafür schwärmt er schon viel zu lange von diesem Tag und dafür habt ihr viel zu viel Geld ausgegeben! Er liebt dich über alles. Mache dir nicht zu viele Sorgen!" erklärt er mir, während er seine Arme um mich legt. Ich schniefe leicht und nicke gegen seine Schulter. „Komm, mache du dich soweit fertig, ich mache uns Frühstück in der Zeit" verkündet Paul und lässt mich wieder los. Ich atme tief durch, stehe wieder auf und verschwinde mit meiner Wäsche zurück ins Badezimmer, wo ich mich anziehe, meine Haare föhne, mich eincreme und meine Fingernägel mit Präzession in einem hellen rosa lackiere. Unten in der Küche wartet bereits eine Tasse Kaffee auf mich, sowie ein Brötchen und ein Croissant. „Wenn Laura und Jana pünktlich sind, kommen sie in einer Stunde" stellt Paul mit einem Blick auf die Uhr fest. „Ich würde gerade alles dafür geben, Frederik zu sehen" Murmel ich als Antwort und starre lustlos in meine Tasse. „Keine Angst. Das wirst du in wenigen Stunden in deinem traumhaften Kleid mit perfekt gestylten Haaren und überglücklich können!" grinst Paul und setzt sich mit mir an den Tisch. Wieder atme ich tief durch. Immerhin muss ich mich nicht auch noch um eine komplett hibbelige und aufgelöste Elisabeth kümmern - sie dekoriert wahrscheinlich gerade mit Stefan, Anna und Frederiks Mutter die gesamte Kirche und bereitet alles für den Sektempfang vor. „Esse bitte was" unterbricht Paul meine Gedanken und deutet auf meinen Teller. Ich Murmel etwas unverständliches und beiße lustlos in das Brötchen. „Emilia... du heiratest heute! Bitte mache dir nicht zu viele Gedanken über alles! Genieße den Tag, so wie er kommt. Es wird alles gut gehen und unvergesslich werden" Paul schaut mich in einer Mischung aus Sorge, leichtem verärgert sein und etwas flehend an. Ich nicke schwach und esse ohne ein weiteres Wort meinen Teller leer. Und Paul scheint es etwas zufriedener zu stimmen. „Komm, ich sorge für etwas Entspannung bis die anderen beiden da sind" grinst er voller Freude und steht von seinem Stuhl auf. Ich schaue ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue fragend an, aber er stellt sich nur hinter meinen Stuhl und fängt an, meine Schultern zu massieren. Seufzend schließe ich meine Augen und genieße das sanfte kneten seiner Hände auf meinen Muskeln. So lange, bis es tatsächlich an der Tür klingelt. „Ich mache auf!" verkünde ich schnell, bevor Paul etwas sagen kann und haste zur Tür. „Hi!" Jana und Laura umarmen mich beide strahlend und kommen dann zu mir rein in den Flur. „Na, wie fühlst du dich?" fragt Laura lachend und ich stoße laut die Luft aus. „Im Moment nicht so gut... ich glaube, ich brauche ein wenig Ablenkung" erkläre ich verlegen und führe sie ins Esszimmer zu Paul. Auch er begrüßt die beiden und anschließend machen wir einen kurzen Lageplan. „Möchtest du dein Kleid anziehen bevor die Friseurin kommt, oder lieber danach?" fragt Jana jetzt nachdenklich und schaut aus dem Fenster. „Hm... lieber danach... bevor was dreckig wird oder so... aber dann müssen wir ganz vorsichtig sein beim Kleid anziehen" stelle ich nervös fest. „So vorsichtig, als würden wir ein Gehirn operieren" zwinkert Laura und ich muss etwas kichern. Die beiden und auch Paul als meinen Trauzeugen hier zu haben, erleichtert mich ungemein. Wir setzen uns noch kurz aufs Sofa und trinken auf Lauras und Janas Wunsch hin ein erstes Glas Sekt - ihren Aussagen nach, damit ich mich entspanne - und warten auf die Friseurin, die etwa eineinhalb Stunden kommt, bevor wir in die Kirche müssen. Sie zaubert mir eine atemberaubende halb-offene Flechtfrisur mit gelockten Strähnen und ein paar kleinen, sanften Perlen in den Haaren hin und kümmert sich dann um meine Make-up. Als wir es mit aller Kraft und Geduld geschafft haben, mir das Kleid - eine sanft fließende A-Linie mit spitze und etwas Glitzer - anzuziehen und die Friseurin noch ein paar kleine Perfektionen vornimmt, betrachten mich Jana, Laura und Paul mit Tränen in den Augen. „Der Wahnsinn!" haucht Jana und tupft sich mit einem Taschentuch ein paar Tränen aus den Augen. „Danke" ich merke, wie ich rot werde. „Du siehst absolut umwerfend aus! Wenn ich dich nicht schon seit so langer Zeit so platonisch sehen würde, selber Frau und Kinder hätte, würde ICH dich heiraten und nicht Frederik" teilt Paul mir mit brüchiger Stimme fest und umarmt mich vorsichtig. Ich muss etwas kichern und mir sämtliche Tränen verkneifen, was mir zum Glück auch gelingt. Dann betrachte ich mich im Spiegel und ich muss zugeben: so langsam überwiegt die Freude für den heutigen Tag und ich kann es kaum erwarten, dass es los geht!

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt