Kapitel 12

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Sechs Wochen später bin ich wie ausgewechselt: zwar ist meine Schüchternheit schlimmer geworden, jedoch habe ich mich deutlich mehr mit meinem neuen Leben angefreundet. Die zwei Wochen Urlaub mit Jakob und Elisabeth waren wunderschön und dabei eine riesige Hilfe, aber auch die vier Wochen danach, in denen ich viel alleine war, haben mir irgendwie geholfen. Die viele Zeit zum nachdenken hatte sowohl ihre Vorteile, als auch Nachteile. Aber am meisten bin ich froh über den Beginn des neuen Schuljahres, da ich die Hoffnung habe, dass mich das ablenken würde. Zwar habe ich einen Wechsel auf ein anderes Gymnasium hinter mich gebracht, aber wirklich traurig bin ich nicht darüber. Richtige Freunde, mit denen ich auch privat etwas unternommen hätte, hatte ich sowieso nicht und die neue Schule ist deutlich näher am Haus von Elisabeth und Jakob dran.

Ich stehe morgens erstaunlich gut gelaunt auf, vielleicht auch weil ich weiß, dass Paul am Abend vorbei kommen will und ich ihn das erste mal nach diesen 6 Wochen sehe. Es fühlt sich fast so an, als wären wir langjährige Freunde, die sich nie aus den Augen verloren hätten, auch wenn ich weiß, dass das so nicht ist. Ich gehe zügig ins Bad und packe dann meinen Rucksack, ehe ich mich zufrieden im Spiegel betrachte. Dank Elisabeth ist mein Kleiderschrank voll mit neuen, sehr schicken Klamotten und ein Besuch beim Friseur vor zwei Tagen hat ein komplett neues Wesen aus mir gemacht: meine Haare sind jetzt nur noch etwas länger als meine Schultern und nicht mehr fast Hüftlang, also deutlich kürzer als zuvor und das blond wurde mit ein paar hellen Strähnen verstehen. Ich sehe deutlich frischer, aber auch erwachsener aus als noch vor dem Termin. Und dank meiner Schminke würde ich mich selber rein nach dem Aussehen auf 16-17 statt 13 schätzen. Und ehrlich gesagt finde ich das auch gut so. Ich springe die Treppe nach unten und stoße zu Elisabeth, die in der Küche steht und Frühstück macht. Jakob schläft um die Zeit immer noch, da er meistens erst spät in der Nacht aus dem Restaurant nachhause kommt. „Guten morgen! Wow! Du siehst unbeschreiblich hübsch aus! Lass dich mal ansehen!" strahlt Elisabeth über beide Ohren, als sie mich sieht. Ich werde etwas rot, drehe mich aber ein Mal für sie im Kreis. „Wahnsinn! Du siehst richtig... erwachsen und einfach hübsch aus! Weißt du, an wen du mich erinnerst?" sie grinst und holt ihr Handy raus. Dann hält sie mir ein Bild von Emma Watson entgegen. „Was?! Niemals!" lache ich und helfe ihr, alles fertig zu machen. Zwar bin ein ein großer Harry Potter Fan, aber soweit würde ich wirklich nicht gehen. „Doch wirklich! Ich glaube du weißt gar nicht, wie hübsch du bist" wiederholt sie ihre Worte beim Frühstück. „Dankeschön" ich merke, wie mein Selbstbewusstsein etwas wächst. „Bereit für deinen ersten Tag?" fragt sie und ich nicke. Den Rest des Frühstücks schweigen wir uns fast ausschließlich an und ich mache mich pünktlich auf den Weg zur Schule.

Als ich am späten Nachmittag wieder zurück komme, bin ich alleine. Irgendwie freue ich mich darüber, denn somit kann ich mich entspannt ein bisschen hinlegen und einfach nichts tun, außer auf meinem Handy rum zu tippen. Gesagt, getan: kaum habe ich meine Schuhe im Flur ausgezogen, sprinte ich auch schon die Treppe nach oben in mein Zimmer. Ich werfe mich rücklings aufs Bett und schließe meine Augen. Was ein herrlicher Tag: der erste Tag des neuen Schuljahres ist geschafft, die Sommerferien sind damit auch endgültig vorbei, es hat mich niemand in der Schule komisch angeschaut und ich kann mich auf den Abend freuen. Zudem ist das Wetter nach wie vor in allerbestem Zustand. Ich setze mich wieder auf und denke kurz nach. Dann ziehe ich mir die kürzesten Sachen an die ich habe, ohne dabei halb nackt zu sein, hole mir in der Küche ein Glas Wasser und mache es mir auf der Liege im Garten direkt in der Sonne bequem. Etwas Farbe schadet auf keinen Fall! Wieder schließe ich meine Augen und da ich nirgendwo besser schlafen kann als dort, wo es so warm ist wie jetzt gerade hier, dauert es auch nicht lange, bis ich weggedöst bin. Und ich wache auch erst wieder auf, als mich jemand sanft am Arm rüttelt. Ich öffne verwirrt meine Augen und schaue direkt in das Gesicht von Elisabeth. „Hey... liegst du schon lange hier? Du bist ziemlich rot..." begrüßt sie mich besorgt. „Oh Mist!" entgegne ich murmelnd und richte mich auf. Tatsächlich: ich habe mir einen leichten Sonnenbrand am ganzen Körper geholt. „Na toll!" grummel ich und folge Elisbeth auf die Terrasse in den Schatten. „Wollte dich wirklich nicht wecken, aber ich wusste nicht, wie lange du schon in der Sonne bist" entschuldigt sie sich und macht es sich auf einem der Stühle bequem. „Danke" lächle ich leicht und setze mich neben sie. „Wie war dein erster Tag?" sie betrachtet mich gut gelaunt von der Seite und ich fange an, ihr alles zu erzählen. Mittlerweile fühlen sich die Gespräche mit Jakob und Elisabeth zum Glück immer weniger seltsam und immer normaler an. Trotzdem denke ich jedes Mal daran, dass ich all die Dinge doch eigentlich meinen Eltern erzählen müsste. Und wenn ich abends nicht einschlafen kann oder nachts aufwache, fällt es mir schwer, nicht zu weinen. Denn wenn es dunkel wird, kommt alles negative noch viel deutlicher hoch. „Das klingt doch gut! Hast du denn Hunger? Paul hat geschrieben, dass er noch etwa zwei Stunden braucht. Aber er isst sowieso nicht mit. Und Jakob kommt ja eh erst später" seufzt Elisabeth. „Etwas... soll ich dir helfen?" frage ich und sie nickt. „Wenn du möchtest" sie steht auf und verschwindet nach drinnen. Ich folge ihr unauffällig. Nach dem gemeinsamen Essen helfe ich ihr noch die Getränke fertig vorzubereiten und die Terrasse etwas herzurichten, da klingelt es auch schon an der Tür. „Machst du auf?" ruft Elisabeth mit einem Blick aus dem Küchenfenster direkt auf die Straße, da sie mit nassen Händen am Spülbecken steht. Ich nicke und verschwinde in den Flur, um Paul die Tür aufzumachen. „Hey! Alles gut? Du siehst anders aus!" er begrüßt mich so gut gelaunt wie immer und schließt die Tür hinter sich. „nicht nur deine Haare... Du hast einen Sonnenbrand!" stellt er fest bevor ich ihm überhaupt antworten kann. Ich verdrehe leicht die Augen. „Ich weiß... das war so nicht geplant" gebe ich zu, lächle dann aber. Er folgt mir zu Elisabeth in die Küche und die beiden unterhalten sich kurz, während ich zurück nach draußen gehe. Nach etwa zehn Minuten kommt Paul zu mir. „Hey... hör mal..." er setzt sich neben mich und beugt sich flüsternd zu mir rüber. „Hm?" Ich runzle die Stirn. „Ich habe über deine Geschichte nachgedacht... und wenn du möchtest, helfe ich dir, deine Eltern zu finden... ich komme ja schließlich direkt aus dem Beruf" verkündet er mir. Ich merke wie meine Augen groß werden und sich mein Mund etwas öffnet. „Was?!" frage ich verwirrt und vielleicht auch etwas ungläubig und starre ihn an. „Ich helfe dir deine Eltern zu finden wenn du das möchtest" wiederholt er. „Echt jetzt?" hauche ich mit zittriger Stimme und Tränen in den Augen und er nickt. Ich beuge mich zu ihm rüber und schlinge meine Arme fest um ihn. Der Tag war zwar schon richtig gut, aber dass er so gut werden würde, hätte ich mir nicht einmal im Traum ausgemalt!

Herztöne (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt