Kapitel 43

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Das Wochenende wird tatsächlich wunderschön: zwar schaffe ich es nach wie vor nicht, mich Frederik gegenüber zu öffnen, aber unsere Unternehmungen sind dafür umso besser: nach dem Frühstück morgens machen wir einen ausführlichen Spaziergang am Rheinufer entlang, machen einen Abstecher zum Köllner Dom, weil ich da schon so lange nicht mehr war, essen mittags ein Eis in dem selben Kaffee, in dem wir schon morgens waren und machen uns dann auf den Weg zurück nach Hause. Dort überredet er mich, mal wieder Paul und Elisabeth anzurufen und mich etwas mit ihnen zu unterhalten (und ich merke sofort, wie sehr sich beide freuen, von mir zu hören - Elisabeth weint sogar vor Rührung und fragt, wann ich das nächste mal wieder ins Yoga komme), anschließend kochen wir zusammen Pasta. So viel an einem Tag zu essen fühlt sich nach den letzten Wochen kaum essen unwahrscheinlich merkwürdig, aber irgendwie auch gut an - vor allem, weil Frederik wirklich gut kochen kann. Abends lege ich mich wieder zu ihm, wobei ich dieses Mal deutlich mehr Abstand halte und am nächsten morgen schlafen wir wieder aus - wenn auch nicht so lange wie am Vortag. Wir frühstücken wieder ganz entspannt gemeinsam am Tisch und danach lassen wir uns im Garten die Sonne auf den Kopf scheinen, während wir beide in unseren Büchern lesen. „Worauf hast du mehr Lust heute Abend? Kino oder Therme?" fragt Frederik irgendwann und legt sein Buch zur Seite. „Oh... ich... Ähm..." stottere ich überfordert und lasse mein Buch auch meine Brust sinken. „Dieses Wochenende erleben wir viel!" erinnert er mich. „Ich bin es ehrlich gesagt gar nicht mehr gewohnt, so viel zu machen... ich habe sonst immer nur die Schule als Aktivität gehabt, war ab und zu mit Jakob und Elisabeth spazieren, mit ihr im Yoga,..." „wann gehst du wieder hin? Paul hat mir schon ein paar mal davon erzählt gehabt und auch, wie sehr du immer Freude daran hattest" unterbricht Frederik mich. „Ich habe Elisabeth gestern versprochen, dass ich wieder montags und Donnerstag komme... ich werde es nur nicht mehr fast jeden Tag schaffen wie vor dem ganzen... wegen der Schule und den Terminen bei dem Psychologen und allem... aber zwei mal die Woche möchte ich wieder anfangen" antworte ich etwas verlegen. „Super! Das finde ich großartig!" Frederiks Augen leuchten, was ein kribbeln in mir auslöst. „Danke..." „also? Kino oder Therme?" wiederholt er seine Frage. „Ähm... lieber Kino" antworte ich, da ich mich halb nackt nie richtig wohl fühle. „Sehr schön. Ich schaue mal, was kommt" Frederik holt sein Handy raus und tippt darauf herum. „Ähm... ich habe mit Elisabeth auch ausgemacht, dass wir nach dem ersten Yoga morgen zusammen essen gehen... und mal wieder reden... ich vermisse sie doch sehr! Und ich glaube, ich kann ihr langsam wieder in die Augen schauen... also wundere dich bitte nicht, wenn es morgen etwas später wird" erkläre ich hinterher. „Lasst euch ruhig Zeit! Weißt du Emilia... Freunde und Familie sind sehr wichtig. Jeder hat Verständnis dafür, wenn es auch mal schlechte Phasen im Leben gibt... und du hast aktuell eine sehr sehr schlechte Phase, was auch wirklich berechtigt ist... aber man sollte weder die Menschen die man liebt und die einen lieben, noch sich selber hängen lassen. Das macht alles nur noch schlimmer. Auch wenn man das als Außenstehender leicht sagen kann. Kümmere dich wieder mehr um dich und deine Freunde. Komm aus dir raus und genieße das Leben. Du bist noch jung und hast alles vor dir. Nimm dir alle Zeit, die du brauchst. Aber gib niemals auf. Versprich mir das bitte!" gerührt von seinen Worten nicke ich. „Ich verspreche es!". Er lächelt zufrieden und schaut wieder auf sein Handy. Ich schaue zwar wieder auf mein Buch, aber ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Frederik hat recht: das Leben geht weiter. Und drei Monate verstecken müssen reichen. Zwar werde ich wohl weiterhin gegen meine Albträume und die Angst gegenüber fremden Menschen, vor allem Männern, ankämpfen müssen, aber alles andere sollte ich nutzen und genießen. Und ich fange gleich morgen damit an!

Den Film, den Frederik raus sucht, ist der Hammer! Er scheint einen guten Geschmack zu haben - auch, weil er als Überraschung Nachos mit Käsesauce mitbringt, als er vom Klo zurück kommt. Auch die dritte Nacht in seinem Bett schlafe ich ausgezeichnet - zwar mit merkwürdigen Träumen, aber ohne dabei aufzuwachen.

Die neue Woche beginne ich komplett anders, als in letzter Zeit: ich stehe morgens rechtzeitig auf, um mich entspannt fertig machen und etwas frühstücken zu können. Dank des vielen Schlafes in den letzten drei Nächten fällt es mir auch überhaupt nicht schwer, dem Unterricht aufmerksam zu folgen. Direkt nach der Schule mache ich mich auf den Weg zum Yoga-Studio und werde bereits von einer aufgelösten Elisabeth empfangen. „Ich freue mich so sehr dich zu sehen, mein kleiner Engel!" flüstert sie emotional in mein Ohr, während sie mich fest umarmt. „Ich freue mich auch!" lächle ich leicht und erwidere die Umarmung. „Du fehlst mir so sehr! Du warst jeden Tag bei mir... und jetzt bist du weg... und ich alleine in diesem Haus..." sie lässt mich wieder los und wedelt sich etwas Luft zu, damit die Träne nicht über ihre Wange läuft. „Ich vermisse dich auch. Und das Haus. Wirst du dort bleiben?" frage ich, aber sie schüttelt traurig lächeln den Kopf. „Nein. Ich werde das alte hinter mir lassen. Sobald Jakobs Verhandlung war, haben wir einen Termin für die Scheidung. Und dann werde ich in eine wunderschöne Dachgeschosswohnung mit einer traumhaften Dachterasse nicht weit weg von hier ziehen. Sie wird aktuell modernisiert und fertig gemacht. Aber lassen wir das alles... erzähl: wie geht es dir?" sie legt ihre Hand auf meine Wange. „Sehr schlecht. Wobei... die letzten drei Tage ging es etwas bergauf. Ich habe neue Pläne und Vorsätze, die ich seit heute morgen verfolge. Das yoga ist einer davon. Und ich weiß, dass es mir helfen wird" ich lege meine Hand auf ihre und nehme sie von meiner Wange. „Du bist so stark! Ich bewundere dich sehr!" wiederholt sie die Worte von Frederik und betrachtet mich stolz. Und traurig. „Es tut mir leid, dass ich mich die letzten Wochen und Monaten so wenig gemeldet habe... ich... musste..." „Du hast Zeit gebraucht. Und das ist okay. Ich nehme es dir nicht übel. Wir können die Vergangenheit nicht ändern. Aber die Zukunft. Also komm, lass uns anfangen. Die anderen kommen auch jede Minute" sie nimmt mich an der Hand und zieht mich in den großen Gymnastiksaal. Bereits nach wenigen Minuten merke ich, wie sehr mir diese Entspannung und Bewegung gefehlt hat. Aber auch das Essen gehen danach sorgt irgendwie für Entspannung bei mir: wir entscheiden uns für Sushi und gehen anschließend noch in eine schicke Bar, um einige Cocktails zusammen zu trinken, ehe wir uns auf der Straße wieder voneinander verabschieden. Taumelnd mache ich mich zu Fuß auf den Weg zurück zu Frederiks Haus.

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt